Land bläht Ministerien auf
Regierung schafft 99 neue Stellen – Wirtschaft und Staatskanzlei weit vorne
Der Haushalt 2018 steigt auf 31,7 Milliarden Euro. Dieses Volumen ist Rekord für Niedersachsen.
HANNOVER – Niedersachsens Große Koalition gönnt sich einen tiefen Schluck aus der Pulle: Die rot-schwarze Landesregierung bläht den Beamtenapparat um 99 neue Stellen auf. Das beschloss die Ministerriege aus SPD und CDU bei einer zweitägigen Kabinettsklausur in Bad Sachsa, in der der Nachtragshaushalt für 2018 verabschiedet wurde.
Besonders die Staatskanzlei unter Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) erhält deutlich mehr Personal mit 14,2 zusätzlichen Mitarbeitern, übertroffen aber noch von Vize-Ministerpräsident Bernd Althusmann (CDU) mit 28 Stellen und dem neuen Europa-Ministerium unter Birgit Honé (SPD) mit 30 zusätzlichen Jobs. Die fünf Millionen Euro Mehrkosten pro Jahr für den Landeshaushalt seien aber „nachhaltig finanziert“, versichert Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU). Vor allem: Die 99 Stellen sollen „langfristig“im Beamtenapparat wieder eingespart werden, betont Niedersachsens oberster Kassenwart – ohne sich jedoch auf einen Zeitraum festzulegen.
Mit den Mehrausgaben für den Regierungsapparat steigt der Etat in diesem Jahr auf den Rekord-Haushalt von 31,7 Milliarden Euro. So viel (Steuer)-Geld hat noch keine Landesregierung jemals zuvor ausgegeben.
SPD-Landeschef Weil zeigte sich hochzufrieden mit der Klausurtagung. Der Regierungschef sprach von einer „aufgeräumten Stimmung“in der rot-schwarzen Ministerriege. Bad Sachsa sei gut gewesen für die „Teambildung“von SPD und CDU.
Dieses Bündnis arbeite „geräuschlos“zusammen, lobte auch CDU-Landeschef Althusmann. Weil und Althusmann zeigten sich „einig“, dass das Vorbild Niedersachsen ruhig Schule auf Bundesebene machen könnte. Eine Groko sei ebenfalls in Berlin „sinnvoll“, meinte Weil. Niedersachsen würde in jedem Fall profitieren. KOMMENTAR, SEITE 4
Es gibt Steuern, da fragt man sich nach Sinn oder auch Glaubwürdigkeit. 75 Prozent des Kaufpreises von Zigaretten (Tabaksteuer) kassiert der Staat. Parallel dazu läuft auf den Schachteln die Aktion mit sogenannten Schockbildern. Steigen die Benzinpreise mal wieder richtig in die Höhe, gibt es nicht wenige Politiker, die sich empören (beim Liter Benzin 65 Cent, beim Diesel 47 Cent) – aber dazu kommt noch die Mehrwertsteuer. Der Staat hält überall die Hand kräftig auf. Die Sekt- oder Schaumweinsteuer wurde erstmals 1902 (!) im Kaiserreich zur Finanzierung der eigenen Kriegsflotte eingeführt – und natürlich nie abgeschafft. Es gibt die Kino-, Pferde-, Tanz(da steppt das Finanzamt), oder – großer Höhepunkt – die Sex-Steuer (in zwölf NRWGemeinden).
Aber es gibt auch die andere Seite, wo der Staat sich nicht beim „kleinen Mann“bedient, sondern sich von Unternehmen und Reichen, die den Hals nicht voll kriegen, Steuern zurückholen. Es wird getrickst, getäuscht und vor allem im großen Stil hinterzogen. So kam es, dass Bundesländer in Deutschland damit begannen, CDs mit belastenden Informationen aufzukaufen. Warum nicht.
Besonders erfolgreich waren die Ermittler in Nordrhein-Westfalen. Sie haben mit spektakulären Fällen auf sich aufmerksam gemacht. Niemand sonst kaufte so viele Datenträger mit Informationen über Steuersünder. Und kein Bundesland setzte die Banken derart unter Druck.
