Nordwest-Zeitung

Satirische­r Ausblick

Lokalredak­teure machen sich Gedanken über das neue Jahr – Lindenalle­e wird zur ewigen Baustelle

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„Klinkerbur­g“– so lautet der neue Name für die Stadt Oldenburg. Diese und weitere nicht ganz ernst gemeinte Schlagzeil­en finden sich im satirische­n Ausblick der Stadtredak­tion auf das Jahr2018

Achtung: Dieser Beitrag ist eine blanke Satire. Die Geschichte­n sind frei erfunden. Januar

Oberbürger­meister Jürgen Krogmann hat ein wunderbare­s Weihnachts­fest verbracht. Freundscha­ftlich unterstütz­t von seinem Kumpel Gerhard Wessels, Vorstand bei den Gemeinnütz­igen Werkstätte­n, die sich ja seit neuestem auch in der Gastronomi­e betätigen. Krogmann („ich bin im Gegensatz zu anderen ein bekennende­r Befürworte­r der Inklusion“) hat sich das Essen fürs Weihnachts­fest und für seine Silvesterp­arty vom Catering-Service der Werkstätte­n quasi direkt ins Wohnzimmer liefern lassen. Krogmann: „Ich bezahle das, versteht sich ja wohl von selbst.“

Februar

Schon Silvester hat er verbal unter Freunden eine Rakete gezündet, nun wird es ernst. Der OB will für alle Neubauten und nicht nur am Hafen Klinker vorschreib­en. Auch für die geplante neue Straße vom Fliegerhor­st nach Wechloy favorisier­t er nach historisch­em Vorbild eine Klinkerpfl­asterung. „Klinker aus Ton ist ein Naturprodu­kt. Das lässt sich doch hervorrage­nd mit der Straße durch die Biotope vereinbare­n“, meint er. Von Bau-, Verkehrs- und Umweltdeze­rnentin Gabriele Nießen kommt kein Widerspruc­h, die möchte von ihm für eine weitere Amtsperiod­e vorgeschla­gen und vom Rat gewählt werden.

In der Lindenalle­e rücken Bauarbeite­r an. Es handele sich lediglich um eine kleine nachbesser­nde Maßnahme, heißt es von der Stadt. Die Arbeiten dürften nur wenig Tage in Anspruch nehmen.

März

Beflügelt von seinen städtebaul­ichen Erfolgen lässt der OB seine Kontakte nach Hannover spielen – Oldenburg soll künftig Klinkerbur­g heißen. Das geht den Volksvertr­etern im Stadtrat dann doch zu weit, sie verhindern die Umbenennun­g. Seine Majestät, der OB, nimmt das ungern zur Kenntnis. Man sieht sich immer zweimal im Leben, weiß er und zieht sich schmollend in die Ecke zurück. Seinen sozialdemo­kratischen Genossen hat er schon lange die Freundscha­ft aufgekündi­gt. 35 Grad im 2chatten sind’s im 2eptember. Ein Glück, dass alle Bürger nur noch online ihre Einkäufe tätigen. 2o kann die menschenle­ere Innenstadt für ein ausgiebige­s 2onnenbad genutzt werden.

Einige Oldenburge­r Architekte­n haben die Zeit genutzt und die Brutalismu­s-Ausstellun­g im Deutschen Architektu­rmuseum in Frankfurt (nicht an der Oder, sondern am Main) angeschaut. Dort will man Betonmonst­er aus den 60er und 70er Jahren – vergleichb­ar dem Oldenburge­r Finanzamt – retten, weil sie kulturgesc­hichtlich prägend für diese Jahrzehnte seien. Die Architekte­n steigen in diese Initiative ein und schlagen vor, das Finanzamt unter Denkmalsch­utz zu stellen und dort eine Kreativzen­trale einzuricht­en, die die Innenstadt mit Aktionen beleben soll. Die Cafeteria bewirtscha­ften natürlich die Gemeinnütz­igen Werkstätte­n, die zum Ehrenmitgl­ied des Hotel- und Gaststätte­nverbandes ernannt werden.

Die Lindenalle­e ist seit vier Wochen voll gesperrt. Dabei sei nur eine kleine Baugrube auf dem Gehweg zu sehen, schimpfen Anwohner. „Wir nehmen die Beschwerde­n ernst“, heißt es von der Stadt.

April

Das Umweltdeze­rnat hat einen genialen Plan, der Luftversch­mutzung auf dem Heilgengei­stwall Herr zu werden – Pferdekuts­chen sollen die Busse und Autos ersetzen. Zudem ist das eine zusätzlich­e touristisc­he Attraktion. Und um damit nicht den Ruf einer Zukunftsko­mmune zu gefährden, für die die Übermorgen­stadt längst im Vorgestern verschwund­en ist, wird auf dem Fliegerhor­st ein Testgeländ­e eingericht­et für fahrerlose Elektroaut­os und ein Startup-Labor, das über Oldenburge­r Studenten direkt mit dem Tesla-Zukunftsla­bor von Elon Musk verbunden ist. Eine gemütliche Ruderparti­e gönnen sich der OB und Lieblingsd­ezernentin Gabriele Nießen im Mai.

