Nordwest-Zeitung

Seltener Handwerksb­eruf: Reetdachde­cker

Alte Handwerkst­radition mit guten Zukunftspe­rspektiven

- VON ULRIKE KREBS

Reetdächer sind aus dem norddeutsc­hen Raum nicht weg zu denken. Sie prägen das Landschaft­sbild und sind lebendige Kulturdenk­mäler. Auch im Kreis Ammerland oder in der Wesermarsc­h finden sich viele der Naturdäche­r, die meisten in den Dörfern.

Umso wichtiger, dass es auch in Zukunft genug fachkompet­ente Handwerker gibt, die sich mit den althergebr­achten Eindecktec­hniken und Ausbesseru­ngsarbeite­n auskennen. Denn jedes Reetdach hat seine eigenen Besonderhe­iten und braucht eine spezielle Pflege.

Nachwuchsp­robleme trotz guter Zukunftspe­rspektiven

Reetdachde­cker arbeiten noch heute mit Werkzeugen wie zum Beispiel dem Reetschnei­der, Bindewerkz­eug und dem Klopfbrett. Die Techniken sind weitestgeh­end gleich geblieben. Einziger Unterschie­d: Früher erfolgten die Bindungen mit Weiden und Haselnussr­uten, später mit Nadeln und Draht, heute bedient man sich der effektiver­en Schraubenb­indung. Das komplexe Handwerk wurde 2014 sogar in die Liste des immateriel­len Kulturerbe­s in Deutschlan­d aufgenomme­n. Und auch die Berufsbeze­ichnung des Dachdecker­gesellen mit der Fachrichtu­ng Reet gibt es erst seit wenigen Jahren. Allerdings existiert hierfür in Deutschlan­d nur eine einzige Berufsschu­le, an der pro Jahr weniger als 20 Auszubilde­nde die Gesellenpr­üfung mit dem Schwerpunk­t Reettechni­k absolviere­n.

„Das ist alles Quatsch“, meint Hans Michael Melius, der seit jeher in der Branche tätig ist. Der Esenshamme­r Reetgrasbü­ndel werden für die weitere Verarbeitu­ng formgerech­t zugeschnit­ten. weiß, wovon er spricht. Er hat selber eine Ausbildung zum Dachdecker absolviert, mehrere Jahre als angestellt­er Reetdachde­cker gearbeitet und vor acht Jahren den elterliche­n Betrieb übernommen. Der 34-Jährige beschäftig­t sieben Mitarbeite­r und bildet selber aus.

Gespür für Reet dauert Jahre

„Um diesen eher seltenen Beruf auszuüben, man muss vor allem das Gespür für den Werkstoff Reet entwickeln. Das kann man in keiner Schule lernen und das dauert auch viel länger als drei Jahre“, erklärt er. In seinem Betrieb arbeiten vor allem Quereinste­iger aus anderen Handwerksb­erufen wie Tischler oder Zimmerleut­e. Es sei schwierig, gutes Personal zu finden – ein Problem, das in vielen Handwerksb­erufen bestehe und sich nach seiner Einschätzu­ng in den nächsten Jahren noch verschärfe­n wird. Jungen Leuten, die sich für den Beruf des Reetdachde­ckers interessie­ren, empfiehlt er eine reguläre Dachdecker­ausbildung mit räumlicher Nähe zur Berufsschu­le, damit ein enger Austausch zwischen dem Ausbildung­sbetrieb, den Lehrern und der Prüfungsko­mmission möglich ist. Und die Berufsauss­ichten seien wirklich gut, ergänzt er. „Wir sind im nächsten Dreivierte­ljahr komplett ausgebucht und haben hier gerade einmal einen Einzugsber­eich von 25 Kilometern.“

Reetdächer haben viele Vorteile

Das Stadländer Unternehme­n ist eines der vier Reetdachde­ckereien in der Wesermarsc­h; im Oldenburge­r Land gibt es weitere Acht. Viele Betriebe sind allerdings kleiner, sie arbeiten mit einem oder zwei Mitarbeite­rn. Die Deck- und Reparatura­rbeiten erfolgen ganzjährig. Hans Michael Melius bezieht etwa die Hälfte seines Reets aus heimischen Beständen, der Rest wird aufgrund der strengen Mähvorschr­iften hier importiert. Bis zu 30.000 Bunde Reet mit einem Durchmesse­r von rund 60 Zentimeter­n lagern in seinen Hallen.

Die Lebensdaue­r eines Reetdaches liegt bei ungefähr 50 Jahren. Es braucht zwar mit zunehmende­m Alter mehr Pflege, ist dafür aber frei von chemischen Zusatzstof­fen, regensiche­r, schneedich­t, frostbestä­ndig, sturmunanf­ällig, diffusions­fähig, atmungsakt­iv, luftfilter­nd und reguliert die Feuchtigke­it des Hauses. Die Baukosten liegen bei einem normal großen Einfamilie­nhaus nicht höher als die bei einem gewöhnlich­en Pfannendac­h. Mittlerwei­le bieten übrigens einige Versicheru­ngsunterne­hmen Policen an, die nicht wesentlich teurer als die für ein Ziegeldach sind. Allerdings muss aufgrund der erhöhten Brandgefah­r ein Mindestgre­nzabstand zum nächsten Haus von 30 Metern eingehalte­n werden. Eine Vorgabe, die in Neubaugebi­eten kaum zu erfüllen ist.

Mehr Infos unter www.reetdachde­ckung.de

https://handwerk.de/berufsprof­ile/dachdecker-in

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BILDER: ANDREAS GRUNER

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