Nordwest-Zeitung

Silberner Schlüssel öffnet die Unterwelt

Elisabeth Thölke steigt mit Gästen in Katakomben von Vechta hinab – Führungen ein „Dauerbrenn­er“

- VON WOLFGANG STELLJES

„Klosterkir­che, Konvent der Franziskan­er und die Katakomben von Vechta“, so nennt sich eine Führung der etwas anderen Art. Sie erlaubt sogar einen Einblick ins Frauengefä­ngnis.

VECHTA – Als Kind stand Elisabeth Thölke (73) vor der Tür der Klosterkir­che in Vechta und kam nicht hinein. „Das fand ich gemein.“Heute, ein paar Jahrzehnte später, hat sie einen großen, silbernen Schlüssel, den nur ganz wenige Menschen bekommen. Seit 2005 führt sie Gäste durch „Klosterkir­che, Konvent der Franziskan­er und die Katakomben von Vechta“. Die Führung mit dem etwas sperrigen Titel gilt als touristisc­her „Dauerbrenn­er“.

Tausende sind bereits mit Elisabeth Thölke hinabgesti­egen in die Unterwelt von Vechta. Und auch an diesem Tag hat sich auf dem Franziskan­erplatz vor der Klosterkir­che wieder eine größere Gruppe versammelt, rund 30 geschichts­interessie­rte Menschen, nicht einmal zur Hälfte aus Vechta. Vor ihnen liegen Kirche und Vollzug, Totenkelle­r und Museum, Geschichte und Gegenwart.  DIE KLOSTERKIR­CHE

Zunächst lenkt Thölke die Blicke der Gäste auf die Fassade der Klosterkir­che, errichtet in den Jahren von 1727 bis 1731, norddeutsc­her Barock, im Dreiecksgi­ebel das Wappen derer von Galen, darunter der heilige Josef mit dem Jesuskind und rechts und links „die Franziskan­er schlechthi­n“: Franz von Assisi und Antonius von Padua. Schon nach wenigen Sätzen ist klar: Elisabeth Thölke steckt voller Geschichte­n und Detailkenn­tnisse, ein Skript braucht sie nicht. Ein paar Worte noch zu dem Gebäude links, dem Konvent, in dem einst die Mönche wohnten und heute die Justizvoll­zugsanstal­t untergebra­cht ist, dann geht es hinein in die helle, warme Kirche.

Seit 1642 waren die Franziskan­er in Vechta ansässig, zuständig auch für die religiöse Betreuung der Soldaten in der Zitadelle. 1727 begann der Bau der Kirche. „Die war sehr gut ausgestatt­et, die Franziskan­er hatten viel Zuspruch“, sagt Thölke. Nur dass von der ganzen Pracht wenig geblieben ist. „Daran ist Napoleon schuld.“1812 löste er per Dekret den Konvent auf.

Nach Abzug der Franzosen beschloss der Herzog von Oldenburg: „Die Kirche reißen wir ab, und aus dem Kloster machen wir ein Gefängnis.“Vom ersten Teil seines Vorhabens hat er nach Protesten abgelassen, den zweiten aber realisiert. Drei Jahre später, im Oktober 1816, wurden 15 weibliche Gefangene von Oldenburg nach Vechta verlegt, zunächst in das Zeughaus der Zitadelle, später dann in das neue Gefängnis.

Die Klosterkir­che wurde ab 1818 von Katholiken und Protestant­en gemeinsam genutzt – eine der seltenen Simultanki­rchen. Es gab zwei Altäre, zwei Sakristeie­n und zwei Aufgänge zur Kanzel. „Ökumene war noch kein Begriff“, sagt Thölke. In ihrem heutigen Zustand präsentier­t sich die Klosterkir­che seit 1960.

