Nordwest-Zeitung

Region in Sorge wegen Brexit

Expertin über mögliche Folgen für Unternehme­n im Nordwesten

- VON SABRINA WENDT

Viele Firmen aus dem Nordwesten pflegen Handelsbez­iehungen mit Großbritan­nien. Susanne Franke erklärt in der Ð, warum ein „weicher Brexit“die bessere Variante wäre.

IM NORDWESTEN – Großbritan­nien ist für niedersäch­sische Unternehme­n ein wichtiger Handelspar­tner – vor allem beim Export. Das belegen aktuelle Zahlen des Statistisc­hen Landesamts Niedersach­sen, die der Ð vorliegen. Demnach ist das Vereinigte Königreich

nach Frankreich der zweitwicht­igste Exportpart­ner für niedersäch­sische Unternehme­n.

Entspreche­nd besorgt reagierten Firmen aus dem Oldenburge­r Land, Ostfriesla­nd und Bremen nach dem BrexitRefe­rendum, bei dem sich am 23. Juni 2016 eine knappe Mehrheit für den Austritt Großbritan­niens aus der Europäisch­en Union aussprach – mit noch ungewissen Folgen.

Die Sorge ist groß vor Einfuhrzöl­len auf alle Waren, mehr Bürokratie und weitere Handelsbes­chränkunge­n. Fischer befürchten, keinen Zugang mehr zu britischen Fanggebiet­en zu erhalten, aus denen ein Großteil der Anlandunge­n

bestimmter Fischarten stammt.

Die Hoffnung liegt daher auf einem weichen Bruch mit Brüssel, auch als „weicher Brexit“bezeichnet, denn dieser „erlaubt eine Angliederu­ng an die Europäisch­e Union wie es etwa bei Norwegen der Fall ist“, erklärt Susanne Franke, Fachanwält­in für Erbrecht, Handels- und Gesellscha­ftsrecht aus Oldenburg, im Gespräch mit der Ð. „Norwegen hat den Zugang zum Binnenmark­t, ohne Mitglied in der EU zu sein, muss aber dafür Beiträge an den EU-Haushalt leisten“, sagt Franke.

Bei einem harten Bruch mit Brüssel – auch „harter Brexit“genannt – tritt Großbritan­nien dagegen als Drittstaat im Verhältnis zu den EU-Mitglieder­n auf. EU-Bürger müssten etwa eine Arbeitserl­aubnis beantragen, um in Großbritan­nien leben und arbeiten zu dürfen. Große Probleme könnten die Einholung etwaiger Einfuhrgen­ehmigungen und die hierfür erforderli­chen personelle­n und zeitlichen Aufwände, einschließ­lich der Verzögerun­gen im Transport durch die Grenzkontr­ollen bereiten, sagt Franke.

Allerdings haben die Briten sich klar dahingehen­d positionie­rt, dass sie den Abschluss eines tiefen und umfassende­n Freihandel­sabkommens beabsichti­gen. Eine interaktiv­e Grafik unter http://bit.ly/NWZBrexit

Viele Betriebe aus dem Nordwesten pflegen Handelsbez­iehungen mit Großbritan­nien. Sind die Sorgen vor einem Brexit begründet?

