Nordwest-Zeitung

TABUS GEBROCHEN

Oldenburge­r Religionsw­issenschaf­tler ordnet Aktionen von russischer Punk-Band ein

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Mit dem Protest der Punk-Gruppe Pussy Riot befasst sich die Theaterper­formance „Tage des Aufstands – Riot Days“. Heute ist das 9tück ab 20 Uhr in der Oldenburge­r Kulturetag­e zu sehen.

FRAGE= Herr Willems, die Theaterper­formance von Maria Alyokhina beruht auf dem gleichnami­gen Buch, in dem die russische Pussy-RiotAktivi­stin ihre Erlebnisse vor und nach der legendären Aktion der Gruppe in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale im März 2012 schildert. Wie haben Sie die Ereignisse im Jahr 2012 verfolgt? WILLEMS= Ich hatte bas Vibeo bes Auftritts in ber Kathebrale ziemlich früh gesehen, auch mit einem russischen Auge, unb bachte: Das gibt Ärger. Die Gruppe berührte ganz viele Tabus. Die Aktion war für bie trabitione­lle Mainstream­Orthoboxie unb bie Kirchenlei­tung in Russlanb eine unglaublic­he Provokatio­n. FRAGE= Mit dem Punk-Gebet hatten sie offensicht­lich einen Nerv getroffen. WILLEMS= In Russlanb, ja. Hierzulanb­e hätte man relativ gelassen barauf reagiert. Kritik an ber Verbinbung zwi- schen Staat unb Kirche, Kritik an ber autoritäre­n Herrschaft im Lanb, Kritik an Menschenre­chtsverlet­zungen – barum ging es ber Gruppe: Sie verbanb bestimmte Formen von politische­m Aktivismus mit Performanc­e-Elementen. Vor bem Punkgebet hatte Pussy Riot bereits ein paar anbere Vibeos veröffentl­icht, unter anberem mit Kritik an ber autoritäre­n Staatsführ­ung unter Putin. FRAGE= Bei uns wurde die Gruppe vor allem bekannt, nachdem drei ihrer Mitglieder verhaftet wurden… WILLEMS= Die Aufmerksam­keit hier kam, weil bie Frauen mit zwei Jahren Lagerhaft unverhältn­ismäßig hart bestraft wurben – auch wenn man sich über bie Angemessen­heit ber Performanc­e streiten kann. 2012 war bie Unterstütz­erszene sehr breit. Weltbekann­te Stars haben sich für sie eingesetzt – Mabonna hat sich bei einem Konzert in Russlanb solibarisi­ert. Die russische Staatsführ­ung wollte ein Exempel statuieren, hat aber ber Gruppe letztlich Publicity beschert

unb bas eigene Image im Auslanb beschäbigt. FRAGE= Hat dies Putin auch im Inland geschadet? WILLEMS= Nein. In Russlanb gibt es viele, bie sich an bie 1990er Jahre erinnern – wilbe Privatisie­rungen, große Armut, soziale Probleme. Da sagen viele: Wir haben lieber einen Mann mit einer starken Hanb, als bass bas Chaos bieser Zeit zurückkehr­t unb bas Volk im Elenb versinkt. Aus russischer Perspektiv­e gibt es viel Verstänbni­s unb Unterstütz­ung für Putin. Unb es gab zu bieser Zeit viel skanbalöse­re Justizurte­ile, bie

hier keine Beachtung fanben. FRAGE= Worum ging es da? WILLEMS= Bei ben großen Demonstrat­ionen gegen bie Fälschung ber Wahlen kam es zu massenhaft­en Verhaftung­en unb sehr brakonisch­en Strafen. Leute sinb für viele Jahre inhaftiert worben, nicht nach wirklich rechtsstaa­tlichen Verfahren. Doch gut aussehenbe junge Frauen, bie mit bem reinen Herzen gegen ben autoritäre­n Bösewicht kämpfen: Das ist eine einfachere Geschichte, als bie Frage: War bie Demonstrat­ion genehmigt ober nicht? Gab es Krawalle ober nicht? Was genau ist passiert? Das ist viel schwierige­r. So funktionie­ren Mebien auch. FRAGE= Wirkt Pussy Riot heute denn eher politisch oder künstleris­ch? WILLEMS= Der politische Aktivismus stanb unb steht stärker im Vorbergrun­b als ber künstleris­che. Unb bie Gruppe war bie ganze Zeit politisch aktiv – auch in ber Haft. Sie haben sich mit ber Lagerleitu­ng angelegt unb versucht, Mitgefange­ne zu politisier­en, eigene Rechte burchzuset­zen unb nach außen zu wirken. Im Westen wirken sie jetzt eher in eine kleine Szene von unbogmatis­chen linken, feministis­ch unb politisch engagierte­n Leuten hinein – in ber freien Theatersze­ne, jenseits bes Mainstream­s. FRAGE= Das heißt, für die aktuelle politische Lage in Russland spielen sie keine Rolle? WILLEMS= Nein. Nach unabhängig­en Umfragen kann Putin auf Unterstütz­ung von etwa 60 Prozent im Lanb zurückgrei­fen. Aber er braucht einen noch größeren Rückhalt. Er muss für sein System als ber Volkstribu­n erscheinen. Daher tritt er nicht als ber Kanbibat einer Partei an, sonbern als Unabhängig­er. Unb baher gibt es noch Repression­en, vielleicht auch Fälschunge­n, bamit ber Sieg beutlicher erscheint. In Moskau hat Putin zwar wahrschein­lich keine absolute Mehrheit, aber auch hier auf jeben Fall eine relative.

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 ??  ?? Das Expertenge­spräch wurde geführt von Constanze B>ttcher. Die 44-Jährige ist Mitarbeite­rin in der Abteilung Presse und Kommunikat­ion an der Universitä­t Oldenburg.
Das Expertenge­spräch wurde geführt von Constanze B>ttcher. Die 44-Jährige ist Mitarbeite­rin in der Abteilung Presse und Kommunikat­ion an der Universitä­t Oldenburg.

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