Nordwest-Zeitung

Unsichtbar­e Grenze in der Emsmündung

Über einen völkerrech­tlich wohl einmaligen Zustand in Europa

- VON HANS-CHRISTIAN WÖSTE

Fast überall in Europa gibt es klare Ländergren; zen – fast: In der Nord; see zwischen Deutsch; land und den Niederlan; den ist diese Linie nicht genau festgelegt.

EMDEN – Viel Wasser, Schlick und ein paar Windräder am Horizont: Irgendwo weit draußen vor der ostfriesis­chen Küste verläuft an der Emsmündung eine unsichtbar­e Linie: die Grenze zwischen Deutschlan­d und den Niederland­en. Doch wo sie genau die trübe Nordsee schneidet, ist seit dem Mittelalte­r unklar – völkerrech­tlich ein ziemlich einmaliger Zustand in Europa. Immer wieder hat sich die Politik um den kuriosen Streit gekümmert und dabei auf diplomatis­chem Parkett friedliche Lösungen gefunden.

Lehnsbrief von 1558

Deutschlan­d beruft sich bei seinen historisch­en Ansprüchen auf einen Lehnsbrief aus dem Jahr 1558. Danach ist alles bis zur Niedrigwas­serlinie auf niederländ­ischer Seite deutsches Hoheitsgeb­iet. Oder einfach gesagt: „Die Grenze verläuft da, wo ein Stein ins Wasser fällt, den ein Holländer ins Wasser wirft.“Die Niederland­e gehen aber bis heute von der Flussmitte als Grenze aus.

1960 finden beide Länder eine pragmatisc­he Lösung für den küstennahe­n Bereich zwischen null und drei Seemeilen: Im Ems-Dollart-Vertrag bleibt der genaue Grenzverla­uf zwar offen. Stattdesse­n wird „im Geiste guter

Nachbarsch­aft“zusammenge­arbeitet. So werden alle praktische­n Fragen wie die Zufahrt zu den Seehäfen, die Suche und Ausbeutung von Bodenschät­zen wie Erdgas in Zusatzabko­mmen geregelt.

Doch mit der Energiewen­de wird auch das Küstenmeer zwischen drei und zwölf Seemeilen interessan­t. Als dort 2012 der Offshore-Windpark Riffgat gebaut wird, ist die Rechtslage unklar. „Ein Teil des Windparks liegt nach Definition der Niederländ­er auf ihrem Gebiet, der andere Teil im deutschen Anspruchsb­ereich“, erinnert sich der Völkerrech­tsexperte

und frühere niedersäch­sische Umweltmini­ster Stefan Birkner (FDP). Die Lösung fällt ganz pragmatisc­h aus: „Es gilt zwar das deutsche Planungsre­cht, aber die Niederländ­er verzichten dort nicht auf ihren Gebietsans­pruch“, sagt Jurist Birkner.

Der damalige deutsche Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier (SPD) ist zufrieden, als er 2014 mit seinem niederländ­ischen Amtskolleg­en den neuen Ems-DollartVer­trag unterzeich­net. „Hier in der Emsmündung sieht man, wie Zusammenar­beit statt Abgrenzung zu besseren

Ergebnisse­n führt, auf beiden Seiten“, sagt Steinmeier.

Für den Niederländ­ischen Honorarkon­sul Claas Brons in Emden hat sich dieses Konzept bislang bewährt: „„Es gibt immer wieder kleinere Probleme im Grenzgebie­t, aber die haben mit dem Grenzverla­uf nichts zu tun“, sagt Brons.

Verwirrung durch Google

So gab es 2011 Verwirrung auf deutscher Seite, als der Kartendien­st Google Maps die Staatsgren­ze des Königreich­s plötzlich direkt in den Emder

Hafen verlegte. Die virtuelle Landnahme wurde nach deutschen Protesten schnell wieder korrigiert.

Umweltschü­tzer sehen allerdings massive ökologisch­e Probleme in der Grenzregio­n an der Ems, besonders auf niederländ­ischer Seite. Dort ist in Delfzijl und Eemshaven ein Ausbau der Energie-, Chemieund Schwerindu­strie geplant.

Die ostfriesis­chen Inseln befürchten außerdem durch ein neues Kohlekraft­werk in Eemshaven Nachteile für den Tourismus im Nationalpa­rk Wattenmeer.

 ?? DPA-BILD: INGO WAGNER ?? Die Grenze zwischen Deutschlan­d und den Niederland­en: Wo sie genau die trübe Nordsee schneidet, ist seit dem Mittelalte­r unklar. Auf diplomatis­chem Parkett wurden bisher stets friedliche Lösungen gefunden
DPA-BILD: INGO WAGNER Die Grenze zwischen Deutschlan­d und den Niederland­en: Wo sie genau die trübe Nordsee schneidet, ist seit dem Mittelalte­r unklar. Auf diplomatis­chem Parkett wurden bisher stets friedliche Lösungen gefunden

Newspapers in German

Newspapers from Germany