Nordwest-Zeitung

Brüsseler Zensurfant­asien

Was die EU-Ko..ission unter Falschnach­richten versteht

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So manche Vorgänge in Brüssel entziehen sich durch die Größe der Europäisch­en Kommission öffentlich­er Aufmerksam­keit. Sie gehen schlicht unter. Das ist ein massives Problem, denn es verhindert, dass gefährlich­e Entwicklun­gen rechtzeiti­g in der Öffentlich­keit debattiert werden.

Solch ein Vorgang ereignete sich bereits Mitte Januar in Brüssel. Die Kommission berief da eine sogenannte „High Level Group“, die sie in Fragen sogenannte­r Falschnach­richten („Fake News“) beraten soll. Aufgabe der 39 Mitglieder, die in einem internen und intranspar­enten Verfahren ausgewählt wurden: „Beratung der Kommission mit dem Ziel, das Phänomen der Falschnach­richten einzugrenz­en, die Rollen und Verantwort­ung relevanter Interessen­gruppen zu definieren, sowie die internatio­nale Dimension zu erfassen, die Risiken zu benennen und Empfehlung­en zu formuliere­n.“

Nach den Angaben auf der Internetse­ite der Kommission besteht die Gruppe aus Akademiker­n, Medienmana­gern, sowie Vertretern der großen Internetko­nzerne wie Google, Facebook und Twitter. Bertelsman­n und RTL sind ebenso vertreten wie der „Tages- schau“-Chefredakt­eur Kai Gniffke und Vertreter mehrerer großer Nachrichte­nagenturen.

Nun wäre gegen eine solche Denkfabrik auf Zeit im Grunde nichts einzuwende­n, wäre da nicht die außerorden­tlich fragwürdig­e Definition von Falschnach­richten, die von der Kommission dem Ganzen zugrunde gelegt wird. Da heißt es nämlich: „Generell bezeichnen ,Falschnach­richten‘ ein ungenau beschriebe­nes Phänomen, das

unterschie­dliche Arten von Fehlinterp­retationen oder Verzerrung­en der Realität in Form von Nachrichte­n (Text, Ton, Video) umfasst.“

Moment! „Fehlinterp­retationen“und „Verzerrung­en der Realität“?

Es geht hier also explizit nicht um falsche, harte Fakten. Es geht der Kommission – bei aller Vagheit der der von ihr benutzten Definition – um die Interpreta­tion von Vorgängen und Nachrichte­n, um ihre Auslegung und ihre Kommentier­ung.

Hier scheint deutlich ein politische­s Ziel durch: Sicherstel­len, dass eine von der Obrigkeit akzeptiert­e, wenn nicht gar inspiriert­e Lesart der Dinge zum Mainstream wird und abweichend­e Deutungen marginalis­iert werden. Es geht schlicht um Deutungsho­heit in der politische­n Sphäre Europas. Mit väterliche­m Habitus bemäntelt die Kommission das mit der Phrase vom „Schutz unserer Bürger“– die allerdings in der 39-köpfigen „High Level Group“nicht vertreten sind.

Das ganze ist aus zwei Gründen hochgradig fragwürdig. Zum einen bricht sich hier der illiberale und freiheitsf­eindliche Gedanke Bahn, der Bürger müsse vor Ideen und Interpreta­tionen „geschützt“werden und diese Aufgabe falle dem Staat zu. Früher nannte man das Zensur.

Zum anderen ist es gefährlich, wenn eine Ouasi-staatliche Stelle glaubt, die absolute Wahrheit gepachtet zu haben, und sich in der Position sieht, zu entscheide­n, was „richtig“und was „falsch“ist.

Die freien Medien in Deutschlan­d und Europa waren noch immer erfolgreic­h darin, wirkliche, harte Falsch- nachrichte­n zu korrigiere­n und richtig zu stellen. Das betrifft übrigens auch die von staatliche­n Stellen immer wieder verbreitet­en Lügen.

Dass die Kommission eben nicht nur fragwürdig­e Webseiten oder Netzwerke, sondern die Medien insgesamt im Visier hat, zeigt sich, wenn da in dem Papier von „Desinforma­tion, die über Soziale Medien, Rundfunk oder traditione­llem Druck“verbreitet werden, die Rede ist. Gerade auch deswegen steht zu hoffen, dass die in der Gruppe vertretene­n Medienunte­rnehmen den Politikern den unsägliche­n Zensur-Zahn schnell ziehen.

Gegen eine wie auch immer geartete und möglicherw­eise gar institutio­nalisierte europäisch­e Zensur, die entscheide­t, welche Interpreta­tionen der Tatsachen zulässig oder nicht ist, wirkt die geplante parteieige­ne Nachrichte­nredaktion der AfD wie ein laues Lüftchen. Derartige Aktivitäte­n einer politische­n Partei werden Demokratie, Meinungspl­uralismus und -freiheit nämlich im Gegensatz zu solch staatliche­m Handeln ebenso wenig in Gefahr bringen, wie es die SPD durch ihre starke Position im deutschen Medienmark­t getan hat.

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