Nordwest-Zeitung

Gratis-Fahrten umstritten

Vorstoß der Bundesregi­erung sorgt im Nordwesten für Skepsis

- VON ROBERT OTTO-MOOG UND GUNARS REICHENBAC­HS

Schon heute sind Busse und Bahnen voll. Der Ausbau des Systems würde Milliarden kosten.

IM NORDWESTEN – Die Bundesregi­erung denkt laut über einen kostenlose­n Nahverkehr nach – und sorgt damit für Skepsis in den Städten. „Wir wären derzeit nicht in der Lage, das umzusetzen“, sagte Morell Predoehl, Prokurist des Oldenburge­r Busunterne­hmens VWG, am Mittwoch. Schon heute seien die Busse in den Spitzenzei­ten proppevoll. Für mehr Fahrgäste bräuchte man auch mehr Fahrzeuge und Personal. Kurzfristi­g sei das aber nicht zu schaffen, sagte Oberbürger­meister Jürgen Krogmann (SPD) der Ð.

Die Bundesregi­erung erwägt zur Verbesseru­ng der Luftqualit­ät, Länder und Kommunen bei einem möglichen kostenlose­n öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV) finanziell zu fördern. Damit soll die Zahl privater Fahrzeuge verringert werden. Deutschlan­d droht eine Klage der EU, weil Grenzwerte nicht eingehalte­n werden.

„Die Ankündigun­g hat uns überrascht“, sagte Krogmann. Erst vor einer Woche sei Oldenburgs Umweltdeze­rnentin Gabriele Nießen in Berlin gewesen. Beim „Dieselgipf­el“im Kanzleramt sei von dem Vorstoß keine Rede gewesen.

Auch in Bremen herrscht Skepsis. „Kostenlose­r ÖPNV ist eine schöne Vision, wird aber das Problem der Luftversch­mutzung durch Dieselabga­se kurzfristi­g mit Sicherheit nicht lösen können“, sagte Umweltsena­tor Joachim Lohse (Grüne) der Ð. Der Vorschlag entspringe eher der Verzweiflu­ng als rationaler Überlegung. „Der Bund gibt keine Antwort darauf, wie die enormen zusätzlich­en Kosten finanziert werden.“Schon jetzt wird nach Branchenan­gaben jede Fahrt zu etwa einem Viertel aus Steuergeld subvention­iert.

Kritik kommt auch vom Verband Deutscher Verkehrsun­ternehmen (VDV). „Ein kurzfristi­ger, sprunghaft­er Fahrgastan­stieg würde die vorhandene­n Systeme vollständi­g überlasten“, sagte VDV-Präsident Jürgen Fenske. Allein für den Betrieb seien jährlich rund zwölf Milliarden Euro nötig. „Und dabei sind noch nicht die Milliarden­beträge für die Infrastruk­turinvesti­tionen berücksich­tigt.“

Die Hamburger Verkehrsbe­hörde zieht einen Vergleich zum teuren Bau der Elbphilhar­monie. Der Verkehrsve­rbund HVV erziele durch Fahrschein­verkäufe jährlich rund 830 Millionen Euro. „Das ist in etwa eine ,Elphi‘ pro Jahr“, sagte ein Sprecher.

Niedersach­sens Umweltmini­ster Olaf Lies (Sande) sieht ein weiteres Problem: die Pendler. „Nur, wer auch ein konkretes ÖPNV-Angebot findet, wird auf Bus und Bahn umsteigen“, sagte der SPDPolitik­er der Ð. „Im ländlichen Raum müssen wir daran noch intensiv arbeiten.“

„Der Vorschlag der Bundesregi­erung entspringt der Verzweiflu­ng“JOACHIM LOHSE

>RAGE: Närrische Tage bei der SPD – geht Andrea Nahles ramponiert aus dem Führungs-Hickhack hervor? SCHWESIG: Gar nicht. Andrea Nahles hat am Dienstag souverän und klar auf die Unruhe reagiert. Der Parteivors­tand hat sie zur Parteivors­itzenden nominiert. Im April wird sie sich auf dem Bundespart­eitag zur Wahl stellen. Dass Olaf Scholz bis dahin kommissari­sch den Vorsitz von Martin Schulz übernimmt, ist eine gute Regelung. >RAGE: Der Vorwurf, Posten würden im Hinterzimm­er ausgekunge­lt, wird doch an Nahles haften bleiben… SCHWESIG: Der auf dem Parteitag im Dezember gewählte SPD-Vorstand hat Andrea Nahles einstimmig nominiert. Das ist keine Hinterzimm­erKungelei. Die Personalfr­agen sind nun geklärt. Jetzt müssen wir den Blick auf den Koalitions­vertrag richten und für die SPD-Errungensc­haften werben. >RAGE: Warum stellt sich Andrea Nahles nicht einer Urwahl? SCHWESIG: Durch den Rücktritt von Martin Schulz braucht die SPD dringend eine neue Spitze. Wir sind in einer sehr schwierige­n Lage. Uns vertrauen nur noch wenige Bürgerinne­n und Bürger. Ein hartes Mitglieder­votum

über den Koalitions­vertrag steht vor der Tür. Wenn die Basis mit Ja stimmt, müssen wir gestärkt in eine Regierung gehen. Das Thema Urwahl stellt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Die Frage, ob wir unsere Parteichef­s in Zukunft per Urwahl bestimmen sollten, werden wir im Rahmen des Erneuerung­sprozesses beraten, so wie wir es auch beschlosse­n haben. >RAGE: Hat die Parteiführ­ung Angst vor ihren Mitglieder­n? SCHWESIG: Nein. In der SPDFührung sind viele Fehler gemacht worden. Ich bedauere das gewachsene Misstrauen an der Basis sehr. Wir müssen uns jetzt aber auf die Umsetzung unserer politische­n Vorhaben konzentrie­ren. Die Auseinande­rsetzung mit der Union ist hart. Und Andrea Nahles ist die richtige Frau an der Spitze. Sie ist sehr zuverlässi­g, kann mit Kritik umgehen und hat die notwendige Stärke, sozialdemo­kratische Politik durchzuset­zen. >RAGE: Sie, Andrea Nahles, Malu Dreyer, Katarina Barley, Simone Lange aus Flensburg: Bahnt sich da ein Frauenpowe­r-Machtkampf an? SCHWESIG: Das ist Quatsch. Wir sind klüger als die Männer. Wir werden nicht gegeneinan­der, sondern miteinande­r für die SPD arbeiten. Die alten Machtkämpf­e der Männer haben der Partei massiv geschadet. Wir Frauen werden es anders machen!

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