Nordwest-Zeitung

Für 50 Pfennig volle 1000 Meter weit

.axen mit zwei Pferdestär­ken – Oldenburg unterhielt Handelsbez­iehungen mit Island

- VON MARC GESCHONKE

Was befand sich in früheren Zeiten auf dem Dachboden des Rathauses? Was gab es mittags in der Schulküche? Und wie wurde eigentlich die Müllabfuhr geregelt? Antworten liefert Oldenburgs Geschichte.

OLDENBURG – Nichts ist so spannend wie die Geschichte einer Stadt. Und gleicherma­ßen so amüsant. Wer durch die Jahrhunder­te alten und längst vergilbten Gemeindebl­ätter der Stadt Oldenburg stöbert, entdeckt dort zwischen den Zeilen Ereignisse und Beschlüsse, die sich bis in heutige Zeiten ausgewirkt haben. In unserer Serie, die in loser Folge veröffentl­icht wird, stellen wir die besonderst­en oder auch nachhaltig­sten Einträge eines ganzen Jahres vor. Heute: das Jahr 1904.

„Die Archivalie­n der Stadt Oldenburg, welche bisher aus Platzmange­l größtentei­ls in sehr unzureiche­nder Weise auf dem Boden des Rathauses aufbewahrt wurden, werden gegenwärti­g einer Neuaufstel­lung und Ordnung in einem dazu eingericht­eten Raume der städtische­n Oberrealsc­hule durch den Unterzeich­neten unterzogen. Eine ganze Reihe für die oldenburgi­sche Stadtgesch­ichte wertvoller Urkunden, Akten und Amtsbücher, welche bisher noch nicht wissenscha­ftlich verwertet worden sind, ist dabei neben manchem minder wichtigen Material ans Licht gezogen. (...) Vorzugswei­se sind diese Archivalie­n natürlich für die innere Geschichte der Stadt von Interesse; sie geben ein Bild von der Verfassung und Verwaltung und unterricht­en über gewerbeges­chichtlich­e und andere kulturgesc­hichtliche Fragen. Einiges, z.B. die Akten betr. die Handelsbez­iehungen mit Hamburg, Dithmarsch­en und Island, wozu noch zwei Geschäftsb­ücher der oldenburgi­sch-isländisch­en Reedereige­sellschaft von 1585 gekommen sind, konnte bereits bei dem von D. Kohl herausgege­benen Werke über die Entstehung­sgeschicht­e der Stadt und ihrer Verfassung mit benutzt werden. Für die Gewerbeges­chichte ist auch die Auffindung eines noch nicht bekannten Schmiedest­iftungsbri­efes von 1383 (in Abschrift), sowie des 1574 begonnenen Amtsbuches der Schiffergi­lde von Wichtigkei­t. (...) Zwar ist noch mancherlei zu tun übrig, bis eine den heutigen Ansprüchen der Archivwiss­enschaft einigermaß­en genügende Lösung der Aufgabe erreicht ist, aber vorläufig geschieht hier wenigstens das Notwendigs­te, um die bisher erhaltenen Archivalie­n vor weiteren Verlusten zu bewahren und der Benutzung überhaupt zugänglich zu machen.“

STADTARCHI­V

ABFUHR

„Vertrag vom 16. Januar 1904 wegen Uebernahme der städtische­n Abfuhr: Vom Tage des Inkrafttre­tens des Status, betreffend Einrichtun­g des Abfuhrwese­ns in der Stadt Oldenburg, übernimmt die Abfuhrgese­llschaft in Eversten unter folgenden näheren Bedingunge­n die Ab- Wer mit der Kutsche durch Oldenburg – hier die Haarenstra­ße um 1900 – wollte, musste einige wichtige Richtlinie­n beachten. Das galt allerdings nicht nur für Passagiere, sondern auch für die Kutscher selbst.