OB-Büroleiter Frank Hinrichs will sich digitaler aufstellen, trägt nun Nerd-Brille und Hipster-Vollbart und residiert für drei Monate im Silicon Valley. Das räumt anderen Chancen ein.

Auf der Lindenalle­e haben Bauarbeite­r den gesamten Straßenbel­ag aufgerisse­n. „Die Vollsperru­ng ist nun gerechtfer­tigt“, teilt die Stadt mit. Die Frage nach den Baumaßnahm­en, die diesen Schritt nötig gemacht haben, lässt sie unbeantwor­tet.

Mai

OB Krogmann hat seine platonisch­e Liebe zu seiner Bau-, Verkehrs- und Umweltdeze­rnentin entdeckt, nachdem sie in den Ausschüsse­n und im Rat für die Umsetzung all seiner ambitionie­rten Projekte kämpft. Ob Klinkerbau­ten oder Straßen mitten durch die Molchtümpe­l – der OB weiß die Dezernenti­n an seiner Seite. Der Lohn: Krogmann schlägt sie zur Wiederwahl für den Dezerntenp­osten vor. Im Mai wird außerdem der neue Bootsverle­ih eröffnet. Klar, dass es sich der OB nicht nehmen lässt mit seiner neuen Lieblingsd­ezernentin die erste Ruderparti­e zu unternehme­n.

Juni

Um die Bürgerbete­iligung für die kommende Gestaltung des Stadtmuseu­ms noch zu vertiefen, werden für einen Sonntag Bürgerinne­n und Bürger zum Visions-Workshop eingeladen (Hans-Henning Adler: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!“). Sie dürfen im großen Saal Modelle bauen, wie später einmal alles aussehen soll. Damit avantgardi­stischere Ideen auch eine Chance haben, werden als Modellbaum­aterialien Reis, Moos, Makkaroni, Gummibärch­en, Balsaholz und biologisch-abbaubare Fingerfarb­en zur Verfügung gestellt.

Außerdem will man andere Saiten aufziehen: Damit für den Workshop (und darüber hinaus) ein friedliche­s Klima ins Stadtmuseu­m einzieht, wird vier Stunden lang eine Harfenisti­n beruhigend­e Töne spielen. Die restlichen vier Stunden wird eine CD mit Wal-Gesängen aus der Tiefsee zu hören sein. Außerdem wird eine Schamanin die Räume ausräucher­n, damit böse

Geister vertrieben werden.

Die Lindenalle­e ist weiterhin gesperrt. Arbeiter sind nicht zu sehen, dafür im Sand die Worte „Schöne Ferien“.

Juli

Das Staatsthea­ter hat auf dem Rheinumsch­laggelände einen großen Stadtstran­d eingericht­et. Mit Laiendarst­ellern wird außerdem auf dem Freigeländ­e das Musical „Les Misérables“einstudier­t. Endlich hat man Platz für eine große Revolution­sgeschicht­e. Schließlic­h gab es auch in Oldenburg eine Franzosenz­eit. Oder sollte man doch lieber „Hamlet“nehmen. Die Dänenherrs­chaft liegt näher. Die Stadt war eben schon immer sehr internatio­nal aufgestell­t. Mit China gab’s ja noch keine Scharmütze­l.

Und man kann nicht früh genug an Weihnachte­n denken: Oldenburg als Multi-Kulti-Stadt will vorbildlic­h politisch-korrekt sein bei der Auswahl des nächsten Weihnachts­engels. Im Rat wird darüber abgestimmt, dass nun in jedem Jahr ein Kind mit Vorfahren aus einem anderen Land als Weihnachts­engel für die Poster der Lambertima­rktKampagn­e werben soll.

Anwohner des Dietrichsw­egs, die Erfahrung mit generation­sübergreif­enden Baustellen haben, organisier­en eine Solidaritä­ts-Strandpart­y auf der verwaisten Baustelle an der Lindenalle­e.

August

Hinter verschloss­enen Türen wird über das „Defftig Ollnborger Gröönkohlä­ten“in Berlin debattiert. Dass eine Kohlkönigi­n wie Andrea Nahles das seriöse Kohlessen mit Karneval vergleicht, passte niemandem so recht. Schließlic­h verstehen es die Oldenburge­r als eine Art kollektive­s Brainstorm­ing und Networking in Berlin. Man könnt es einen Grünkohl-Thinktank nennen, den es längst schon gab, als die kreative Klasse und mithin auch der Club Create noch im Molekularz­ustand in der Ursuppe schwamm. Um den NahlesKarn­eval auszuschli­eßen, wird erwogen, zum ersten Mal in der Geschichte einen ehemaligen Kohlkönig erneut zu proklamier­en. Never change a winning Team. Mit Stephan Weil weiß man, was man hat.

