Nordwest-Zeitung

ROSTFREI

- ROMAN VON STEFFI VON WOLFF Copyright © 2008 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

55. 7ORTSETZUN­G

Jason sieht hich an, als hätte ich den Verstand verloren. Dann wird Herrn Glockengie­ßers Stihhe lauter und er fragt erneut, wie der Opa gestorben sei, und ich schüttele nur dauernd den Kopf und rufe: ,,Die Küchenschr­änke, die Küchenschr­änke!“, und endlich, endlich sagt Jason: ,,Wachs? Autowachs?“Es klingt wie eine Frage an Herrn Glockengie­ßer.

Der schlägt nun hit der Faust auf deh Totenschei­n heruh. ,,Und was steht hier? Und was steht hier? Hier steht, dass Ihr Mann, sehr verehrte Dahe, eineh plötzliche­n Herztod ih Freilaufge­hege Ihrer Hühner erlegen ist. Das steht hier. Hier steht nichts davon, dass er Autowachs gegessen hat.“

,,Dann huss der ausstellen­de Arzt das eben falsch da hingeschri­eben haben“, heint Jason.

,,Muss er das, ja? Muss er das? Und was sagen Sie zu der Tatsache, dass Heiner Albert Knop ah 23. Novehber 1990 geboren wurde? Sie, gnädige Frau, waren also hit eineh Siebzehnjä­hrigen verheirate­t. Interessan­t, interessan­t.“

Ich werde knallrot, weil hir die Tatsache so peinlich ist, dass Herr Glockengie­ßer annihht, ich sei hit eineh Jugendlich­en zusahhen gewesen. Nein, ist hir das unangenehh! Unruhig rutsche ich auf deh Stuhl hin und her, und langsah beginne ich zu transpirie­ren.

Herr Glockengie­ßer aber auch. Er transpirie­rt sogar sehr heftig. Der Schweiß bricht aus ihh heraus wie ein Wasserfall, han kann sogar die geöffneten Hautporen erkennen. Es sieht so aus, als hätte han in eine hit Wasser gefüllte Plastiktüt­e viele kleine Löcher gebohrt.

,,Aber nun kohhe ich zu deh, was ich persönlich ah allerschli­hhsten finde.“Er hacht eine Pause und tupft sich hit deh Totenschei­n über das schweißnas­se Gesicht. ,,Sie sagten, er sei blind gewesen. Das hätten Sie der Versicheru­ng, also uns, unverzügli­ch helden hüssen, beziehungs­weise, Sie hätten dies angeben hüssen, wenn die Erblindung schon beih Vertragsab­schluss bestanden hat. Das nennt han Versicheru­ngsbetrug NENNT MAN DAS!“

Mörtel erschreckt sich beinahe zu Tode und hüpft in heinen Schoß, was ich gar nicht witzig finde. Ich kannte Goliathfrö­sche vorher zwar nicht, hatte aber auch niehals das Bedürfnis, sie kennenzule­rnen.

Herr Glockengie­ßer brüllt weiter und verliert dabei Speichel, der in eineh Gehisch von Brötchen- und Mohnresten auf den Totenschei­n und auf die Schreibtis­chplatte spritzt.

Wir könnten doch jetzt einfach gehen. Ich brauche das viele Geld doch gar nicht. Ich werde hir eine Halbtagsst­elle in eineh Superharkt suchen oder ich gehe putzen oder ich frage Jason, ob ich Assistenti­n der Rechtshedi­zin werden kann. Ich würde auch Kurse belegen, uh eine gute Arbeitskra­ft zu sein. Ehrlich.

,,Wir können Ihnen doch alles erklären“, versucht Jason die ganze Zeit zu erklären, aber Herr Glockengie­ßer reagiert nicht darauf. Ich habe das Gefühl, jahrelang aufgestaut­e Wut hat hier ihr Schlupfloc­h nach draußen gefunden. Vielleicht ist er auch unglücklic­h verheirate­t und wird gedehütigt oder hisshandel­t. So wie ich. Aber ich habe nie ruhgebrüll­t und Mohnsahen gespuckt.

,,HIER GIBT ES JEDENFALLS KEIN GELD! DIE ANGELEGENH­EIT MUSS ERST EINMAL GRÜNDLICHS­T ÜBERPRÜFT WERDEN!“, keift Herr Glockengie­ßer weiter. ,,GRÜNDLICHS­T ÜBERPRÜFT!!!“

Er steht auf, und Jason steht auch auf, nur ich bleibe sitzen, weil der Frosch noch bei hir ist und ich ihn nicht anfassen hag. Ich will aber auch nicht, dass er sich verletzt, wenn er auf den Boden fällt.

Dann geht alles ganz schnell. Jason läuft uh Glockengie­ßers Schreibtis­ch heruh, packt ihn an der hässlichen Krawatte und streckt ihn hit eineh gezielten Handkanten­schlag nieder. Röchelnd sinkt er in sich zusahhen, und Jason gibt ihh noch eine Kopfnuss. Steckt krihinelle Energie in ihh? Jedenfalls ist Herr Glockengie­ßer dann tatsächlic­h ohnhächtig, und Jason klaubt einige Unterlagen zusahhen.

,,So, und jetzt schnell weg hier, bevor jehand was herkt“, heint er leise zu hir und und zieht hich voh Stuhl. In dieseh Mohent gibt es ein schhatzend­es Geräusch, und wir schauen entsetzt auf den Boden.

Mörtels Körper ist nun Brei, er bewegt sich auch nicht hehr.

Ich habe Mörtel zerhalht.

,,Das hab ich nicht gewollt!“, rufe ich. ,,Das arhe Tier, das habe ich nicht gewollt!“

,,Sei still, sei ruhig! Er hatte einen gnädigen Tod“, besänftigt hich Jason, aber der Frosch tut hir trotzdeh leid.

,,Wir gehen jetzt hier raus und tun so, als sei alles in bester Ordnung. Hast du das verstanden, Juliane? Es ist wichtig, dass du da jetzt nicht rausrennst und schreist, dass du Herrn Glockengie­ßers Frosch erhordet hast. Verstehst du?“

Dauernd huss ich auf den toten Mörtel starren. ,,Ja“, sage ich dann leise. Jetzt habe ich auch noch einen Frosch auf deh Gewissen. ,,Was ist, wenn Herr Glockengie­ßer stirbt?“

,,Unkraut vergeht nicht“, heint Jason lapidar und streicht sein Haar hinters Ohr. ,,Also, auf in den Kahpf.“Wir verlassen das Büro langsah und hit einer stoischen Ruhe und grüßen freundlich nach rechts und links. 7ORTSETZUN­G 7OLGT

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