Korsikas Drang nach Autonomie
7enn Frankreichs Präsident wie ein ausländischer Gast empfangen wird
Das Datum steht für die Schatten der Vergangenheit. Auf den Tag genau 20 Jahre nach der Ermordung des französischen Präfekten Claude Érignac weihte Präsident Emmanuel Macron in Korsikas Inselhauptstadt Ajaccio am Dienstag einen Platz ein, der den Namen des Spitzenbeamten trägt. Eine Erinnerung an die Jahrzehnte, in denen militante korsische Nationalisten mit Gewalt eine Unabhängigkeit der Mittelmeerinsel von Frankreich erzwingen wollten. Und daran, dass das Verhältnis zwischen dem Zentralstaat und Korsika bis heute schwierig ist.
So blieb der Präsident des Regionalparlaments, JeanGuy Talamoni, der Gedenkfeier fern. Zur Frage, ob bei einem späteren Treffen mit Macron denn eine französische Fahne aufgestellt wird, hatte er zuvor gesagt: „Wenn wir den Präsidenten einer anderen Republik empfangen würden, wäre auch seine Fahne da.“So als wäre der französische Staatschef ein ausländischer Gast.
Macrons zweitägiger Besuch auf Korsika sei eine der sensibelsten Reisen seit seinem Amtsantritt, zitierte die Zeitung „Le Figaro“einen Vertrauten des Präsidenten. Grund ist eine politische Plattenverschiebung auf der Insel, wo Rufe nach mehr Eigenständigkeit wieder lauter geworden sind. Die Untergrundbewegung FLNC hatte 2014 die Waffen niedergelegt, zeitgleich gewannen gemäßigte Nationalisten an Bedeutung – sie geben heute den Ton an und pochen nach mehreren Wahlerfolgen auf Zugeständnisse. Sie wollen einen Autonomiestatus und warnen vor einer „politischen Krise“, falls Paris sich der Diskussion verweigert. Kann Macron die Weichen für eine Lösung der „korsischen Frage“stellen?
Die korsischen Nationalisten mit ihrer absoluten Mehrheit im Regionalparlament sehen eine historische Chance. Die Gelegenheit sei noch nie so günstig gewesen, um aus der „Logik des Konflikts“herauszukommen, „die seit einem halben Jahrhundert die Grundlage der Beziehungen zwischen Korsika und der Republik war“, sagte der Nationalist Gilles Simeoni, Chef des korsischen Exekutivrats.
In Paris gelten manche korsische Erwartungen aber als inakzeptabel. Würden sie erfüllt, öffne dies die Tür zu einem „katalonischen Szenario“, befürchtet „Le Figaro“. Auch wenn die Nationalisten explizit keine Unabhängigkeit von Frankreich fordern – was für die 330000-EinwohnerInsel wirtschaftlich auch schwierig wäre.
Sie wollen beispielsweise, dass Korsisch als offizielle Sprache neben dem Französischen anerkannt wird. Dem hat die Regierung bereits eine Absage erteilt. Zwar erscheint Macron grundsätzlich geneigt, Regionen mehr Entscheidungsspielraum zu geben. Aber ob Paris mitspielt, eine Sonderrolle Korsikas in der Verfassung zu verankern, ist fraglich. Die Forderung nach einer Amnestie verurteilter Nationalisten – die manche auf Korsika als „politische Gefangene“bezeichnen – ist in Paris nicht vermittelbar.
Seit seiner Wahl hatte Macron zum Thema Korsika geschwiegen. Von seiner Rede an diesem Mittwoch werden Ansagen erwartet, wie er reagieren will. Ein Drahtseilakt.