Straffrei trotz Unfallflucht?
Experten halten derzeitige Regelung für überholt
GOSLAR – Der UnfallfluchtParagraf im Strafgesetzbuch ist nach Ansicht vieler Experten überholt. Der Verkehrsgerichtstag in Goslar will deshalb in dieser Woche darüber diskutieren, ob Verursacher von Blechschäden straffrei bleiben können, auch wenn sie einen Unfall erst nachträglich melden.
Derzeit drohen auch in solchen Fällen Strafe und Fahrverbot. Nach Schätzungen gibt es in Deutschland jährlich mehrere Hunderttausend Unfallfluchten nach Parkremplern und anderen Sachschäden. Vom 24. bis 26. Januar will sich der 56. Verkehrsgerichtstag im niedersächsischen Goslar unter anderem auch mit höheren Bußgeldern für Verkehrssünder, dem automatisierten Fahren und dem Thema „Cannabis-Konsum und Fahreignung“befassen. Beim Verkehrsgerichtstag kommen jedes Jahr Ende Januar Juristen, Wissenschaftler, Politiker, Behördenvertreter und Experten von Unternehmen und Verbänden zusammen. Dabei geben sie dem Gesetzgeber Empfehlungen für Neuregelungen im Straßenverkehr und im Verkehrsrecht mit auf den Weg.
Der Anwaltverein nennt den Paragrafen ein Unding. Nach einem Unfall muss die Polizei benachrichtigt werden.
GOSLAR – Auf Unfallflucht stehen Geld- oder Freiheitsstrafe – und zwar nicht nur, wenn es Verletzte oder gar Tote gab. Auch bei Blechschäden drohen Strafe und Fahrverbot.
Wie häufig ist Unfallflucht in Deutschland?
Das Statistische Bundesamt erfasst nur Fälle von Unfallflucht nach Personenschaden. 2016 haben sich demnach 26720 Verkehrsteilnehmer des Entfernens vom Unfallort schuldig gemacht. Wenn auch Fluchten nach Parkremplern und anderen Blechschäden dazugerechnet werden, ist die Zahl nach Schätzungen um ein Vielfaches höher. Der Auto Club Europa (ACE) geht von rund 500 000 Fällen pro Jahr aus.
Was kritisieren Verkehrsjuristen?
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) nennt den Unfallflucht-Paragrafen ein „juristisches Unding“. Die Strafandrohung diene nur dem Schutz zivilrechtlicher Ansprüche der Geschädigten, sagt Rechtsanwalt Andreas Krämer von der DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht. Zudem sieht der DAV das rechtsstaatliche Prinzip verletzt,
dass niemand sich selbst belasten muss. Besser wäre aus Sicht der Verkehrsanwälte eine gesetzliche Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Meldung eines Schadensfalls bei Unfällen. Ein Verstoß dagegen wäre eine Ordnungswidrigkeit.
Was sagen die Automobilclubs?
„Wer sich entfernt, um für den angerichteten Schaden nicht einstehen zu müssen, verhält sich rücksichtslos“, sagt ADAC-Verkehrsjurist Markus Schäpe. Geschädigte müssten geschützt werden. Dafür sei das Strafrecht aber nur bedingt geeignet. „Wenn man es mit dem Opferschutz ernst nimmt, muss eine nachträgliche Meldemöglichkeit geschaffen werden, die weder strafrechtlich noch versicherungsrechtlich nachteilige Folgen für den Unfallverursacher
hat.“Dann würden sich vermutlich mehr Unfallverursacher nachträglich melden. Eine solche Deregulierung bei geringeren Sachschäden würde auch Polizei und Justiz entlasten. Unfallflucht soll strafbar bleiben, fordert der Automobilclub von Deutschland (AvD). Doch sollte es künftig keine Strafe mehr geben, wenn nur Sachschaden eingetreten ist und der Verursacher sich nachträglich meldet. Ähnlich sieht es der ACE: Nur wenn der Unfall überhaupt nicht gemeldet wird, sollte Unfallflucht strafbar bleiben. Ansonsten solle Verursachern eine „goldene Brücke“gebaut werden. Wer einen Schaden per Telefon oder nachträglich binnen 48 Stunden meldet, solle straffrei bleiben.
Was sagen die Polizei-Gewerkschaften?
Der Unfallflucht-Paragraf sei
noch immer zeitgemäß, sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Arnold Plickert. „Wer aber unverzüglich den Unfall bei der Polizei anzeigt, alle relevanten Daten zur Verfügung stellt und sich dann nach einem leichten Schadensfall entfernt, sollte nicht unbedingt bestraft werden müssen.“Eine Einstufung als Ordnungswidrigkeit reiche aus. Dieter Müller von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DpolG) sieht im Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort „eine bewährte Vorschrift, die zum Ermitteln zahlreicher Straftäter geführt hat, die als Straftäter nicht erwischt werden und für den angerichteten Schaden zivilrechtlich nicht herhalten wollten. Ein etwaiger Reformbedarf sollte erst einmal erforscht werden.“
Was meint der Präsident des Verkehrsgerichtstags?
„Wenn nicht das Damoklesschwert der Strafe droht, fahren die Leute einfach weiter“, glaubt der frühere Generalbundesanwalt Kay Nehm. „Das würde unserer Rechtsordnung nicht guttun.“Man solle deshalb am Grundprinzip festhalten, „dass Unfallbeteiligte, soweit es sich um einen nennenswerten Schaden handelt, am Unfallort bleiben müssen, um die Aufklärung zu ermöglichen“. Verursachern weniger bedeutender Schäden sollten die Chance bekommen, „straffrei zu bleiben, wenn sie sich später melden und die Verantwortung übernehmen“.