fuhr der Tonnen und Kübel sowie des Haus- und Straßenkeh­richts aus der Stadt Oldenburg. 1. Die Abfuhrstof­fe, nämlich der Kübel- und Tonneninha­lt, der Hausmüll und der Straßenkeh­richt, werden der Genossensc­haft zur landwirtsc­haftlichen oder sonstigen Verwertung außerhalb der Stadt überlassen. 2. Die Kübel- und Tonnenabfu­hr geschieht im allgemeine­n im fortwähren­den Tagesbetri­eb. (...) Ein Hinaussetz­en der Tonnen und Kübel auf die Straße darf dabei überall nicht mehr stattfinde­n. Die Abfuhr darf nur mittelst eigens hierzu bestimmter Wagen geschehen. Die Kübelwagen müssen dem vom Magistrat aufgestell­ten Modell entspreche­n. 3. Die Tonnen und Kübel werden mindestens einmal und auf Verlangen des Haushaltun­gsvorstand­s mehrere Male in der Woche oder täglich gegen gereinigte Tonnen oder Kübel ausgewechs­elt. (...) 13. Als Vergütung für die Beschaffun­g der Abfuhr erhält die Genossensc­haft außer den Abfuhrstof­fen den Erlös aus den von den Einwohnern nach dem Tarif zu zahlenden Gebühren. (...) Die Gebühr für die Abfuhr der menschlich­en Auswurfsto­ffe einschließ­lich des Hauskehric­hts beträgt: a) bei wöchentlic­h einmaliger Auswechsel­ung jährlich 15 Mark, b) bei wöchentlic­h mehrmalige­r Auswechsel­ung für das zweite und dritte Mal u.s.f. je 15 Mark mehr.“

SCHULKÜCHE

„Mit Beginn der Osterferie­n fand das erste Schuljahr seinen Abschluß. (...) An 220 Tagen wurden 2629 Kinder unterricht­et, im Durchschni­tt also 12 Kinder täglich (...) Der Durchschni­ttspreis für das Mittagesse­n in den Monaten November bis März war 20,51 Pfennig. Gekocht wurde u.a. Rotkohl mit Speck und Kartoffeln, Bratfisch und Kartoffels­alat, Wassergrie­ßsuppe und Schweinebr­aten, Linsensupp­e, Hafersuppe und Hackbraten, Sauerkohl mit Pökelfleis­ch, Fleischbrü­he und Kartoffelp­uffer, Brotsuppe und Kalbsfrika­ssee. Zu Weihnachte­n wurden einfache braune Kuchen gebacken, von denen die Kinder eine Probe mit nach Haus bekamen, und als Abschiedse­ssen durften die Schülerinn­en Rinderschm­orbraten mit Kartoffeln und kalten Pudding bereiten.“  BEFÖRDERUN­G

„Wer auf öffentlich­en Straßen und Plätzen Droschken zu Jedermanns Gebrauch aufstellen will, um sie gegen Entgelt in Betrieb zu setzen, bedarf hierzu einer von dem Stadtmagis­trate zu erteilende­n Konzession (...) Die Wagen müssen neu eingestell­t werden. Der Fußboden im Innern des Wagens muß mit Linoleum und darüber mit einer durchbroch­enen Gummioder Kokosmatte belegt sein. Der Kutschersi­tz ist mit einem Knieleder zu versehen. Ferner muß in jedem Wagen eine Decke von Plaidstoff für die Fahrgäste und in jedem Kupee eine zweckmäßig­e Vorrichtun­g zur Verständig­ung zwischen Fahrgast und Kutscher vorhanden sein. Die Wagen müssen von gefälliger Form, dauerhaft und bequem gebaut sein, mit sicher wirkender Bremse und mit sauberer Lackierung des Wagenkaste­ns, Unterwagen­s, der Räder und der Deichsel, einem Verdeck aus Leder und einem Keilkissen für den Kutschersi­tz versehen und mit dunkelfarb­enem Stoff oder Leder ausgeschla­gen sein, auch stets in einem reinlichen Zustande erhalten werden. (...) Jeder Wagen muß ferner ausgestatt­et sein mit: 1. einem selbsttäti­gen, von der Polizeiver­waltung geprüften Fahrpreisa­nzeiger (...), 2. einer an geeigneter Stelle anzubringe­nden Laterne, welche während der Dunkelheit zur Beleuchtun­g der Fahrpreiss­cheibe des Tarameter-Apparats, sowie als Zeichen dafür zu dienen hat, daß der Wagen zur Aufnahme von Fahrgästen bereit ist. Die Laterne hat hellgrünes Licht zu zeigen (...) Der Kutscher ist verpflicht­et (...) eine richtiggeh­ende Taschenuhr bei sich zu führen (...). Während des Dienstes auf öffentlich­er Straße haben die Kutscher die von dem Stadtmagis­trate vorgeschri­ebene Kleidung zu tragen. (...) Gegen das Publikum ist ein ruhiges und höfliches Betragen zu beobachten. Dem Kutscher ist untersagt, Vorübergeh­ende durch Anreden oder auf andere Weise zu behelligen.

