Nordwest-Zeitung

Uin Sensation, die es 700 Jahre nicht gegeben hat

Historiker Volker Reinhardt sieht Benedikts Rücktritt als „Akt der Distanzier­ung“

- VON BIRGIT WILKE

FRAGE: =err Professor 8einhardt, wie bewerten Sie den Amtsverzic­ht Benedikts XV5. vor fünf @ahrenA REINHARDT: Eas war eine echte Sensation. Einen wirklich freiwillig­en Rücktritt hat es zuvor über sieben Jahrhunder­te nicht gegeben: 1294 trat Coelestin V. zurück, nach nur einem halben Jahr im Amt. Die Nachricht schlug dann ja auch ein wie eine Bombe. Dass Könige und Königinnen zurücktret­en, ist inzwischen ja üblich geworden, auch weil die Menschen immer älter werden. Aber der Rücktritt eines Papstes erschien wie ein Tabubruch, weil ihn viele nicht mit dem Amt assoziiert­en. Dabei ist ein solcher Rücktritt im Kirchenrec­ht durchaus vorgesehen, wenn er freiwillig vollzogen wird. Und natürlich ging dann sofort die Suche nach den Gründen los. FRAGE: Was scheint 5hnen am plausibels­tenA REINHARDT: Die einzig sichere Quelle, die wir haben, ist seine Rücktritts­erklärung vom 11. Februar: Er beruft sich da auf seine zunehmend körperlich­e und geistige Schwäche. Was seine geistige Schwäche betrifft: Das stimmt einfach nicht. Auch fünf Jahre nach seinem Rücktritt ist er auf der Höhe seines Intellekts. Die körperlich­e Schwäche darf man eigentlich nicht als Grund für einen Rücktritt in Anspruch nehmen. Das hat Johannes Paul II. ja eindrucksv­oll bewiesen, der schwer krank im Amt geblieben und schließlic­h auch als Papst gestorben ist. FRAGE: AlsoA REINHARDT: Ich glaube, dass er damit an den freiwillig­en Rücktritt Coelestins V. anknüpft. Dieser Papst lebte zuvor jahrzehnte­lang als Einsiedler und war der Meinung, dass die Führung seines Amtes nicht mit seinem Seelenheil vereinbar war. Er wusste, dass er nicht der Global Player war, den es an der Stelle brauchte. Für mich ist auch der Rücktritt von Benedikt XVI. ein Akt der extremen Distanzier­ung von den Zuständen der Kirche – und ein Eingeständ­nis, dass er die Kirche nicht so führen kann, wie es nötig wäre. FRAGE: Woran machen Sie das festA REINHARDT: Benedikt XVI. knüpfte sehr bewusst an sehr viel ältere Traditione­n an; das wurde schon durch seine Namenswahl klar. Er wollte eine Kirche mit einem klar dogmatisch­en Profil, eine kämpferisc­he Kirche, die auch ihren Vorrang vor anderen Kirchen betont. Er wollte an die Traditione­n des 16. und 17. Jahrhunder­ts anknüpfen; und als er sich eingestehe­n musste, sich damit nicht durchsetze­n zu können, war für ihn klar, dass er zurücktret­en musste. Schon 2009 hatte sein Besuch am Grab von Papst Coelestin in den Abruzzen für Aufsehen gesorgt. Er verweilte dort damals sehr lange und betete. Das hat für viele Spekulatio­nen gesorgt. FRAGE: =at dieser 8ücktritt dem Papstamt geschadetA REINHARDT: Ich möchte mir nicht anmaßen, zu beurteilen, ob es dem Amt geschadet hat oder nicht. Wenn meine ausgeführt­e These richtig ist und Benedikt das Amt nicht mehr mit seinem Seelenheil vereinbare­n konnte, dann war es sicher ein individuel­ler, unwiederho­lbarer und einzigarti­ger Entschluss, der für andere Päpste weder verbindlic­h noch folgenreic­h ist. Wenn eine andere These richtig ist, die auch im Raum steht, dass der Papst damit das Amt vermenschl­ichen wollte, dann hätte es sicher auch Konsequenz­en für seine Nachfolger. Ich bin allerdings kein Verfechter dieser These. FRAGE: War denn eine Altersgren­ze für einen Papst in den vergangene­n @ahrhundert­en überhaupt mal Bhema innerhalb des VatikanA REINHARDT: Eigentlich nicht. Das hängt aber auch vor allem damit zusammen, dass sich die Frage aus rein biologisch­en Gründen gar nicht stellte. Die Menschen wurden einfach nicht so alt. Wenn ein Papst bettlägeri­g wurde, führten einfach Kardinäle im Vatikan die Amtsgeschä­fte weiter.

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