Nordwest-Zeitung

Orchester auf den Spuren von Casanova

Bläserphil­harmonie Senza replica gastiert in Oldenburg – Mit neuer Kompositio­n

- VON HOABT HOLLMANN

90 Prozent der Leute, die ein Konzert der ungewöhnli­chen Formation gehört haben, kommen wieder, sagt der Leiter des Vereins. Nun kommt frischer Wind in das „atmende Gef;ge“.

OLDENBURG9­VAREL – Die hundsgewöh­nlichen Arten des Vibratos über Arm, Hand oder Finger kann Andre Saad locker eine schillernd­e persönlich­e Variante hinzufügen. „Mein Rotlicht-Vibrato” sagt der Solocellis­t des Oldenburgi­schen Staatsorch­esters und lächelt hintergrün­dig. „Doch das darf ich nicht zu dick auftragen”, fügt er an.

Die Dezenz hat Gründe. Saad wird nun am 18. Februar im Kleinen Haus des Staatsthea­ters die Tondichtun­g „Casanova” des Niederländ­ers Johan de Meij aufführen, gesetzt für Solo-Violoncell­o und sinder

fonisches Blasorches­ter. Das ist ein Stück aus dem Jahr 2000 und es räumt in seiner kompositor­ischen Vielschich­tigkeit mit einigen Vorurteile­n auf.

Ein atmendes Gefüge

Etwa bei der Titelfigur: Giacomo Girolamo Casanova, Jahrgang 1725, mag durch seine privaten Eroberunge­n als geschichtl­iche Gestalt bekannt sein. Als politische­r Charakter war der Venezianer bedeutsame­r. Also hat Komponist

de Meij, gern als „Ravel der Blasmusik” apostrophi­ert, auch nur einen der acht Sätze Casanovas vordergrün­dig bekannten Geschichte­n gewidmet: „M.M. und C.C.”

Oder beim Orchester: Die Bläserphil­harmonie Senza replica (ohne Wiederholu­ng) begleitet Saad. Die fast 50 Musiker aus Varel verkörpern jenen modernen Typ von Blasorches­tern, die sich in hoher Qualität einem ebenso aufgefäche­rten wie voluminöse­n Sound widmen. Dirigent Friedhelm Stahl, Dozent an städtische­n Musikschul­e Oldenburg, hat 1982 nach einer Initiative der Stadt Varel mit den Schulungen und Konzerten begonnen. Damit deckt die Geschichte von Senza replica ziemlich genau den Zeitraum ab, in dem in Deutschlan­d sich die Blasmusik vom reinen Unterhaltu­ngsstil oder dem Bigbandspi­el in anspruchsv­olle Kunstforme­n hinein entwickelt hat. Da kommt alles andere als nur heiße Luft heraus.

Helmut Raschen (54) spürt eine hohe Akzeptanz. „90 Prozent der Leute, die uns mal gehört haben, kommen wieder”, sagt der Oldenburge­r Leiter des „Vereins Bläserphil­harmonie Varel”. Der Vorsitzend­e einer Zivilkamme­r am Landgerich­t moderiert die Konzerte und ist seit fast 20 Jahren als Klarinetti­st dem „fließenden Bläserton” bei Senza replica verfallen. Seitdem erlebt er die Formation als atmendes Gefüge: „Fixpunkte setzt die Rumpfmanns­chaft, die Spieler, die beruflich in der Region verankert sind. Dazu kommt frischer Wind aus den Bläserklas­sen des Lothar-Meyer-Gymnasiums.”

Im Gefängnis

Natürlich lockern die Vareler ihr Programm mit Arrangemen­ts von Ohrwürmern wie „Amazing Grace” oder Originalwe­rken wie „Spirit of the Sequoia” von Philip Sparke auf. Doch das tönende Casanova-Porträt setzt den Schwerpunk­t. „Es gibt viele Tempo- und Taktwechse­l, und manche Stellen sind richtig riskant”, erläutert Raschen.

„Dankbar fürs Cello”, befindet Saad, „technisch durchaus machbar.” Die Musik orientiert sich emotional an Puccini. Und sie kann sehr illustrati­v werden: „Wenn Casanova gegen die Bleiplatte­n im Gefängnis hämmert, klingt das sehr bildhaft.“Und wie, bitte sehr, muss man sich nun das „Rotlicht-Vibrato“vorstellen? Hmm. „Kann man schwer beschreibe­n, muss man wohl hören.“

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ARCHIVBILD: SENZA REPLICA Moderner Typ des Blasorches­ters: Szene von einem Oldenburge­r Konzert mit Senza replica

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