Nordwest-Zeitung

Weniger Religion ist mehr

Der 31. Oktober ist die falsche Wahl für den neuen Feiertag im Land

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Niedersach­sen sucht den Feiertag. Was für ein merkwürdig­es Schauspiel, und wie paradox dazu: Feiertage entstanden einst, weil die Menschen ohne Ablenkung durch Arbeit eines Ereignisse­s oder eines Menschen gedenken wollten. Beispiel Schabbat: Juden ehren den Ruhetag Gottes, den dieser nach dem Schöpfungs­akt einlegte und damit die Schöpfung und Gott an sich. Heute dagegen möchten die Menschen gern einen weiteren Tag frei haben – und suchen nun verzweifel­t nach einem Ereignis, das diesem Tag Sinn zu geben vermag.

Ausgerechn­et die evangelisc­he Kirche, die in ihrer Geschichte Dutzende katholisch­e Feiertage hat im Orkus verschwind­en lassen, dringt nun im 21. Jahrhunder­t mit Macht darauf, den historisch­en Tag ihres Gründungsm­ythos, den Reformatio­nstag, politisch zu kanonisier­en. Das ist das zweite Paradoxon der großen niedersäch­sischen Feiertagss­uche.

Wie auch immer man nun zu einem weiteren freien Tag im Jahr stehen mag, eines ist sicher: Der Jahrestag des angebliche­n Thesenansc­hlages Martin Luthers in Wittenberg ist die falsche Wahl.

Da ist zunächst die Person des Protagonis­ten mit dem Hammer. Luther war ein Judenfeind und Hexengläub­iger. Er wollte nie einen „Dialog der Religionen“, er wollte eine einzige Religion und eine einzige Art der Verehrung Gottes. Als Kronzeuge für reliAnlass giöse Toleranz ist der Mann schlicht unbrauchba­r.

Zum Zweiten ist das Narrativ von Gewissens- und Geistesfre­iheit, die angeblich Töchter der Reformatio­n seien, ein Mythos. Das Gegenteil, ist der Fall. Das evangelisc­he Pfarrhaus war in der Geschichte nicht weniger repressiv als das katholisch­e. Es war die Bastion des antikathol­ischen Kulturkamp­fes im 19. Jahrhunder­t, und in so manchem herrschte im frühen 20. Jahrhunder­t der Ungeist der „Deutschen Christen“.

Wer von der Reformatio­n spricht, muss zudem auch von Konfession­alisierung, von Religionsk­riegen und von Zwang sprechen. Dazu zählen Massaker an Katholiken, Hexenverfo­lgung und blutige theokratis­che Diktaturen wie die Calvinsche in Genf. Und die Geistesfre­iheit? Bis ins 19. Jahrhunder­t hinein konnten da etwa nur Protestant­en an der berühmten Leipziger Universitä­t Professore­n werden. Katholiken blieb das verwehrt, Juden ohnehin. Das ist alles wahrlich kein Grund zum Feiern, schon gar nicht für einen neu eingeführt­en arbeitsfre­ien Tag.

Dem niedersäch­sischen Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) ist nun ein Aspekt des neuen Feiertags besonders wichtig. „Ich würde mir wünschen, dass möglichst viele Menschen den Tag nutzen zum interrelig­iösen Dialog“, sagte Weil Ende Oktober 2017. Das ist aller Ehren wert. Der Reformatio­nstag wäre dafür aber aus genannten Gründen eine Fehlbesetz­ung.

Doch es gibt ja bereits einen Feiertag, der sich für „interrelig­iösen Dialog“wie kein zweiter eignet: Weihnachte­n. Die Christen aller Konfession­en feiern an diesem Tag die Geburt Jesu, die Menschwerd­ung ihres Gottes. Jesus aber war Jude, eine Tatsache, die viel zu viele Christen im Laufe der vergangene­n 2000 Jahre zu vergessen suchten.

Zudem gilt er dem Islam als Prophet und erscheint im Koran.

Was für ein großartige­r Anknüpfung­spunkt, um über Gemeinsamk­eiten und Unterschie­de der monotheist­ischen Religionen zu sprechen! Hier ergibt sich eine natürliche Gelegenhei­t für „interrelig­iösen Dialog“, während der evangelisc­he Reformatio­nstag, der für andere als evangelisc­he Christen keine Bedeutung hat, zu diesem Zweck erst künstlich gegen den Strich aufgeladen werden muss.

Bei all dem hat die Feiertagsd­ebatte in Niedersach­sen schwerste religiöse Schlagseit­e bekommen. Es geriet völlig aus dem Blick, dass dieser neue Feiertag einen säkularen haben kann – und im Jahre 2018 auch haben sollte. In Niedersach­sen sind inzwischen weniger als die Hälfte der Menschen Mitglieder der evangelisc­hen Kirche. Die Zahlen sinken weiter, ebenso wie die Bindung vieler Kulturprot­estanten an die Amtskirche. Es ist ja verständli­ch, dass so mancher angesichts dieser Entkirchli­chung die Chance sieht, durch einen explizit evangelisc­hen Feiertag den Protestant­ismus wieder ins Gespräch zu bringen. Allerdings sollte sich der Staat hier nicht zum Handlanger von Partikular­interessen machen. Im politische­n Raum braucht es heute nicht mehr, sondern weniger Religion.

Wenn es also unbedingt ein weiterer Feiertag in Niedersach­sen sein soll, dann ein säkularer und ein regionaler. Wie wäre es zum Beispiel mit dem 1. Juni? An diesem Tag trat 1993 die Niedersäch­sische Verfassung in Kraft. Ein Niedersäch­sischer Verfassung­stag wäre Symbol für die Zusammenge­hörigkeit aller im Lande. Er wäre eine Ehrung für die freiheitli­chen Grundlagen des Zusammenle­bens und eine Würdigung der vielfältig­en, stolzen Traditione­n der Landesteil­e und Regionen.

Ein solcher Tag böte – jenseits historisch­er Fragwürdig­keiten und religiöser Befindlich­keiten – Gelegenhei­t zu echter Reflexion über Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft eines wichtigen Teils Deutschlan­ds.

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