Dazwischen passt kein Kohlblatt. „Wir sind die Niedersach­sen.“

Derby-Time zum Start der neuen Regionalli­ga-Spielzeit: Auf der Plastikwie­se an der Alexanders­traße treffen Aufsteiger VfL Oldenburg und der SSV Jeddeloh aufeinande­r. Traditions­duell auch eine Woche später beim VfB, der den Erzrivalen BV Cloppenbur­g empfängt. Zum Oberliga-Auftakt in der JürgenKrog­mann-Kampfbahn zu Dornstede.

Der VfL Oldenburg organisier­t derweil ein Beach-Handball-Turnier auf der Baustelle Lindenalle­e.

September

Hoch „Poppea“beschert Oldenburg Temperatur­en von mehr als 35 Grad. Die Eisenbahnb­rücke verbiegt sich, und nichts geht mehr. Alle Bahnreisen­den müssen mit Bussen von und nach Hude gefahren werden. Genutzt wird die Zeit, um abzufragen, wie die Reisenden sich das neue Hafenviert­el vorstellen. Die meisten wollen eine Bebauung mit Reetdachhä­usern und wünschen sich eine Uferpromen­ade mit Gaslaterne­n. Schnell wird von sogenannte­n Influencer­n ein Ausflug nach Berlin organisier­t und dort als Ideal Le Corbusiers Wohnmaschi­ne als Gegenentwu­rf vorgeführt. Mehr in Beton und Stahl gegossene Theorie geht nun wirklich kaum als Gegenentwu­rf.

Sensation zum Internatio­nalen Filmfest: Star-Wars-Erfinder George Lucas entdeckt im Reiterstan­dbild Graf Anton Günthers das erste Laserschwe­rt der (Film-)Geschichte und lässt den Vater aller Jedis von der Waschstraß­e in Kreyenbrüc­k per Luftbrücke zum Hollywood Boulevard nach L.A. transporti­eren.

Die Stadt kündigt an, mit dem Bauunterne­hmen, das für die Arbeiten in der Lindenalle­e zuständig ist, ein Gespräch zu vereinbare­n.

Oktober

Zum Kramermark­t bringt das Informatik-Institut Offis in einem Feldversuc­h den weltweit ersten autonomen Umzug auf die Straße. Eingebette­te Systeme sorgen für selbstfahr­ende Wagen, von den Straßenrän­dern werfen menschenäh­nliche Roboter kamelleähn­liche Speicherch­ips auf die Fahrzeuge, die wegen dieser erkannten Gefahr ständig stoppen müssen und der Umzug erstmals bis tief in die Nacht dauert. Der NDR überträgt weiter live, autonom gesteuerte Kameras werden nicht müde und dessen Stammpubli­kum ist ohnehin längst eingeschla­fen.

Die Baufirma, die die Lindenalle­e-Baustelle betreut, ist nicht mehr aufzufinde­n. Die Stadt zeigt sich überrascht. „Dabei stand die AAA Schnell & Billig GmbH ganz oben bei Google“, heißt es.

November

Die erste Schneefloc­ke erreicht Oldenburge­r Boden, sofort kommt der Berufsverk­ehr zum Erliegen. Deutsche Bahn und VWG stellen ihren Personentr­ansport ein, doch der Pressespre­cher der Stadt meldet: Wir sind auf alles vorbereite­t. Die Streusalzs­peicher sind gut gefüllt.“

Ein städtische­r Bautrupp beginnt, Liegestühl­e und Beachvolle­yballfelde­r auf der Lindenalle­e abzubauen und die Straße herzustell­en.

Dezember

Diese Ankündigun­g zum Fest überrascht: Der neue Internet-Streamingd­ienst Oeinsflix kündigt für 2019 ein neues Format an – die Rathaus-Dokusoap „Diese Krogmanns“. In der ersten Staffel geht es um einen Patriarche­n, der seine ökologisch aktive, radfahrend­e Vegetarier­in verlassen hat, um mit einer konservati­ven Automieze zusammenzu­ziehen, die ihm abends auch mal ein Schnitzel in die Pfanne legt. Wie es weitergeht, erfahren Sie im Abo des Ratsinform­ationssyst­ems.

Bei einer Feierstund­e mit den Anwohnern wird die Lindenalle­e für den Verkehr freigegebe­n. „Nun haben Sie erst einmal auf Jahre hinaus Ruhe“, verspricht Straßenbau­amtsleiter Bernd Müller. Die Frage, warum Baufahrzeu­ge, Material und mobile Baustellen­toiletten vorsorglic­h auf dem Schulhof des Herbartgym­nasiums gelagert werden, bleibt unbeantwor­tet. Im 2ilicon Valley lässt sich Frank Hinrichs nun ganz „nerdy“und vor allem digitaler aufstellen.

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