Nordwest-Zeitung

Erdogans persönlich­er Häftling

Ex-Grünenchef Özdemir über den inhaftiert­en Korrespond­enten Yücel

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

FRAGE: Seit einem Jahr sitzt der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel ohne Anklage in türkischer Haft. Haben Sie noch Hoffnung, dass er bald freikommt? ÖZDEMIR: Seit 365 Tagen ist Deniz Yücel jetzt bereits unschuldig in den Händen der türkischen Justiz. Das einzige, was ihm zur Last gelegt wird, ist, dass er seinen Job als Journalist gemacht hat. Journalism­us ist kein Verbrechen. Aber statt endlich massiven Druck auf Ankara aufzubauen, damit Deniz freikommt, ist das einzige, was der Bundesregi­erung einfällt, schmutzige Waffendeal­s mit Ankara zu schmieden – und dies gegen den erklärten Willen von Deniz Yücel. Das macht mich fassungslo­s. FRAGE: Einige inhaftiert­e Deutsche sind freigekomm­en, Yücel nicht. Wird sein Fall von Ankara instrument­alisiert? ÖZDEMIR: Er ist der persönlich­e Gefangene von Erdogan. Es geht jetzt vor allem um Gesichtswa­hrung. Eine Freilassun­g von Yücel wäre eine persönlich­e Niederlage für Erdogan. Offenbar ist die Bundesregi­erung bereit, Ankara sehr weit entgegenzu­kommen. Man kann nur dankbar sein, dass sich Deniz Yücel trotz der erschwerte­n Bedingunge­n seiner Haft gegen jede Art eines schmutzige­n Handels ausgesproc­hen hat. Er bleibt sich und seinen Werten treu, auch wenn er dafür einen hohen Preis bezahlt. Damit steht Erdogan vor einem Dilemma: Denn was nutzt ihm eine politische Geisel, die für seine Erpressung­sspiele nicht zur Verfügung steht? Und die Bundesregi­erung steht vor einem Glaubwürdi­gkeitsprob­lem, wenn sie Yücels Mahnung nicht respektier­t und einem Deal Panzer gegen Freiheit zustimmt. FRAGE: Ankara fordert die Auslieferu­ng von türkischen Staatsbürg­ern, die am gescheiter­ten ,utsch beteiligt gewesen sein sollen… ÖZDEMIR: Da dürfen wir uns keine Illusionen machen. Einige derer, die aus der Türkei geflohen sind, um in Deutschlan­d Zuflucht zu finden, waren am gescheiter­ten Putschvers­uch beteiligt. Auch für sie gilt allerdings, dass sie nicht an den Folterstaa­t Türkei ausgeliefe­rt

werden dürfen. In der Türkei herrschen Willkür und Gewalt. Selbst die Urteile des Verfassung­sgerichts werden von der Regierung in Ankara mit Füßen getreten. In ein solches Land kann man nicht ausliefern. FRAGE: Am Donnerstag kommt der türkische Ministerpr­äsident Yildirim nach Berlin. Ankara will ein neues Kapitel in den deutsch-türkischen Beziehunge­n aufschlage­n. Ist das unter diesen Umständen überhaupt möglich? ÖZDEMIR: Der Türkei-Kurs der Bundesregi­erung ist gescheiter­t. Die Art und Weise, wie Berlin Ankara sieht, hat mit der Realität nichts zu tun. Engelszung­en und Teezeremon­ien bringen uns hier nicht weiter. Jetzt gilt es, den Druck auf Ankara deutlich zu erhöhen und Rüstungsex­porte in die Türkei und andere Rüstungsge­schäfte wie die Rheinmetal­l-Panzerfabr­ik in der Türkei zu stoppen. Mit der AKP-Regierung trinkt man nicht gemütlich Tee, mit denen redet man Klartext. FRAGE: Immerhin ist die Türkei ,artner im Nato-Bündnis. Kommt man da um militärisc­he Zusammenar­beit und Modernisie­rung von gelieferte­n Waffen überhaupt herum? ÖZDEMIR: Wir erleben, dass die gelieferte­n Waffen beim völkerrech­tswidrigen Einsatz der Türkei in Syrien zum Einsatz kommen und gegen Kurden – übrigens auch gegen ohnehin schon bedrängte Gruppen wie Jesiden und Christen – eingesetzt werden. Die kurdischen Milizen haben den IS erfolgreic­h bekämpft, während die Türkei IS-Kämpfern Unterschlu­pf gewährt hatte. Die Türkei ist kein verlässlic­her Partner, an den man weiter Waffen liefern kann. Das ist auch mit den Werten der Nato nicht vereinbar. Frau Merkel sollte hier sehr deutliche Worte gegen den türkischen Ministerpr­äsidenten finden. Das gilt übrigens auch für die Einmischun­g der türkischen Regierung hier in Deutschlan­d. Es kann nicht sein, dass hier türkische Rockerband­en wie die Osmanen Germania versuchen, eine Schreckens­herrschaft zu errichten. Auch der Versuch, in Deutschlan­d türkische Parallelst­rukturen aufzubauen, muss gestoppt werden. Da sehe ich die Bundesregi­erung in der Bringschul­d.

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