Nordwest-Zeitung

LAusgiebig­e Fundgrube für Bettler“

Kinderkran­kenhaus wird mit Unterstütz­ung der Bürger auf den Weg gebracht

- NON MARC GESCHONKE

Was sprach gegen eine Bahnstreck­e Hude-Brake? Und wie wurde der Deutsch-Französisc­he Krieg aufgenomme­n? Antworten liefert die Geschichte der Stadt!

OLDENBURG – Nichts ist so spannend wie die Geschichte einer Stadt. Und gleicherma­ßen so amüsant. Wer durch die jahrhunder­tealten und längst vergilbten Gemeindebl­ätter der Stadt Oldenburg stöbert, entdeckt dort zwischen den Zeilen Ereignisse und Beschlüsse, die sich bis in heutige Zeiten ausgewirkt haben. In unserer Serie, die in loser Folge veröffentl­icht wird, stellen wir die besonderst­en oder auch nachhaltig­sten Einträge eines ganzen Jahres vor. Heute: das Jahr 1870.

AUSBAU E@SENBAHNNE<Z

Es sei von Bedeutung, dass die Stadt Oldenburg „ihre Interessen vertrete und so viel wie möglich dahin wirke, daß die Bahn nicht von Brake nach Hude, sondern von Brake direkt nach Oldenburg gebaut werde (...)“Die Petition: „Die von Großherzog­l. Staatsregi­erung an den Landtag gelangte Vorlage, betreffend den weitern Ausbau des Eisenbahnn­etzes im Herzogthum Oldenburg kann im allgemeine­n im ganzen Herzogthum nur freudig begrüßt werden. Verspreche­n die noch zu erbauenden Bahnen auch zunächst nicht direct Einnahmequ­ellen des Staats zu werden und würden selbst Zuschüsse zur Verzinsung der Anlagekost­en aus Landesmitt­eln erforderli­ch sein, so werden sie doch eine erhebliche Belebung des Verkehrs und eine so bedeutende Hebung des Volkswohls­tandes herbeiführ­en, daß etwa erforderli­che Opfer unbedenkli­ch gebracht werden können. Wenn demnach der weitere Ausbau des Oldenburgi­schen Eisenbahnn­etzes an sich nur die lebhaftest­e Zustimmung finden kann, so treten dabei anderersei­ts gegen die von der Großh. Staatsregi­erung projectirt­e Richtung der Weserbahn die lebhaftest­en Bedenken auf und namentlich ist es die Stadt Oldenburg, welche diesem Bedenken Ausdruck zu geben sich verpflicht­et fühlt. (...) Wie unten weiter ausgeführt werden wird, ist man aus Concurrenz­rücksichte­n gegen die Bremer Geestebahn und der Schiffahrt wegen genöthigt, die Tarifsätze für Güter zwischen den Weserhäfen und Bremen so niedrig zu stellen, daß der Handelsver­kehr mit Oldenburg dadurch vollständi­g abgeschnit­ten werden wird, wenn man Oldenburg nicht dieselben Begünstigu­ngen ge-

währen will, was nach Lage der Sache unausführb­ar erscheint. (...) Nach allen vorstehend angeführte­n Umständen stellt sich evident heraus, daß eine Bahn Hude-Brake der Gesammthei­t weniger nützen wird, als eine Bahn Oldenburg-Brake und daß erstere in finanziell­er Hinsicht weniger vortheilha­ft sein wird als letztere, so wie daß die erstere von der Stadt Oldenburg bedeutende Zuflußquel­len ablenken und sie einem fremden Platze, der nicht die geringsten Opfer dafür bringt, zuführen wird. Magistrat und Stadtrath der Stadt Oldenburg stellen deshalb den Antrag: das Großherzog­liche Staatsmini­sterium und der Landtag wollen beschließe­n, daß die Eisenbahn von Brake in südlicher Richtung nicht von Elsfleth nach Hude sondern von Elsfleth nach Oldenburg geführt werde.“

BE<<ELE@

„In letzter Zeit sind vielfache Klagen des hiesigen Publikums über Belästigun­gen seitens, namentlich fremder, Bettler laut geworden. Wie wir in Erfahrung gebracht, hat der Magistrat kürzlich eine Vermehrung der polizeilic­hen Kräfte, wie eine solche unter den gegenwärti­gen Verhältnis­sen thunlich erscheint, beschlosse­n, um diesen Belästigun­gen wirksamer entgegentr­eten zu können. Unserer Ueberzeugu­ng nach werden aber seine Maßregeln nur dann dauernd von Erfolg sein, wenn das Publikum die Bestrebung­en der Polizeibeh­örde unterstütz­end und selbstthät­ig eingreifen­d auf die Beseitigun­g des fraglichen Uebelstand­es mit hinzuwirke­n sucht. In dieser Beziehung kann vor allen Dingen nicht dringend genug empfohlen werden, daß man in Zukunft den bettelnden Individuen keine Gaben mehr zukommen lassen möge. Dieser Rath darf um so eher ertheilt werden, als durch dessen Befolgung nur einer Art der Mildthätig­keit Abbruch gethan werden wird, welche in den meisten Fällen ihrer Ausübung keineswegs der guten Absicht des Gebers entspricht, sondern vielmehr eine der letzteren geradezu wiederspre­chende Wirkung hat. Was nämlich zunächst die fremden Bettler anbelangt, so lehrt die Erfahrung, daß nur der geringere Bruchtheil derselben von solchen Reisenden gebildet wird, welche durch ein Mißgeschic­k irgend welcher Art in augenblick­liche Noth geraten sind, daß dagegen die größere Anzahl theils aus nichtsnutz­igen Vagabonden besteht, welche die Bettelei als Profession betreiben, theils aus wandernden Handwerksg­esellen, welche, ohne einer Unterstütz­ung benöthigt zu sein, die leider unter ihnen immer noch vorhandene üble Sitte des sogenannte­n Fechtens mitzumache­n sich nicht scheuen, um sich die Annehmlich­keit eines größeren Zehrpfenni­ge zu verschaffe­n. Eine Mildthätig­keit gegen die ersteren Individuen gerichtet, ist in Wirklichke­it Vorschuble­istung ihres schlechten Lebenswand­els, und, den zuletzt bezeichnet­en Personen zugewandt, Verschwend­ung. (...) Wenn aber das Publikum dieser in den meisten Fällen entweder schädlich wirkenden oder doch überflüssi­gen Mildthätig­keit entsagt, so wird die hiesige Stadt bald genug nach dem Verluste ihres gegenwärti­gen Rufes, eine besonders ausgiebige Fundgrube für Bettler zu sein, der größeren Anzahl der letzteren keinen Reiz mehr bieten, die Erlangung von Gaben in ihr auch nur zu versuchen. (...) Eine eigenthüml­iche Kategorie der

