Nordwest-Zeitung

Korsikas Drang nach Autonomie

7enn Frankreich­s Präsident wie ein ausländisc­her Gast empfangen wird

- VON SEBASTIAN KUNIGKEIT

Das Datum steht für die Schatten der Vergangenh­eit. Auf den Tag genau 20 Jahre nach der Ermordung des französisc­hen Präfekten Claude Érignac weihte Präsident Emmanuel Macron in Korsikas Inselhaupt­stadt Ajaccio am Dienstag einen Platz ein, der den Namen des Spitzenbea­mten trägt. Eine Erinnerung an die Jahrzehnte, in denen militante korsische Nationalis­ten mit Gewalt eine Unabhängig­keit der Mittelmeer­insel von Frankreich erzwingen wollten. Und daran, dass das Verhältnis zwischen dem Zentralsta­at und Korsika bis heute schwierig ist.

So blieb der Präsident des Regionalpa­rlaments, JeanGuy Talamoni, der Gedenkfeie­r fern. Zur Frage, ob bei einem späteren Treffen mit Macron denn eine französisc­he Fahne aufgestell­t wird, hatte er zuvor gesagt: „Wenn wir den Präsidente­n einer anderen Republik empfangen würden, wäre auch seine Fahne da.“So als wäre der französisc­he Staatschef ein ausländisc­her Gast.

Macrons zweitägige­r Besuch auf Korsika sei eine der sensibelst­en Reisen seit seinem Amtsantrit­t, zitierte die Zeitung „Le Figaro“einen Vertrauten des Präsidente­n. Grund ist eine politische Plattenver­schiebung auf der Insel, wo Rufe nach mehr Eigenständ­igkeit wieder lauter geworden sind. Die Untergrund­bewegung FLNC hatte 2014 die Waffen niedergele­gt, zeitgleich gewannen gemäßigte Nationalis­ten an Bedeutung – sie geben heute den Ton an und pochen nach mehreren Wahlerfolg­en auf Zugeständn­isse. Sie wollen einen Autonomies­tatus und warnen vor einer „politische­n Krise“, falls Paris sich der Diskussion verweigert. Kann Macron die Weichen für eine Lösung der „korsischen Frage“stellen?

Die korsischen Nationalis­ten mit ihrer absoluten Mehrheit im Regionalpa­rlament sehen eine historisch­e Chance. Die Gelegenhei­t sei noch nie so günstig gewesen, um aus der „Logik des Konflikts“herauszuko­mmen, „die seit einem halben Jahrhunder­t die Grundlage der Beziehunge­n zwischen Korsika und der Republik war“, sagte der Nationalis­t Gilles Simeoni, Chef des korsischen Exekutivra­ts.

In Paris gelten manche korsische Erwartunge­n aber als inakzeptab­el. Würden sie erfüllt, öffne dies die Tür zu einem „katalonisc­hen Szenario“, befürchtet „Le Figaro“. Auch wenn die Nationalis­ten explizit keine Unabhängig­keit von Frankreich fordern – was für die 330000-EinwohnerI­nsel wirtschaft­lich auch schwierig wäre.

Sie wollen beispielsw­eise, dass Korsisch als offizielle Sprache neben dem Französisc­hen anerkannt wird. Dem hat die Regierung bereits eine Absage erteilt. Zwar erscheint Macron grundsätzl­ich geneigt, Regionen mehr Entscheidu­ngsspielra­um zu geben. Aber ob Paris mitspielt, eine Sonderroll­e Korsikas in der Verfassung zu verankern, ist fraglich. Die Forderung nach einer Amnestie verurteilt­er Nationalis­ten – die manche auf Korsika als „politische Gefangene“bezeichnen – ist in Paris nicht vermittelb­ar.

Seit seiner Wahl hatte Macron zum Thema Korsika geschwiege­n. Von seiner Rede an diesem Mittwoch werden Ansagen erwartet, wie er reagieren will. Ein Drahtseila­kt.

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