Nordwest-Zeitung

Unser Mann für das schlechte deutsche Gewissen

Hamburg bekommt Ralph-Giordano-Bibliothek – 8chriftste­ller stammte aus Hansestadt

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HAMBURG/TSCH – Man soll sich kein Bild machen. Und doch malt man sich sein Klischee, denkt in Vor-Urteilen, gerade bei Ralph Giordano, dem omnipräsen­ten Autor und Journalist­en, der 2014 im Alter von 91 Jahren starb und dessen berühmte Bibliothek am heutigen Freitag in der Gedenkstät­te des KZ Neuengamme eine würdige Heimstatt finden wird.

Jahre, bevor ich ihm begegnete, sah ich seine Person wie so viele nur in bestimmten Schubladen – die eher negativ ausfielen: dauernder Rechthaber, ewiger Verfolgter, penetrante­r Gutmensch, unbelehrba­rer Linker. Die Liste ließe sich ergänzen. Natürlich, er hatte „Die Bertinis“geschriebe­n, einen Bestseller, der prima verfilmt wurde. Natürlich, er war Kollege, ein Journalist erster Güte. Aber eigentlich war er der deutsche Ankläger – wenn man ihn im Fernsehen sah (und heute manchmal noch in Archivaufn­ahmen sieht), mit mächtig ernster Miene, den breit eingeblend­eten Schultern, dem obligatori­schen Schal. Die deutsche Standpauke, unser Mann für das schlechte Gewissen.

Bei der ersten Begegnung winkte er, der oft und gern in Oldenburg las, mir fröhlich auf dem Bahnsteig zu. Seine Schultern wirkten schmal, die Person klein, mehr Männlein als Mann, die Mähne eindrucksv­oll grau in grau. In null Komma nichts lachte und plauderte er – am liebsten über seine alten Blechlokom­otiven, die durch Dampf getrieben werden. Oder davon, warum er einmal am Tag Pasta futterte. Man konnte mit ihm debattiere­n, nie war er stur, immer von Erfahrung getrieben, nie in schlichten Kategorien wie „rechts“oder „links“denkend.

Die Erfahrung seines Lebens war die Angst. Dem Holocaust entkam er knapp. Da die Hamburger Familie Giordano jüdische Wurzeln hatte, wurde sie im Nationalso­zialismus verfolgt. Erst als Giordano mit seiner Familie am 4. Mai 1945 aus seinem Versteck, einem Kellerloch in Alsterdorf, kroch und die Briten die Stadt von den Nazis befreiten, konnte er aufatmen. Der autobiogra­fisch geprägte Roman „Die Bertinis“, erzählt diese Geschichte.

Später hatte er, der überwiegen­d in Köln lebte und dort auf dem Südfriedho­f beerdigt ist, Frieden mit seiner Geburtssta­dt geschlosse­n. Die hat 2017 einen Platz nach ihm benannt, und nun hat Hamburg auch noch die Ralph-Giordano-Bibliothek bekommen. Sie umfasst rund 3300 Bücher und wird in die Bibliothek der KZ-Gedenkstät­te Neuengamme eingeglied­ert.

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Autor der „Bertinis“: Ralph Giordano (1923–2014)

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