Dicke Luft statt gutes Klima
Was die Durchstechereien für die Sondierungsges=räche bedeuten
Sie wollten diskret und ohne öffentliches Gezanke sondieren. Aber die guten Vorsätze ;on Union und SPD hielten nur einen Tag.
BERLIN < Andrea Nahles kämpft. Mit ihrer Stimme. Die SPD-Fraktionschefin ist extrem heiser, als sie am Dienstagmorgen an der bayerischen Landesvertretung in Berlin ankommt. Nahles hält trotzdem vor den Kameras, sie will etwas loswerden. „Es war gestern sehr ärgerlich, dass es Durchstechereien gegeben hat von Zwischenergebnissen“, krächzt sie. „Ich kann nur alle in der Union auffordern, den Jamaika-Modus jetzt endgültig abzustellen.“
Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) versucht zu besänftigen. Alles, was derzeit auf dem Tisch liege, seien nur Zwischenergebnisse, bis zum Schluss alles ausverhandelt sei. Aber ein atmosphärischer Dämpfer bleibt doch – zur
Halbzeit der Sondierungen. Für die Gemütslage bei den Sondierungen kommt die Indiskretion also ziemlich ungelegen.
Union und SPD hatten sich Großes vorgenommen. Alles sollte anders sein als bei Jamaika: keine Durchstechereien, kein exzessives Twittern, keine Veröffentlichung von Zwischenständen, keine öffentlichen Provokationen, keine Interviews der Sondierer.
Streit um <inanzen
Am ersten Tag hielt die Disziplin noch einigermaßen. Kaum ein Wort ließen sich die Sondierer da entlocken, einzelne sagten demonstrativ Interviews ab. Am zweiten Tag, am Montag, war es dann vorbei mit den guten Vorsätzen. Zuerst schimpfte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) vor laufender Kamera, die „Grundtonalität“bei den Sondierungen sei falsch, es werde zu viel übers Geldverteilen geredet. Streitereien über die Finanzen drangen nach außen.
Und vor allem gelangte das erste Arbeitspapier an die Öffentlichkeit – die Ergebnisse
der Klima-Arbeitsgruppe. Der Begleit-Tenor: Union und SPD verabschieden sich von den Klimazielen 2020.
Der CDU-Verhandlungsführer beim Klima, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, stellte sich noch am Montagabend in Düsseldorf beim Neujahrsempfang der Industrieund Handelskammer hin und verkündete eine Einigung: Mit der SPD habe man innerhalb von zwei Sitzungen das Thema Energiepolitik abgeschlossen, sagte er da.
Laschet kommt aus einem Kohle-Land. Die Botschaft, dass sich der Umbau zu erneuerbaren Energien länger hinziehen soll, ist dort nicht unwillkommen. Auch die NRWSPD tickt da nicht anders. Aber die Bundes-SPD will nicht als Klima-Bremser dastehen.
Die NRW-SPD, der größte Landesverband der Partei, ist wichtig für die Frage, ob das Projekt von Union und SPD in Berlin überhaupt zustande kommt. SPD-Chef Martin Schulz hat – falls sich beide Seiten denn einig werden – einen Parteitag in Bonn von einer Groko zu überzeugen. Ein beträchtlicher Teil der Ge- nossen dort wird aus NRW kommen. Die Groko-Skepsis unter ihnen ist groß.
Und in der Sache? Der – auf lange Sicht unvermeidbare – Kohleausstieg bereitet längst nicht nur NRW Kopfzerbrechen. Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) soll leicht panisch reagiert haben, als Merkel den Grünen während der Jamaika-Gespräche in Sachen Klima Zusagen machte. Das Problem: Da, wo viel Kohle ist, gibt es meist sonst nicht viel. Deswegen zählt für die Länderchefs jeder Arbeitsplatz.
Und Merkel? Sitzt zwischen den Stühlen – und bekommt ein Problem in Sachen Glaubwürdigkeit. Ihr Bekenntnis zum 2020-Ziel im Wahlkampf („Das verspreche ich Ihnen“) fliegt ihr nun um die Ohren. Nicht nur Aktivisten, sondern auch Wirtschaftsexperten weisen darauf hin, dass Klimaschutz immer teurer wird, je länger man ihn hinauszögert.
Mal nüchtern betrachtet: Dass Deutschland die Klimaziele für 2020 reißt, war schon länger absehbar. Zu schaffen wäre es natürlich. Greenpeace, der WWF und die Grü- nen etwa haben dafür Konzepte vorgelegt. Aber politisch durchsetzbar ist das inzwischen kaum noch. Dafür haben die letzten Regierungen – alle angeführt von Merkel – schlicht zu wenig getan.
Mehr als eine Botschaft
In dem Klimapapier der Sondierer steckt allerdings mehr als die eine Botschaft. So soll ein Klimaschutzgesetz beschlossen werden, das die SPD 2013 noch nicht gegen die Union durchsetzen konnte. Ende 2018 soll es ein Datum für den Kohleausstieg geben. Zudem sollen die erneuerbaren Energien stärker ausgebaut werden als bisher vorgesehen.
Eine Sache also, die die Bundes-SPD beim Parteitag eigentlich gut verkaufen könnte, um über absehbare Unerfreulichkeiten an anderer Stelle des Gesamtpakets hinwegzutrösten. Der eine oder andere Politiker, auch von der SPD, hätte gerne gegengesteuert und die Fortschritte nach vorn gestellt. Aber das war nicht erlaubt. Da funktionierte es dann doch, das Schweige-Gebot.