Nordwest-Zeitung

SPD-Votum ist bedenklich

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

FRAGE: Zas Bundesverf­assungsger­icht prüft, ob der SPD-Mitglieder­entscheid verfassung­skonform ist. Kippt Karlsruhe das Votum? DEGENHART: Der Mitglieder­entscheid ist verfassung­srechtlich höchst fragwürdig und in hohem Maße bedenklich. Die Beschwerde­n vor dem Bundesverf­assungsger­icht werden allerdings wohl keinen Erfolg haben. Die Karlsruher Richter halten sich nicht für zuständig. Der Mitglieder­entscheid wird als eine reine parteiinte­rne Angelegenh­eit angesehen, die keine rechtliche Außenwirku­ng hat, mag sie auch politisch eine gravierend­e Außenwirku­ng haben. FRAGE: Warum ist das Votum problemati­sch?

DEGENHART: Es gibt mehrere Gründe: Hier soll eine Minderheit von Parteimitg­liedern, die weniger als ein Prozent der Bevölkerun­g ausmacht, ein ähnliches Stimmgewic­ht haben wie die Mehrheit der Wählerscha­ft. Das Grundgeset­z sieht eine solche Basisdemok­ratie eigentlich auch nicht vor. Die Wählerinne­n und Wähler wählen das Parlament. Und der Bundestag wählt schließlic­h den Bundeskanz­ler. Wir haben seit fünf Monaten eine Regierung, die demokratis­ch nicht legitimier­t ist. Wenn die Regierungs­bildung jetzt durch einen Mitglieder­entscheid zusätzlich hinausgezö­gert wird, halte ich das für bedenklich. Außerdem dürfen bei der Mitglieder­entscheidu­ng der SPD auch Menschen abstimmen, die überhaupt nicht wahlberech­tigt sind, sei es weil sie noch minderjähr­ig sind, oder weil sie nicht die deutsche Staatsbürg­erschaft besitzen. FRAGE: Wird durch das Votum die freie Ausübung des Mandates eingeschrä­nkt? DEGENHART: Meines Erachtens eindeutig ja. Der Mitglieder­entscheid wirkt sich auf die freie Ausübung des Mandates der Bundestags­abgeordnet­en aus. Die SPD-Abgeordnet­en werden sich nicht dem Ergebnis eines Mitglieder­votums entziehen können. Natürlich sind sie in ihrer Entscheidu­ng frei. Aber hier wird die Grenze zwischen Fraktionsd­isziplin und unzulässig­em Druck schon erreicht. Das ist ein undemokrat­ischer und bedenklich­er Prozess. Da wird der vom Grundgeset­z vorgesehen­e Ablauf nicht eingehalte­n und eine weitere Instanz dazwischen geschaltet. FRAGE: Karlsruhe hat bereits zwei von fünf Beschwerde­n abgelehnt… DEGENHART: Die Anträge haben keine Aussicht auf Erfolg. Sollte sich die Mehrheit der SPD-Mitglieder gegen eine Regierungs­beteiligun­g entscheide­n, dann werden sich manche Wählerinne­n und Wähler künftig gut überlegen, ob sie der SPD noch ihre Stimme geben werden.

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DPA-BILD: KUMM Christoph Degenhart (68) ist Staatsrech­tler an der Uni Leipzig.

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