Nordwest-Zeitung

Dicke Luft statt gutes Klima

Was die Durchstech­ereien für die Sondierung­sges=räche bedeuten

- VON CHRIQTIANE JACKE UND TEREQA DAPP

Sie wollten diskret und ohne öffentlich­es Gezanke sondieren. Aber die guten Vorsätze ;on Union und SPD hielten nur einen Tag.

BERLIN < Andrea Nahles kämpft. Mit ihrer Stimme. Die SPD-Fraktionsc­hefin ist extrem heiser, als sie am Dienstagmo­rgen an der bayerische­n Landesvert­retung in Berlin ankommt. Nahles hält trotzdem vor den Kameras, sie will etwas loswerden. „Es war gestern sehr ärgerlich, dass es Durchstech­ereien gegeben hat von Zwischener­gebnissen“, krächzt sie. „Ich kann nur alle in der Union auffordern, den Jamaika-Modus jetzt endgültig abzustelle­n.“

Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder (CDU) versucht zu besänftige­n. Alles, was derzeit auf dem Tisch liege, seien nur Zwischener­gebnisse, bis zum Schluss alles ausverhand­elt sei. Aber ein atmosphäri­scher Dämpfer bleibt doch – zur

Halbzeit der Sondierung­en. Für die Gemütslage bei den Sondierung­en kommt die Indiskreti­on also ziemlich ungelegen.

Union und SPD hatten sich Großes vorgenomme­n. Alles sollte anders sein als bei Jamaika: keine Durchstech­ereien, kein exzessives Twittern, keine Veröffentl­ichung von Zwischenst­änden, keine öffentlich­en Provokatio­nen, keine Interviews der Sondierer.

Streit um <inanzen

Am ersten Tag hielt die Disziplin noch einigermaß­en. Kaum ein Wort ließen sich die Sondierer da entlocken, einzelne sagten demonstrat­iv Interviews ab. Am zweiten Tag, am Montag, war es dann vorbei mit den guten Vorsätzen. Zuerst schimpfte Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) vor laufender Kamera, die „Grundtonal­ität“bei den Sondierung­en sei falsch, es werde zu viel übers Geldvertei­len geredet. Streiterei­en über die Finanzen drangen nach außen.

Und vor allem gelangte das erste Arbeitspap­ier an die Öffentlich­keit – die Ergebnisse

der Klima-Arbeitsgru­ppe. Der Begleit-Tenor: Union und SPD verabschie­den sich von den Klimaziele­n 2020.

Der CDU-Verhandlun­gsführer beim Klima, NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet, stellte sich noch am Montagaben­d in Düsseldorf beim Neujahrsem­pfang der Industrieu­nd Handelskam­mer hin und verkündete eine Einigung: Mit der SPD habe man innerhalb von zwei Sitzungen das Thema Energiepol­itik abgeschlos­sen, sagte er da.

Laschet kommt aus einem Kohle-Land. Die Botschaft, dass sich der Umbau zu erneuerbar­en Energien länger hinziehen soll, ist dort nicht unwillkomm­en. Auch die NRWSPD tickt da nicht anders. Aber die Bundes-SPD will nicht als Klima-Bremser dastehen.

Die NRW-SPD, der größte Landesverb­and der Partei, ist wichtig für die Frage, ob das Projekt von Union und SPD in Berlin überhaupt zustande kommt. SPD-Chef Martin Schulz hat – falls sich beide Seiten denn einig werden – einen Parteitag in Bonn von einer Groko zu überzeugen. Ein beträchtli­cher Teil der Ge- nossen dort wird aus NRW kommen. Die Groko-Skepsis unter ihnen ist groß.

Und in der Sache? Der – auf lange Sicht unvermeidb­are – Kohleausst­ieg bereitet längst nicht nur NRW Kopfzerbre­chen. Auch Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) soll leicht panisch reagiert haben, als Merkel den Grünen während der Jamaika-Gespräche in Sachen Klima Zusagen machte. Das Problem: Da, wo viel Kohle ist, gibt es meist sonst nicht viel. Deswegen zählt für die Länderchef­s jeder Arbeitspla­tz.

Und Merkel? Sitzt zwischen den Stühlen – und bekommt ein Problem in Sachen Glaubwürdi­gkeit. Ihr Bekenntnis zum 2020-Ziel im Wahlkampf („Das verspreche ich Ihnen“) fliegt ihr nun um die Ohren. Nicht nur Aktivisten, sondern auch Wirtschaft­sexperten weisen darauf hin, dass Klimaschut­z immer teurer wird, je länger man ihn hinauszöge­rt.

Mal nüchtern betrachtet: Dass Deutschlan­d die Klimaziele für 2020 reißt, war schon länger absehbar. Zu schaffen wäre es natürlich. Greenpeace, der WWF und die Grü- nen etwa haben dafür Konzepte vorgelegt. Aber politisch durchsetzb­ar ist das inzwischen kaum noch. Dafür haben die letzten Regierunge­n – alle angeführt von Merkel – schlicht zu wenig getan.

Mehr als eine Botschaft

In dem Klimapapie­r der Sondierer steckt allerdings mehr als die eine Botschaft. So soll ein Klimaschut­zgesetz beschlosse­n werden, das die SPD 2013 noch nicht gegen die Union durchsetze­n konnte. Ende 2018 soll es ein Datum für den Kohleausst­ieg geben. Zudem sollen die erneuerbar­en Energien stärker ausgebaut werden als bisher vorgesehen.

Eine Sache also, die die Bundes-SPD beim Parteitag eigentlich gut verkaufen könnte, um über absehbare Unerfreuli­chkeiten an anderer Stelle des Gesamtpake­ts hinwegzutr­östen. Der eine oder andere Politiker, auch von der SPD, hätte gerne gegengeste­uert und die Fortschrit­te nach vorn gestellt. Aber das war nicht erlaubt. Da funktionie­rte es dann doch, das Schweige-Gebot.

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DPA-BILD: QTRATENQCH­ULTE Das Kohlekraft­werk Mehrum im Landkreis Peine soll bis mindestens 2023 am Netz bleiben.

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