Ein Weihnachtsbaum – vier Steuersätze
Mehrwertsteuer vor 50 Jahren in Deutschland eingeführt – Geringverdiener besonders betroffen
Kritik gibt es an den vielen Abweichungen. Dabei hatten die Experten 1968 eine einfache Regelung im ?inn.
BERLIN – Haben Sie Ihren Christbaum auf einer Weihnachtstannen-Plantage auf dem platten Land erstanden? Das hätten Sie, zumindest steuerlich, günstiger haben können: 10,7 Prozent an Mehrwertsteuer fallen hier an, im Baumarkt wären es nur 7 Prozent gewesen und im Wald gar nur 5,5 Prozent. Beim Pendant aus Plastik schlägt der Fiskus 19 Prozent drauf. Bei einem Baum, der steuerfrei 30 Euro kosten würde, macht das einen Aufschlag zwischen 1,65 und – beim Plastikbaum – 5,70 Euro aus.
Kurzum: 50 Jahre nach ihrer Einführung in Westdeutschland machen die Irrungen und Wirrungen der Mehrwertsteuer selbst vor dem Weihnachtsbaum nicht halt. Außer auf Helgoland, denn die Nordsee-Insel ist ebenso wie die deutsche Exklave Büsingen in der Schweiz mehrwertsteuerfreie Zone.
Dass ein solches GesetzesGeflecht entstehen würde, hätten sich die Finanzpolitiker Ende der 1960er Jahre wohl nicht träumen lassen. Schließlich sollte die neue Mehrwertsteuer eine Abgabe ersetzen, deren Name bereits auf ein Ungetüm schließen lässt: Die „Allphasen-BruttoUmsatzsteuer“fiel bei jedem Verkaufsschritt innerhalb der Produktionskette an.
Das begünstigte die Großen und förderte so FirmenZusammenschlüsse und -übernahmen: „Ein Großkonzern, der alle Prozesse bei sich integriert hatte, musste diese Steuer nur einmal bezahlen. Wenn das Produkt hingegen mehrere Betriebe durchlief, musste jeder von ihnen die Steuer abführen“, erklärt Historiker Marc Buggeln von der Humboldt-Universität Berlin.
Seit dem 1. Januar 1968 ist das anders. Heute zahlen Firmen und Händler einander zwar den Bruttopreis inklusive Mehrwertsteuer, bekommen diese aber größtenteils vom Staat erstattet (Vorsteuerabzug). Nur für die von ihm verursachte Wertsteigerung etwa durch Weiterverarbeitung muss jede Firma aufkommen. Zur Kasse gebeten wird am Ende der Verbraucher, an den die Firmen die Kosten weitergeben.
Das trifft vor allem Geringverdiener, weil diese einen höheren Teil ihres Einkommens für Konsum und damit für die Mehrwertsteuer ausgeben als Gutverdiener. „Wenn man vor allem die Bürger, die untere und mittlere Einkommen beziehen, steuerlich entlasten will, sollte man nicht die Einkommensteuer senken, sondern die Mehrwertsteuer“, folgert Ökonom Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Anlass zur Kritik bietet auch das dichte Gestrüpp an Abweichungen vom vollen Mehrwertsteuer-Satz von 19 Prozent. Rechnungshof-Präsident Kay Scheller schüttelt darüber nur den Kopf. „Gänseleber, Froschschenkel, Trüffel ohne Essig: 7 Prozent. Trüffel in Essig: 19 Prozent. Das muss man ja mal erklären, und ich könnte es nicht.“
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Mehrwertsteuer
Die Mehrwertsteuer wurde am 1. Januar 1968 in Deutschland eingeführt. Diese Steuer zahlen Menschen bei uns, wenn sie etwas kaufen. Das Geld ist in die Preise eingerechnet. Wir können das am Kassenbon sehen. Denn dort steht nicht nur, was wir zahlen müssen, sondern auch, wie viel Mehrwertsteuer an den deutschen Staat geht. übrigens schon bei der Einführung aus. Verbraucherverbände beklagten „Preistreiberei“, wie der „Spiegel“Anfang 1968 berichtete. „Manche haben die Preise gesteigert und das mit dem neuen System begründet“, erzählt Buggeln. „Dabei hatte das damit gar nichts zu tun.“