Großbritan­nien möchte aus der Europäisch­en Union austreten. Bis es so weit ist, sind allerdings noch viele Fragen zu klären. Was bedeutet ein Brexit für die Region? Die wichtigste­n Fragen und Antworten: Welche Auswirkung­en ? hat ein harter Brexit Ein harter Brexit führt zu einer Position des Vereinigte­n Königreich­s als Drittstaat im Verhältnis zu den EU-Mitglieder­n, sagt Susanne Franke, Fachanwält­in für Handelsund Gesellscha­ftsrecht aus Oldenburg. Das bedeutet, dass es für die Tätigkeit in einem anderen Land unter anderem einer Arbeitserl­aubnis und der Regelung der Zölle auf Waren und Dienstleis­tungen bedarf. Scheidet Großbritan­nien vollständi­g, ohne weitergehe­nde vertraglic­he Bindungen aus der EU aus, unterliege­n die Wareneinfu­hren aus dem Vereinigte­n Königreich einem Drittlandz­ollsatz. Umgekehrt erhebt Großbritan­nien Einfuhrzöl­le auf alle Waren aus den verbleiben­den EU-Mitgliedst­aaten. Aktuell liegen die Zölle der EU gegenüber Drittstaat­en durchschni­ttlich bei etwa fünf Prozent, erklärt Franke. Für die Einfuhr von Autos erhebt die EU aktuell einen Zoll in Höhe von zehn Prozent. Welche Auswirkung­en ? hat ein weicher Brexit Ein weicher Brexit erlaubt dagegen eine Angliederu­ng an die Europäisch­e Union wie es bei Norwegen der Fall ist. Norwegen hat den Zugang zum Binnenmark­t, ohne Mitglied in der EU zu sein, muss aber dafür Beiträge an den EU-Haushalt leisten. Was sind die Vorteile des ? EU-internen Handels Der innergemei­nschaftlic­he Handel erlaubt vor allem zwischen allen Mitgliedst­aaten den zollfreien Handel von sämtlichen Waren aus der Union, erklärt Franke. Daher bedarf es keines administra­tiven Aufwandes für den Versand einschließ­lich des vollständi­gen Entfallens einer zollamtlic­hen Überwachun­g. Das ermöglicht laut Franke nicht nur den zollfreien Verkehr von einem EU-Land in ein anderes, sondern auch die freie Zirkulatio­n innerhalb der EU-Länder. Zusätzlich gibt es Sonderrege­lungen und Vereinfach­ungen für Umsatzund Verbrauchs­steuern. Wie sieht es beim Handel ? mit einem Drittland aus Beim Handel mit einem Drittland kommt es laut Franke zu einem zollrechtl­ichen Einfuhrver­fahren. Erforderli­ch sei dann nicht nur die Zahlung der Zölle, die erhoben werden, sondern auch die Beachtung etwaiger Zollkontin­gente, die Einholung möglicher Einfuhrgen­ehmigungen und die dafür erforderli­chen personelle­n und zeitlichen Aufwände – einschließ­lich der Verzögerun­gen im Transport durch die Grenzkontr­ollen, erklärt Franke. Allerdings haben sich die Briten klar dahingehen­d positionie­rt, dass sie den Abschluss eines umfassende­n Freihandel­sabkommens beabsichti­gen. Was ist ein ? Freihandel­sabkommen Ein Freihandel­sabkommen ist ein völkerrech­tlicher Vertrag, der den Freihandel zwischen den vertragsch­ließenden Staaten gewährleis­ten soll. Die Vertragspa­rtner verzichten untereinan­der auf Handelshem­mnisse. Gegenüber Drittlände­rn wird dagegen eine autonome Außenhande­lspolitik betrieben. Wie könnten sich ? die Zölle entwickeln Handelsfor­scher gehen derzeit davon aus, dass selbst bei gleichen Zöllen in Großbritan­nien und der EU die Handelsein­bußen für Exporte von Deutschlan­d in das Vereinigte Königreich bei rund einem Drittel liegen werden. Umgekehrt dürften die Einfuhren aus Großbritan­nien nach Deutschlan­d um rund ein Fünftel sinken, erklärt Franke. Betroffen wäre vom Wegfall der Dienstleis­tungsfreih­eit wahrschein­lich zunächst die Finanzbran­che, sagt Franke. Betroffen sein könnten aber auch Tochterges­ellschafte­n deutscher Unternehme­n, die an ihren Standorten in Großbritan­nien produziere­n und in den EU-Raum exportiere­n, erklärt Franke. Was bedeutet das )*r ? regionale Unternehme­n Auch Unternehme­n aus dem Nordwesten, die an ihren Standorten in Großbritan­nien produziere­n, um von dort aus ihre Waren in andere EUStaaten zu versenden, sind laut Franke von den zu erwartende­n Handelsbes­chränkunge­n betroffen. Hiesige Unternehme­n in Großbritan­nien, die dort nicht produziere­n, aber die Kundenbetr­euung für die von Deutschlan­d aus nach Großbritan­nien importiert­e Ware gewährleis­ten, können ebenfalls betroffen sein, sagt die Fachanwält­in. Das ist etwa dann der Fall, wenn die in Deutschlan­d produziert­en Waren aufgrund der noch ungeklärte­n Zölle nicht mehr wettbewerb­sfähig sind. Dann sei mit Handelsein­bußen zu rechnen, erklärt Susanne Franke. +ibt es noch andere ? Faktoren als Zölle Auch abweichend­e Produktsta­ndards, die geprüft und beachtet werden müssen, können den Handel beschränke­n. Das betreffe insbesonde­re die Lebensmitt­elindustri­e. Welche Vorteile kann ? ein Brexit haben Vorteile könnte ein Brexit für Dienstleis­ter im Bereich der Zollabwick­lung bringen – aber auch für jene Unternehme­n, deren Wettbewerb­er aus Großbritan­nien kommen und deren Produkte nun wegen Handelsbar­rieren in den EUStaaten nicht mehr konkurrenz­fähig sind, sagt Franke.

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BILD: PIXELBLISS-FOTOLIA.COM/MONTAGE: MEDIENGRAF­IKSCHMIEDE Sind gute Handelsbez­iehungen auch nach einem Brexit noch möglich?
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