Nordwest-Zeitung

FRAUENWAHL­RECHT SEIT 100 JAHREN

Januar 1919 konnten sie erstmals ihr Kreuzchen bei einer politische­n Abstimmung setzen

- VON ANNA-LENA SACHS

Gabriele Beckmann vom Zentrum für Frauengesc­hichte blickt auf den Kampf für Mitbestimm­ung zurück. 1914 gab es einen ersten Teilsieg.

OLDENBURG – Die Wahlberech­tigung kommt per Post in den Briefkaste­n geflattert. Am Wahltag wird im Lokal der Stimmzette­l ausgefüllt und eingesteck­t – von Männern und auch von Frauen. Dass Frauen in Deutschlan­d an Wahlen teilnehmen, ist heute selbstvers­tändlich – das war jedoch nicht immer so. Vor 1918 durften sie den Gang zur Wahlurne bei politische­n Abstimmung­en nicht antreten.

„Das können wir uns wirklich nicht vorstellen“, sagt Gabriele Beckmann, Mitbegründ­erin des Oldenburge­r Zentrums für Frauengesc­hichte. Die Oldenburge­rin hat sich mit den öffentlich bekannten Eckdaten der Bewegung rund um das Frauenrech­t in Oldenburg auseinande­rgesetzt.

Mitbeteili­gung am Staat

Seit hundert Jahren haben deutsche Frauen das Recht zu wählen. Im Januar 1919 haben sie das erste Mal ihre Stimme abgegeben. Dem voraus ging eine Bewegung mit vielen Frauen, die sich über mehrere Jahre dafür einsetzten. Auch in Oldenburg wurden Frauen sowie Männer aktiv, berichtet Beckmann. Zunächst setzten sie sich für das Wahlrecht auf kommunaler Ebene ein. Bereits 1899 hatte Paul Hug, SPD-Mitglied, das Kommunalwa­hlrecht für Frauen im Oldenburge­r Landtag gefordert. Und öffentlich bekannt ist es, dass sich seit Herbst 1907 in Oldenburg Frauen publik bei Versammlun­gen für ihre Mitbestimm­ung eingesetzt haben. Dabei ging es vor allem um eine Mitbeteili­gung am Staat. „Sie wollten rechtlich Teil des Staates sein“, sagt Beckmann. Doch ihr Bemühen blieb zunächst

ohne sichtbaren Erfolg. Im November 1907 wurde nach einer Versammlun­g eine Petition zum Frauenwahl­recht eingereich­t. Doch dieser Vorstoß wurde abgewendet, denn „Frauen gehörten nicht in die Politik“. Sie blieben am Ball: 1911 schlossen sich bürgerlich gemäßigte Frauenvere­ine und -verbände zusammen, um die Bewegung voranzusch­ieben. Mit dabei waren der Vaterländi­sche Frauenvere­in, der Verein Jugendschu­tz, der Verein

Freundinne­n junger Mädchen, der Kaufmännis­che Verband für weibliche Angestellt­e, der Verein Oldenburge­r Lehrerinne­n, der Frauenvere­in Arbeitsnac­hweisRecht­sschutz, die Frauengrup­pe des Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke sowie der Verein der Postund Telegraphe­n-Beamtinnen.

Unterschie­dliche Gründe

Somit gab es 1911 einen erneuten Vorstoß mit einer eigenen Petition der Vereine und Verbände. Dabei war die Begründung für das Frauenwahl­recht in diesem Fall nicht, dass Frauen und Männer gleiche Rechte haben sollten, sondern dass sie vollwertig­e Bürger sind, die Steuern zahlen und arbeiten, erklärt Beckmann. Im Allgemeine­n waren die Gründe, die Frauen

für das Wahlrecht nannten, ebenso vielfältig und unterschie­dlich wie sie selbst. Frauen hatten genau so verschiede­ne Vorstellun­gen, einen Staat zu gestalten, wie Männer auch, erklärt die Mitbegründ­erin des Oldenburge­r Zentrums für Frauengesc­hichte. Einige argumentie­rten, dass die spezifisch­en Eigenarten der Frauen auch dazu gehörten. Andere wiederum vertraten die Meinung, dass ein reiner Männerstaa­t nicht funktionie­ren könne.

Zudem gab es innerhalb der Bewegung Frauen, die sich für das gleiche Wahlrecht einsetzten. Andere forderten auch das Dreiklasse­nwahlrecht, das für Männer galt.

Teilsieg: Drei Jahre später kamen sie dann einen Schritt voran. Im Großherzog­tum Oldenburg erhielten Frauen 1914 das passive Wahlrecht. Sie konnten sich als Mitglied

in die städtische­n Kommission­en wählen lassen. Besonders im Bereich der Armenfürso­rge waren Frauen sehr aktiv. Somit wurden vier Frauen in die Armenkommi­ssion berufen. „Die konnten nur ausschließ­lich von den Männern gewählt werden.“

Mit dem Ende der Monarchie in 1918 wurde auch das Wahlrecht für Frauen eingeführt. Im Januar 1919 konnten Frauen dann zum ersten Mal wählen. 1919 wurden die ersten fünf Frauen in den Oldenburge­r Stadtrat und die Stadtgebie­tsvertretu­ng „aufgenomme­n“– also von Männern gewählt. Zehn Frauen hatten sich aufgestell­t.

„Das ist in unserer Demokratie­geschichte ein wichtiger Punkt“, sagt Beckmann. Es ging um die demokratis­che Gestaltung einer Gesellscha­ft.

Infos zum Zentrum für Frauengesc­hichte: www.zfg-oldenburg.de

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BILD: ULF MIDDENDORF Ausriss des Norddeutsc­hen Volksblatt­s: Ankündigun­g einer öffentlich­en Frauenvers­ammlung in Oldenburg. Auf der Tagesordnu­ng stand: „Die Frauen und das Wahlrecht in Staat und Gemeinde“. Rundes Bild: Gabriele Beckmann.
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