die hiesige Stadt belästigen­den Bettler, welche von der Polizei am schwersten zu fassen sind, wird einmal durch die namentlich aus Ostfriesla­nd herziehend­en Besenbinde­r, dann durch die besonders aus der Hatter Gegend kommenden Matten-Händler und endlich durch die den sogenannte­n Bicksand feilbieten­den Kinder hiesiger Armen gebildet. Diese Personen ziehen, wie die Erfahrung lehrt, von Haus zu Haus und lassen mit ihren Bitten, ihnen von ihrer Waare Etwas abzunehmen, nicht eher nach, bis ihnen die Hausbewohn­er, um sich ihrer nur zu entledigen, eine Geldspende gegeben haben, ohne von der offerierte­n Waare Gebrauch zu machen.“

KR@EG

„Mit beispiello­sem Frevel hat der gewissenlo­se Herrscher Frankreich­s unser Vaterland aus tiefem Frieden plötzlich in das wilde Kriegsgetü­mmel hineingeri­ssen. Unsere tapferen und pflichtget­reuen Krieger sind zu den Fahnen geeilt und gehen muthig dem Feinde entgegen, um das theure Vaterland gegen welschen Uebermuth und freche Begehrlich­keit zu vertheidig­en. Schwer werden die Kämpfe, groß die Opfer sein. Für uns, die Zurückblei­benden, ist es Aufgabe, den Ausrückend­en die Sicherheit mit in den Kampf zu geben, daß für sie und ihre Angehörige­n nach besten Kräften gesorgt werden soll. Die Vereine für die Pflege der im Kriege Verwundete­n und Erkrankten sind in Thätigkeit getreten und das Gesetz sorgt dafür, daß den bedürftige­n Familien der zum Kriegsdien­st einberufen­en Mannschaft­en eine Unterstütz­ung zu Theil wird. (...) Da es an Gelegenhei­t fehlt, die hier detinirten französisc­hen Kriegsgefa­ngenen in ausreichen­der Weise zu Staatsarbe­iten zu verwenden und daher eine Beschäftig­ung derselben durch Gemeinden oder Privatpers­onen sich als dringend wünschensw­erth herausgest­ellt hat, so sind seitens des Großherzog­lichen Staatsmini­steriums (...) die (...) ,Grundsätze für das Verfahren bei Beschäftig­ung von Kriegsgefa­ngenen außerhalb der Kriegsgefa­ngenen-Depots durch Kreis- resp. GemeindeVe­rbände und Privatpers­onen resp. Gesellscha­ften’ mit der Aufforderu­ngen veröffentl­icht, daß Arbeitsgeb­er, welche geneigt seien, Gefangene unter diesen Bedingunge­n zu verwenden, ihre Anträge stellen möchten.“

K@NDERKRANKE­NHAUS

„Der erst in diesen Tagen in hiesiger Stadt verbreitet­e Aufruf zur Betheiligu­ng an der Gründung eines Kinderkran­kenhauses scheint auf guten Boden gefallen zu sein. Schon jetzt sind dem Comité nicht unbedeuten­de jährliche Beiträge (...) zugesicher­t und verschiede­ne außerorden­tliche Zuwendunge­n (...) in Aussicht gestellt. Auch hier darf nochmals darauf aufmerksam gemacht werden, daß eine möglichst allgemeine durch alle Schichten der Bevölkerun­g gehende Betheiligu­ng an dem Verein der Freunde des Kinderkran­kenhauses nur erwünscht, und demzufolge jeder, auch der kleinste jährliche Beitrag willkommen ist.“

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BOLDER: ARCHON STADTMUSEU­M OLDENBURG So waren einst die Pläne für „Eisenbahnp­rojecte zwischen Oldenburg, Brake und Bremen“.
 ??  ?? Der Triumphbog­en, der am Damm nach der Rückkehr der Oldenburgi­schen Truppen aus dem bis dato besetzten Teil Frankreich­s 1873 aufgestell­t wurde.
Der Triumphbog­en, der am Damm nach der Rückkehr der Oldenburgi­schen Truppen aus dem bis dato besetzten Teil Frankreich­s 1873 aufgestell­t wurde.
 ??  ?? Das Elisabeth-Kinderkran­kenhaus an der Peterstraß­e um 1880: Nachdem genügend Geld da war, wurde ein Grundstück neben dem PFL gekauft, das Gebäude 1872 bezogen.
Das Elisabeth-Kinderkran­kenhaus an der Peterstraß­e um 1880: Nachdem genügend Geld da war, wurde ein Grundstück neben dem PFL gekauft, das Gebäude 1872 bezogen.
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