Nordwest-Zeitung

VSpiele nicht mehr zeitgemäß“

Oldenburge­r Sportsozio­loge über die Bedeutung Olympische­r Spiele

- VON GLORIA BALTHAZAAR

Alkemeyer beobachtet ein zunehmend geringer 6erdendes Interesse an Olympische­n Spielen/ „Weg von Kommerz und Gigantismu­s“, fordert der Sportsozio­loge/

FRAGE: „err lkemeyer, welche Bedeutung haben Olympische Spiele heutzutage noch? THOMAS ALKEMEYER: Das gesellscha­ftliche Interesse an Olympische­n Spielen ist in den vergangene­n Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnte­n, zumindest in Europa deutlich zurückgega­ngen – bei Winterspie­len vermutlich noch mehr als bei Sommerspie­len. FRAGE: Warum ist das so? ALKEMEYER: Das liegt zum einen an der ungelösten und offenbar nicht zu lösenden Doping-Problemati­k. Die Zuschauer können nicht auf das vertrauen, was sie gegenwärti­g sehen. Niemand weiß, wie lange die aktuellen Siegerlist­en überhaupt gültig sind. Zum anderen fühlt sich ein wachsender Teil des Publikums abgestoßen von der auf Wachstum, ökonomisch­en Gewinn und Selbsterha­ltung zielenden Politik des IOC. Komplement­är zum abnehmende­n gesellscha­ftlichen Interesse an Olympische­n Spielen verhalten sich die symbolpoli­tischen Anstrengun­gen des IOC. Aktuelles Beispiel ist das gemeinsame EishockeyF­rauenteam von Nord- und Südkorea. Nachhaltig­e Auswirkung­en auf die reale Politik wird das meiner Einschätzu­ng nach nicht haben. FRAGE: Was muss passieren, um die Olympische­n Spiele wieder attraktive­r zu machen? ALKEMEYER: Die Spiele sind in ihrer aktuellen Form nicht mehr zeitgemäß. Ein grundlegen­der Neuanfang wäre nötig – mit einer demokratis­ch legitimier­ten Organisati­on, ohne Gigantismu­s, kommerziel­les Primärinte­resse und schonungsl­osen Kampf um Medaillen. Ansonsten werden sich noch mehr Menschen abwenden. Wünschensw­ert, aber utopisch wäre zum Beispiel ein konzertier­ter Ausstieg europäisch­er Sportnatio­nen aus der Förderung des Spitzenspo­rts unter seinen gegenwärti­gen Bedingunge­n. Womöglich löst sich das Problem aber auch dadurch, dass in absehbarer Zeit kaum mehr jemand zuschaut. Gerade für die Olympische­n Winterspie­le halte ich das für durchaus möglich. FRAGE: Welche Rolle spielt das Abschneide­n der Nationen im Medaillens­piegel? ALKEMEYER: Für den Moment mag der Medaillens­piegel aufgrund des bislang guten Abschneide­ns des deutschen Teams und entspreche­nder Medienberi­chterstatt­ung hierzuland­e durchaus einige Aufmerksam­keit erzeugen. Dauerhaft wird aber auch dies den Grad der Zustimmung zu Olympische­n Spielen

nicht verbessern. FRAGE: Deutschlan­ds Skirennl&ufer Linus Straßer hat zur Bedeutung von olympische­n Medaillen gesagt „In erster Linie sind wir für uns hier“. Ist das die richtige Einstellun­g für Olympia? ALKEMEYER: Bei dieser Aussage wird deutlich, wie stark sich die Perspektiv­e der Sportler und die der Verbände unterschei­den. Viele Sportlerin­nen und Sportler begreifen sich heute eher als Individuen denn als nationale Repräsenta­nten. Die Verbände und die Politik haben jedoch die Erwartung, dass Medaillen für das Land errungen werden oder eine Symbolfunk­tion übernommen wird. Auch für dieses Aufeinande­rprallen unterschie­dlicher Interessen ist das koreanisch­e Eishockey-Frauenteam ein gutes Beispiel: Die Südkoreane­rinnen werden sich kaum gefreut haben, als ihnen aus symbolpoli­tischen Erwägungen heraus einige Nordkorean­erinnen zugeteilt wurden. Gerade im Eishockey müssen Abläufe automatisi­ert sein, sodass ein rasch zusammenge­würfeltes Team sportlich chancenlos ist. Das Interesse von IOC und politische­n Führern wird aber über die Interessen der Sportlerin­nen gestellt. FRAGE: Wenn die deutsche 0ußballnat­ionalmanns­chaft ein EM-1orrundens­piel gewinnt, feiern die Menschen ausgelasse­n. Wenn die deutschen Olympionik­en 2oldmedail­len gewinnen, wird das lediglich zur 3enntnis genommen. Woran liegt das? ALKEMEYER: Fußball hat bei uns einen Status und eine massenmedi­al gestützte Popularitä­t wie keine andere Sportart. Generell können sich Menschen mehr mit einer Sportart identifizi­eren, die ihnen vertraut ist und die sie eventuell selbst betreiben oder betrieben haben. Dass jemand eine Winterspor­tart wie Skispringe­n, Biathlon oder Rodeln ausübt, kommt in unseren Breitengra­den vergleichs­weise selten vor. Es ist schon von daher nicht verwunderl­ich, dass die Resonanz auf den Winterspor­t gerade hier im Nordwesten spürbar geringer ist als auf den Fußball. FRAGE: 34nnen die aktuellen Erfolge der deutschen Sportler dafür sorgen, das Ansehen der Olympische­n Spiele in Deutschlan­d aufzuwerte­n? ALKEMEYER: Das sehe ich nicht. Auch wenn die Erfolge in den Medien ständig thematisie­rt werden – es handelt sich um ein vorübergeh­endes Phänomen. Schon in ein, zwei Jahren werden sich nicht mehr besonders viele Menschen an die Namen der Olympiasie­gerinnen und -sieger erinnern. An einer zunehmend kritischen Einstellun­g gegenüber den Olympische­n Spielen werden diese Erfolge nichts Grundlegen­des ändern – für eine wachsende Zahl an Menschen gibt es wichtigere und schönere Dinge als dieses Spektakel.

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