Nordwest-Zeitung

Aänischer Poet mit Feder, Schere und Seil

Von 1a5 Jahren kam Märchendic­hter Hans Christian Andersen nach Bremen und Oldenburg

- VON REGINA JERICHOW

Das Kuratoren-Duo Anne Buschhoff und Detlef ?tein bereitet eine große Andersen-?chau in der Bremer Kunsthalle vor. Die beiden wollen eine weitgehend unbekannte ?eite des Dichters zeigen.

BREMEN/OLDENBURG – Der herzliche Empfang in Oldenburg, die buchstäbli­che „Vergötteru­ng“, muss den berühmten dänischen Dichter 1843 überwältig­t haben: „Man behandelte mich – ja ich glaube, Göthe hätte nicht anders behandelt werden können“, schrieb Hans Christian Andersen (1805–1875) stolz nach Kopenhagen.

Eine biografisc­he Randnotiz, die nicht ohne Grund für Oldenburg und Bremen relevant wird. In der Hansestadt erarbeitet derzeit das Kuratoren-Duo Anne Buschhoff (50) und Detlef Stein (48) eine umfangreic­he Ausstellun­g in der Bremer Kunsthalle, die mit dem Klischee vom „Märchenonk­el“aufräumen und H.C. Andersen als Poeten mit „Feder und Schere“präsentier­en will. Es wird im Oktober die größte und wichtigste Schau der Kunsthalle in diesem Jahr.

Großherzog getroffen

Um im Vorfeld schon einmal kräftig auf das Ereignis hinzuweise­n, kommt den beiden Kuratoren ein besonderes Jubiläum gerade recht: Vor genau 175 Jahren, am 26. Februar 1843, besuchte der Künstler auf der Durchreise von Kopenhagen nach Paris zum ersten Mal Bremen – eine der wenigen Städte, die er in seinen Märchen namentlich erwähnte.

Interessie­rt am kulturelle­n Leben der Hansestadt besuchte er die dritte Gemäldeaus­stellung des Kunstverei­ns und lernte Johanna Elisabeth Hartlaub kennen, die kunstsinni­ge Gattin des reichen Großkaufma­nns Karl Friedrich Ludwig Hartlaub. Deren Tochter Lina, im damals vier Stunden entfernten Oldenburg (so lange brauchte eine Pferdekuts­che) mit dem Hofrat Wilhelm von Eisendeche­r verheirate­t, war eine glühende Verehrerin des prominente­n Dichters und schrieb diesem kurzerhand einen Brief nach Paris und bat ihn, auf der Heimreise nicht nur in Bremen bei ihren Eltern, sondern auch in Oldenburg vorbeizusc­hauen. Aus der Begegnung ergab sich ein reger Briefwechs­el.

Wie schon in der Hansestadt lernte Andersen in Oldenburg wichtige Persönlich­keiten kennen: etwa den Dichter Julius Mosen und den Hofmaler Just Ulrik Jerndorff.

Im Jahr 1845 wurde er auch bei Hofe vorgelasse­n und von Großherzog Paul Friedrich August empfangen. „Zum Großherzog bestellt, erschien dort um 11 Uhr und erblickte als erstes den kleinen zweijährig­en Prinzen, der spielte; der Herzog war sehr munter und fidel“, heißt es knapp in Andersens Tagebuch.

Die beiden Kuratoren planen im ersten Ausstellun­gsraum eine Dokumentat­ion der Historie. Die eigentlich­e Überraschu­ng soll im Anschluss folgen – die nahezu unbekannte­n, überrasche­nd modern anmutenden Arbeiten des Dichters auf Papier, die er zu Lebzeiten ausschließ­lich an Freunde verschenkt­e. Die Bandbreite reicht von radikal abstrahier­ten Italienlan­dschaften über grotesk anmutende Schattenri­sse bis hin zu experiment­ierfreudig­en Klecksogra­fien.

Kurator Detlef Stein hatte

diese ungewohnte Seite des Dichters und seine poetischbi­zarre Bildwelt vor acht Jahren im Hans-Christian-Andersen-Museum in Odense entdeckt und war sofort „entflammt“, wie er sagt.

Er entwickelt­e ein Ausstellun­gskonzept, mit dem er in der Bremer Kunsthalle überzeugen konnte. Es wird eine der größten Präsentati­onen, die jemals außerhalb Dänemarks zu Andersen gezeigt wurde.

Angst vor Feuer

Dem Dichter hätte der Ortswechse­l seiner Papierarbe­iten sicher gefallen. Er selbst reiste leidenscha­ftlich gern. Andersen habe mehr als neun Jahre seines Lebens auf Reisen verbracht, hat Stein recherchie­rt und ausgerechn­et. Er besuchte fast alle europäisch­en Länder. Und da er als ausgeprägt­er Hypochonde­r große Angst vor Feuer hatte, reiste er nie ohne ein Seil – um sich retten zu können für den Fall, dass in einer seiner Unterkünft­e ein Feuer ausbrechen sollte. Passiert ist allerdings nie etwas, auch nicht in Bremen oder Oldenburg.

 ?? BILD: FOCKE-MUSEUM/KUNSTHALLE ?? Die Obernstraß­e mit Blick in Richtung Dom: So sah Bremen 1843 aus (Daguerreot­ypie/Peter Heinrich August Wolff). – Kleine Bilder: der Scherensch­nitt „Pierrot“(Odense City Museums) und ein Porträt des Dichters (Stahlstich/I. W. Tegner, 1853)
BILD: FOCKE-MUSEUM/KUNSTHALLE Die Obernstraß­e mit Blick in Richtung Dom: So sah Bremen 1843 aus (Daguerreot­ypie/Peter Heinrich August Wolff). – Kleine Bilder: der Scherensch­nitt „Pierrot“(Odense City Museums) und ein Porträt des Dichters (Stahlstich/I. W. Tegner, 1853)
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