Zwischen Wotan und Kim Jong Un
Verdis „Rigoletto“erlebt gefeierte Neuinszenierung im Großen Haus
Regisseur Hinrich Horstkotte stellt eine verrottete Gesellschaft auf die Bühne. Kihun Yoon entfaltet als stimmstarker Titelheld eine weite Spanne von Gefühlen.
OLDENBURG – Manus manum lavat, sagt der Lateiner. Eine Hand wäscht die andere. Der Leumund dieses Volksmundes ist nicht wirklich gut. Außer in Oldenburg, im Großen Haus des Staatstheaters. Dort reicht in der Neuinszenierung von Giuseppe Verdis „Rigoletto“die Regie der Musik die Hand, und die streckt ihre zurück zur Bühne. Man muss die Hände in ein dreckiges Geschehen stecken. Aber man arbeitet sauber zusammen. Am Ende ist es, als ob alle den ergriffenen Zuhörern die Hände auf die Schultern legen: Ja, so mitreißend kann Verdi gehen, auch im angeblich kühlen Norden.
In Ledermontur
Die Sicht von Regisseur Hinrich Horstkotte auf den Hof des Herzogs von Mantua und den Narren Rigoletto ist vielschichtig und bunt wie in einem Prisma. Das ist schon an der Bühne von Siegfried Meyer abzulesen. Räume ziehen auf der Drehbühne vorbei. Darüber sind weitere Ebenen gestapelt, die verhängnisvolle Blicke in andere zulassen. Die Gesellschaft, deren Kostüme ebenfalls Horstkotte entworfen hat, zeigt sich in höfischem Putz oder in Ledermontur. Sie ist abstoßend defekt, hässlich, pervers, korrupt, hinterhältig, masochistisch, primitiv.
Selbst der gedungene Profikiller Sparafucile pfeift auf sein Berufsethos und ersticht Gilda statt des Herzogs, an dem Rigoletto sich zu rächen gedachte. Die dunkel-dämonische Atmosphäre dieser Oper ist reich schattiert auch in der Kulissenkonstruktion eingefangen. Verdis Beziehungsdreieck von Sopran, Tenor und Bariton ist trefflich gespannt. Sooyeon Lee als Gilda singt unter der Obhut ihres Vaters Rigoletto erst soubrettenhaft unecht. Aber in der Erschütterung ihres Lebens changiert sie von der blendenden Brillanz in die tiefe Ausdrucksmusik („Caro Nome/Teurer Name“).
Jason Kim als bindungsunfähiger Herzog drückt seinen flatterhaften Charakter mit federnd-elegantem Feinklang auch in der Höhe aus („La donna è mobile/O wie so trügerisch“). Doch in der vielleicht wirklichen Liebe zu Gilda gewinnt er an einnehmender Dramatik und Wärme.
Rigoletto kommt unübersehbar als nordkoreanischer Kim Jong Un. Zum Konflikt zwischen rücksichtslosem Hofnarr und rückhaltlos liebendem und schützendem Vater gibt das der Rolle eine zusätzliche Ambivalenz. Kihun Yoon trägt den Buckel des Krüppels als großes falsches Herz auf dem Rücken. Für die wahren Gefühle schnallt er es ab. Doch die Ausschläge des echten inneren Herzens zerbrechen ihn.
Große Ausbrüche
Dem Gefühlsradikalismus Verdis wird Yoon raumfüllend gerecht, mal stählern, mal samtig. Neben den großen Ausbrüchen („Cortigiani/Feile Sklaven“) verraten die Details viel. Wie sehr ihn der Fluch des Grafen von Monterone (stark: Leonardo Lee) aus der Bahn wirft, zeigt er im verstört gemurmelten „Folia, folia!”.
Yoon ist ein eher wotanhafter Rigoletto, mit wenig Italianatà. Aber das passt. Persönlich prägen ihre Rollen neben anderen vor allem Ill-Hoon Choung (Sparafucile), Yulia Sokolik (Maddalena) und Melanie Lang (Giovanna), dazu der Männerchor (Einstudierung Thomas Bönisch).
Inmitten dieser höchsten Dichte an Opernschlagern lassen sich Vito Cristofaro und das subtil abgestimmte Staatsorchester nicht dazu verleiten, dynamisch zu dick aufzutragen. Doch der Dirigent kann bei logischem Bedarf das Orchester auch zu Hitzigkeit aufputschen. Detailtreue und Ausdrucksdichte sind genau ausgewogen. Die musikalische Dramatik fällt unmittelbar über die Hörer her.
Knapp drei Stunden voller Katastrophen rauschen vorbei.
Karten: 0441/22 25 111
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