Die Wuppertaler Fahnder trieben Milliarden ein. Respekt.
Doch die Ermittlertruppe verliert ihre wichtigsten Fachleute. Der härteste Steuerfahnder Deutschlands ist seit einem Jahr in Pension. Aber Peter Beckhoff hatte seinen Abschied vorbereitet. Jahrelang
schon arbeitete er Hand in Hand mit seinen wichtigsten Mitarbeitern: Sandra Höfer-Grosjean und Volker Radermacher. Sie machten das Amt in Wuppertal zum Vorreiter im Kampf gegen Steuersünder aller Art.
So sollte es bleiben. Als Beckhoff Mitte 2017 abtrat, übernahm seine Stellvertreterin Höfer-Grosjean die kommissarische Leitung. Im September 2017 wurde die Stelle zwar neu ausgeschrieben, aber alle Zeichen deuteten auf Kontinuität hin. Die „am besten geeignete Person für die Dienststellenleitung“werde gewählt, versprach die Verwaltung.
„Die bereits sehr gute Arbeit der Wuppertaler Steuerfahndung wird weiter gestärkt.“Doch es kam anders. Bald verlässt auch Höfer-Grosjean die Behörde. Sie quittierte ihren Dienst und unterschrieb einen Vertrag bei Deloitte Legal, dem Rechtsberatungsarm der BigFour-Prüfungsgesellschaft. Ihr neuer Arbeitsplatz liegt in Düsseldorf. Einen Kollegen aus Wuppertal bringt sie mit: Volker Radermacher. Das erfolgreichste Trio in der Geschichte der Steuerfahndung hat sich damit aufgelöst. Es hat aus Frust die Seiten gewechselt.
Wie konnte es dazu kommen? Im Mai 2017 wurde die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf abgewählt. Es übernahm eine Koalition aus CDU und FDP. Vor allem die Liberalen ließen schnell durchblicken, dass ihnen die Methoden der Wuppertaler nicht ganz geheuer waren. In der Behörde herrscht nach den Kündigungen Entsetzen. „Ohne deren Sachverstand und Kontakte ist das Geschäft mit gekauften Daten am Ende“, sagte ein Mitarbeiter über den Abgang der beiden Fahnder.
Der Wechsel nährt einfach den Verdacht, die schwarzgelbe Landesregierung könnte die von Wuppertal ausgehende intensive Verfolgung von Steuerhinterziehern beenden. Wird die Steuerflucht nicht mehr mit dem nötigen Ernst angegangen?
Ins nordrhein-westfälische Gesamtbild passt auch, dass Ministerpräsident Armin Laschet auf anderen Gebieten ebenfalls unglücklich regiert. Ungeschickt: Die Besetzung des Medienminister-Ressorts durch den Medienunternehmer Stephan Holthoff-Pförtner, Anteilseigner der FunkeMediengruppe (WAZ). Fragwürdig: Den Lobbyisten Friedrich Merz mit dem Willen zu holen, den Merkel-Intimfeind zum Beauftragten für transatlantische Beziehungen und zum Aufsichtsratsvorsitzenden am Flughafen Köln-Bonn zu machen. Und dann noch das inzwischen stornierte, weil komplett ärgerliche Vorhaben des Verkehrsministers Hendrik Wüst, das Sozialticket für Bedürftige zu streichen.
Laschet regiert sowieso seit Monaten nur mit halber Kraft. Der Ministerpräsident tummelt sich lieber anderswo, anstatt seine schwarz-gelbe Landesregierung zu lenken. Vorzugsweise in Berlin. Und das in einem Bundesland, das den Strukturwandel von Kohle und Stahl hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft noch nicht geschafft hat. Das kann man allerdings Laschet nicht ankreiden.
Autor dieses Beitrages ist Norbert
Wahn. Der 58-Jährige ist Mitglied der Politik-Redaktion. @ Den Autor erreichen Sie unter Wahn@infoautor.de