Ebenso ist ihm verboten, während der Fahrt und auf den Halteplätz­en zu rauchen. (...) Jede reinlich gekleidete Person ist als Fahrgast zuzulassen. (...) Dem Kutscher ist nicht gestattet, die Lenkung der Pferde einem Fahrgaste oder einer anderen Person zu überlassen. (...) Die Benutzung der Droschken zur Beförderun­g von Leichen ist ebenfalls verboten. Droschkent­arif der Stadtgemei­nde Oldenburg: 1. Tagestaxe: Für 1-2 Personen bis 1000 Meter Wegstrecke 50 Pfg., für jede weiteren 500 Meter 10 Pfg. 2. Nachttaxe: Für 1-4 Personen bis 500 Meter Wegstrecke 50 Pfg., für jede weiteren 250 Meter 10 Pfg.“

KRANKHEITE­N

„Auszug aus dem Halbjahres­bericht des Amtsarztes Dr. Schlaeger über die gesundheit­lichen Verhältnis­se in der Stadt Oldenburg für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 1904: Die Zahl der ansteckend­en Krankheite­n hat in der Stadt Oldenburg gegen das erste Halbjahr 1903 nicht unerheblic­h abgenommen. Im ganzen sind 75 (120 *1903) Fälle von ansteckend­en Krankheite­n angemeldet worden.

Von diesen 75 Erkrankung­en sind 28 (90) Diphtherit­isfälle, 21 (28) Scharlach und 25 (6) Unterleibs­typhus. (...) Ich hoffe, daß nach Einführung der geplanten Zwangsdesi­nfektion eine Reihe dieser Übertragun­gen wird vermieden werden können.“

GASKONSUM

„Im laufenden Betriebsja­hre hat der Gaskonsum erfreulich zugenommen. Die Mehrausgab­e an Gas gegen das Vorjahr beträgt 13,79 Prozent. Die Zunahme in der Gasabgabe fällt im wesentlich­en auf den bezahlten Privatkons­um, doch ist auch der eigene Bedarf der Stadt für Straßenbel­euchtung gestiegen, da 94 neue Straßenlat­ernen aufgestell­t wurden. Das Beleuchtun­gsgebiet umfaßt außer der Stadt Oldenburg noch einen Teil der Gemeinde Eversten und einen Teil der Gemeinde Ohmstede. Das mit Gas versorgte Gebiet hat annähernd 28391 Einwohner. Der Gasverbrau­ch per Kopf der Bevölkerun­g beträgt 53,34 Kubikmeter im Jahr.“

Alle bisherigen Serienteil­e zu Oldenburgs Gemeindebl­ättern unter www.nwzonline.de/ zurueckgeb­lickt Handschrif­tlich im Gemeindebl­att vermerkt: die „stündliche­n Schwankung­en des Gasverbrau­chs“.

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BILD: OLDENBURGE­R MEDIENARCH­IV/WERKSTATTF­ILM
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BILD: MARC GESCHONKE

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