Erdogans persönlicher Häftling
Ex-Grünenchef Özdemir über den inhaftierten Korrespondenten Yücel
FRAGE: Seit einem Jahr sitzt der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel ohne Anklage in türkischer Haft. Haben Sie noch Hoffnung, dass er bald freikommt? ÖZDEMIR: Seit 365 Tagen ist Deniz Yücel jetzt bereits unschuldig in den Händen der türkischen Justiz. Das einzige, was ihm zur Last gelegt wird, ist, dass er seinen Job als Journalist gemacht hat. Journalismus ist kein Verbrechen. Aber statt endlich massiven Druck auf Ankara aufzubauen, damit Deniz freikommt, ist das einzige, was der Bundesregierung einfällt, schmutzige Waffendeals mit Ankara zu schmieden – und dies gegen den erklärten Willen von Deniz Yücel. Das macht mich fassungslos. FRAGE: Einige inhaftierte Deutsche sind freigekommen, Yücel nicht. Wird sein Fall von Ankara instrumentalisiert? ÖZDEMIR: Er ist der persönliche Gefangene von Erdogan. Es geht jetzt vor allem um Gesichtswahrung. Eine Freilassung von Yücel wäre eine persönliche Niederlage für Erdogan. Offenbar ist die Bundesregierung bereit, Ankara sehr weit entgegenzukommen. Man kann nur dankbar sein, dass sich Deniz Yücel trotz der erschwerten Bedingungen seiner Haft gegen jede Art eines schmutzigen Handels ausgesprochen hat. Er bleibt sich und seinen Werten treu, auch wenn er dafür einen hohen Preis bezahlt. Damit steht Erdogan vor einem Dilemma: Denn was nutzt ihm eine politische Geisel, die für seine Erpressungsspiele nicht zur Verfügung steht? Und die Bundesregierung steht vor einem Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie Yücels Mahnung nicht respektiert und einem Deal Panzer gegen Freiheit zustimmt. FRAGE: Ankara fordert die Auslieferung von türkischen Staatsbürgern, die am gescheiterten ,utsch beteiligt gewesen sein sollen… ÖZDEMIR: Da dürfen wir uns keine Illusionen machen. Einige derer, die aus der Türkei geflohen sind, um in Deutschland Zuflucht zu finden, waren am gescheiterten Putschversuch beteiligt. Auch für sie gilt allerdings, dass sie nicht an den Folterstaat Türkei ausgeliefert
werden dürfen. In der Türkei herrschen Willkür und Gewalt. Selbst die Urteile des Verfassungsgerichts werden von der Regierung in Ankara mit Füßen getreten. In ein solches Land kann man nicht ausliefern. FRAGE: Am Donnerstag kommt der türkische Ministerpräsident Yildirim nach Berlin. Ankara will ein neues Kapitel in den deutsch-türkischen Beziehungen aufschlagen. Ist das unter diesen Umständen überhaupt möglich? ÖZDEMIR: Der Türkei-Kurs der Bundesregierung ist gescheitert. Die Art und Weise, wie Berlin Ankara sieht, hat mit der Realität nichts zu tun. Engelszungen und Teezeremonien bringen uns hier nicht weiter. Jetzt gilt es, den Druck auf Ankara deutlich zu erhöhen und Rüstungsexporte in die Türkei und andere Rüstungsgeschäfte wie die Rheinmetall-Panzerfabrik in der Türkei zu stoppen. Mit der AKP-Regierung trinkt man nicht gemütlich Tee, mit denen redet man Klartext. FRAGE: Immerhin ist die Türkei ,artner im Nato-Bündnis. Kommt man da um militärische Zusammenarbeit und Modernisierung von gelieferten Waffen überhaupt herum? ÖZDEMIR: Wir erleben, dass die gelieferten Waffen beim völkerrechtswidrigen Einsatz der Türkei in Syrien zum Einsatz kommen und gegen Kurden – übrigens auch gegen ohnehin schon bedrängte Gruppen wie Jesiden und Christen – eingesetzt werden. Die kurdischen Milizen haben den IS erfolgreich bekämpft, während die Türkei IS-Kämpfern Unterschlupf gewährt hatte. Die Türkei ist kein verlässlicher Partner, an den man weiter Waffen liefern kann. Das ist auch mit den Werten der Nato nicht vereinbar. Frau Merkel sollte hier sehr deutliche Worte gegen den türkischen Ministerpräsidenten finden. Das gilt übrigens auch für die Einmischung der türkischen Regierung hier in Deutschland. Es kann nicht sein, dass hier türkische Rockerbanden wie die Osmanen Germania versuchen, eine Schreckensherrschaft zu errichten. Auch der Versuch, in Deutschland türkische Parallelstrukturen aufzubauen, muss gestoppt werden. Da sehe ich die Bundesregierung in der Bringschuld.