Gratis-Fahrten umstritten
Vorstoß der Bundesregierung sorgt im Nordwesten für Skepsis
Schon heute sind Busse und Bahnen voll. Der Ausbau des Systems würde Milliarden kosten.
IM NORDWESTEN – Die Bundesregierung denkt laut über einen kostenlosen Nahverkehr nach – und sorgt damit für Skepsis in den Städten. „Wir wären derzeit nicht in der Lage, das umzusetzen“, sagte Morell Predoehl, Prokurist des Oldenburger Busunternehmens VWG, am Mittwoch. Schon heute seien die Busse in den Spitzenzeiten proppevoll. Für mehr Fahrgäste bräuchte man auch mehr Fahrzeuge und Personal. Kurzfristig sei das aber nicht zu schaffen, sagte Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (SPD) der Ð.
Die Bundesregierung erwägt zur Verbesserung der Luftqualität, Länder und Kommunen bei einem möglichen kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) finanziell zu fördern. Damit soll die Zahl privater Fahrzeuge verringert werden. Deutschland droht eine Klage der EU, weil Grenzwerte nicht eingehalten werden.
„Die Ankündigung hat uns überrascht“, sagte Krogmann. Erst vor einer Woche sei Oldenburgs Umweltdezernentin Gabriele Nießen in Berlin gewesen. Beim „Dieselgipfel“im Kanzleramt sei von dem Vorstoß keine Rede gewesen.
Auch in Bremen herrscht Skepsis. „Kostenloser ÖPNV ist eine schöne Vision, wird aber das Problem der Luftverschmutzung durch Dieselabgase kurzfristig mit Sicherheit nicht lösen können“, sagte Umweltsenator Joachim Lohse (Grüne) der Ð. Der Vorschlag entspringe eher der Verzweiflung als rationaler Überlegung. „Der Bund gibt keine Antwort darauf, wie die enormen zusätzlichen Kosten finanziert werden.“Schon jetzt wird nach Branchenangaben jede Fahrt zu etwa einem Viertel aus Steuergeld subventioniert.
Kritik kommt auch vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). „Ein kurzfristiger, sprunghafter Fahrgastanstieg würde die vorhandenen Systeme vollständig überlasten“, sagte VDV-Präsident Jürgen Fenske. Allein für den Betrieb seien jährlich rund zwölf Milliarden Euro nötig. „Und dabei sind noch nicht die Milliardenbeträge für die Infrastrukturinvestitionen berücksichtigt.“
Die Hamburger Verkehrsbehörde zieht einen Vergleich zum teuren Bau der Elbphilharmonie. Der Verkehrsverbund HVV erziele durch Fahrscheinverkäufe jährlich rund 830 Millionen Euro. „Das ist in etwa eine ,Elphi‘ pro Jahr“, sagte ein Sprecher.
Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (Sande) sieht ein weiteres Problem: die Pendler. „Nur, wer auch ein konkretes ÖPNV-Angebot findet, wird auf Bus und Bahn umsteigen“, sagte der SPDPolitiker der Ð. „Im ländlichen Raum müssen wir daran noch intensiv arbeiten.“
„Der Vorschlag der Bundesregierung entspringt der Verzweiflung“JOACHIM LOHSE
>RAGE: Närrische Tage bei der SPD – geht Andrea Nahles ramponiert aus dem Führungs-Hickhack hervor? SCHWESIG: Gar nicht. Andrea Nahles hat am Dienstag souverän und klar auf die Unruhe reagiert. Der Parteivorstand hat sie zur Parteivorsitzenden nominiert. Im April wird sie sich auf dem Bundesparteitag zur Wahl stellen. Dass Olaf Scholz bis dahin kommissarisch den Vorsitz von Martin Schulz übernimmt, ist eine gute Regelung. >RAGE: Der Vorwurf, Posten würden im Hinterzimmer ausgekungelt, wird doch an Nahles haften bleiben… SCHWESIG: Der auf dem Parteitag im Dezember gewählte SPD-Vorstand hat Andrea Nahles einstimmig nominiert. Das ist keine HinterzimmerKungelei. Die Personalfragen sind nun geklärt. Jetzt müssen wir den Blick auf den Koalitionsvertrag richten und für die SPD-Errungenschaften werben. >RAGE: Warum stellt sich Andrea Nahles nicht einer Urwahl? SCHWESIG: Durch den Rücktritt von Martin Schulz braucht die SPD dringend eine neue Spitze. Wir sind in einer sehr schwierigen Lage. Uns vertrauen nur noch wenige Bürgerinnen und Bürger. Ein hartes Mitgliedervotum
über den Koalitionsvertrag steht vor der Tür. Wenn die Basis mit Ja stimmt, müssen wir gestärkt in eine Regierung gehen. Das Thema Urwahl stellt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Die Frage, ob wir unsere Parteichefs in Zukunft per Urwahl bestimmen sollten, werden wir im Rahmen des Erneuerungsprozesses beraten, so wie wir es auch beschlossen haben. >RAGE: Hat die Parteiführung Angst vor ihren Mitgliedern? SCHWESIG: Nein. In der SPDFührung sind viele Fehler gemacht worden. Ich bedauere das gewachsene Misstrauen an der Basis sehr. Wir müssen uns jetzt aber auf die Umsetzung unserer politischen Vorhaben konzentrieren. Die Auseinandersetzung mit der Union ist hart. Und Andrea Nahles ist die richtige Frau an der Spitze. Sie ist sehr zuverlässig, kann mit Kritik umgehen und hat die notwendige Stärke, sozialdemokratische Politik durchzusetzen. >RAGE: Sie, Andrea Nahles, Malu Dreyer, Katarina Barley, Simone Lange aus Flensburg: Bahnt sich da ein Frauenpower-Machtkampf an? SCHWESIG: Das ist Quatsch. Wir sind klüger als die Männer. Wir werden nicht gegeneinander, sondern miteinander für die SPD arbeiten. Die alten Machtkämpfe der Männer haben der Partei massiv geschadet. Wir Frauen werden es anders machen!