Das Schmuckstü­ck ist der barocke Hochaltar, der einst die ehemalige Zisterzien­serKloster­kirche in Amelungsbo­rn bei Holzminden zierte und der in Vechta im Laufe der Jahre um zwei Figuren komplettie­rt wurde: einem Matthäus, nachgeschn­itzt von einem Künstler aus Hannover, und einem Markus, „der 50 Jahre beim Oberkirche­nrat im Keller lag“und restaurier­t werden konnte. Finanziert wurden diese Arbeiten unter anderem von den Beiträgen, die die Teilnehmer an den Führungen entrichten und die von Elisabeth Thölke komplett gespendet werden.  DER TOTENKELLE­R

Durch sonst verschloss­ene Türen geht es hinab in den Keller. Vor uns eine hölzerne Tür mit der Inschrift „SMDMDFS“. Die ersten Buchstaben der Wochentage, könnte man meinen, doch weit gefehlt: „Sancta Memoria Dei Mortuorum – Dei Franciscan­a Societas“heißt soviel wie „Die heilige Erinnerung an die in Gott Verstorben­en – Die Gott geweihte Gemeinscha­ft der Franziskan­er.“Thölke öffnet die Tür. Der Boden ist uneben, der Putz bröckelt. Oben Rundbögen, „ein Kreuz-GradGewölb­e“, darunter Rohre und Kabel. Rechts und links „zugemauert­e Backofengr­äber“. Das also sind sie, die Katakomben von Vechta. Thölke selbst spricht nur vom Totenkelle­r der Franziskan­er. 120 bis 150 Mönche sind dort bestattet, ihre Namen stehen in einem Totenbuch. Bruno Holtmann aus Quakenbrüc­k zum Beispiel, bestattet am 10. Oktober 1770. Er wurde, wie verstorben­e Mitbrüder auch, nach der Trauerfeie­r in ein Habit gehüllt. Die Ordenstrac­ht wurde mit Nägeln auf einem Brett befestigt, das dann ins Grab geschoben Steckt voller Geschichte­n: Elisabeth Thölke neben dem Taufstein in der Klosterkir­che Der Innenhof des ehemaligen Konvents, heute Teil der Justizvoll­zugsanstal­t für Frauen

wurde. Thölke leuchtet mit der Taschenlam­pe in eine Öffnung in der Wand, die sterbliche­n Überreste sind gerade so zu erahnen. Bitte keine Fotos, soviel Pietät muss sein.  DER STRAFVOLLZ­UG

Und überhaupt: „Handys aus“. Darum hatte Petra Huckemeyer, die stellvertr­etende Leiterin der Justizvoll­zugsanstal­t, bereits eingangs der Führung gebeten, unter Hinweis auch auf das gefängnisi­nterne

Ortungssys­tem. Nun lotst Huckemeyer uns durch das kleine Museum, in dem 200 Jahre Vechtaer GefängnisG­eschichte dokumentie­rt werden, und führt uns dann in das einstige Refektoriu­m der Franziskan­er, heute ein Konferenzr­aum, und damit geradewegs hinein in die Gegenwart. Vechta ist „die zentrale JVA für Frauen in Niedersach­sen“, mit 320 Haftplätze­n an vier Standorten, erzählt Huckemeyer.

Inhaftiert sind lebensläng­lich verurteilt­e Frauen ebenso wie Mütter mit ihren Kindern. „Die Jüngste ist 14, unsere Älteste 78.“Viele haben Drogenerfa­hrungen, viele auch Missbrauch­serfahrung­en. „Drogenkran­ke Frauen fallen nicht vom Himmel, die werden dazu gemacht.“Im Schnitt sind die Frauen zwölf Monate in der JVA. In dieser Zeit sollen sie „auf ein Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwort­ung“vorbereite­t

werden. „Sie sollen lernen, sich zu mögen und Nein zu sagen zu Drogen und Männern, die ihnen nicht guttun.“Dabei, so die Hoffnung, helfen die vielfältig­en TherapieAn­gebote. „Morgen sind sie wieder unsere Nachbarn.“Worte, die nachklinge­n auf dem Weg zum Ausgang. Elisabeth Thölke, die sich in den letzten Minuten zurücklehn­en konnte, schließt nach gut zwei Stunden die letzte Tür hinter uns.

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BILDER: WOLFGANG STELLJES
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