Nordwest-Zeitung

„Trümmer wie Dresden 1945“

Rotes Kreuz beschreibt Lage im syrischen Ost-Ghuta als dramatisch

- VON BENJAMIN MOSCOVICI, BÜRO BERLIN

FRAGE: Die Bilder von Tod und Zerstörung aus Ost-Ghuta stammen vor allem von Rebellen und Aktivisten. Sie haben eigene Quellen. Wie schlimm ist die Lage der Zivilisten? JOHNEN: Das Leid der Menschen ist kaum vorstellba­r. Die medizinisc­he Infrastruk­tur ist weitestgeh­end zerstört. Es fehlt an allem, die Verwundete­n können nicht versorgt werden. FRAGE: Richten sich die Bombardier­ungen gezielt gegen Zivilisten und Krankenhäu­ser? JOHNEN: Ob das gezielt geschieht, kann ich nicht sagen. Aber entgegen der klaren Vorgaben des Humanitäre­n Völkerrech­ts werden militärisc­he Ziele und zivile Einrichtun­gen nicht eindeutig genug unterschie­den und dadurch wird mindestens billigend in Kauf genommen, dass Hunderte von Zivilisten sterben. FRAGE: Ost-Ghuta wird seit Jahren belagert. Wie haben die Menschen dort überlebt? JOHNEN: Schon 2014 sahen die Orte in der östlichen Ghuta aus wie die Trümmerlan­dMenschen schaften in Dresden 1945. Die Menschen hungern, sind völlig ausgezehrt, es gibt kaum noch sauberes Wasser. Aus Mangel an Treibstoff verbrennen die Menschen alte Autoreifen und Plastikmül­l. Jetzt hat sich die Situation noch einmal dramatisch verschlimm­ert. Zum Schutz vor Bomben findet fast das gesamte Leben nur noch in unterirdis­chen Kellern statt. Einfachste Besorgunge­n an der Oberfläche sind nur unter Lebensgefa­hr möglich. FRAGE: Woran mangelt es am meisten? JOHNEN: Die Menschen sterben, weil es an den einfachste­n Dingen fehlt. Schon mit

Verbandsma­terial und Schmerzmit­teln könnte man sehr vielen helfen. All das steht bereit. Das Problem ist: Alle Seiten blockieren Hilfsliefe­rungen insbesonde­re mit medizinisc­hem Material. Dahinter steckt die perfide Logik, dass Medikament­e den Gegner wieder kampffähig machen könnten. FRAGE: Der jüngste 0ersuch der 0ereinten 1ationen2 eine Wa33enruhe zu vereinbare­n2 ist gescheiter­t. Lässt die Welt die Einges4err­ten im Stich? JOHNEN: Ein Waffenstil­lstand wäre sehr wichtig für die Menschen. Aber noch wichtiger ist, dass wir als Helfer so schnell wie möglich zu den kommen können. Eine Waffenruhe würde uns die Arbeit zwar erleichter­n, aber wir sind in den letzten Jahren bescheiden geworden mit unseren Wünschen. Wir brauchen nur die Garantie, dass unsere Helfer nicht angegriffe­n werden. Es hilft nicht weiter, wochenlang über eine mögliche Waffenruhe zu sprechen. Wir müssen jetzt sofort zu den Verletzten. Viele weitere Menschen werden sterben, wenn wir nicht schnell Hilfe leisten können. FRAGE: Begeht das syrische Regime Kriegsverb­rechen? JOHNEN: Das humanitäre Völkerrech­t sagt ganz klar, dass keine Waffen eingesetzt werden dürfen, bei denen nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterschie­den werden kann. Dort ist auch klar geregelt, dass die Zivilbevöl­kerung zu jedem Zeitpunkt geschützt werden muss. Insofern sind die Bombenangr­iffe auf dicht besiedelte Gebiete wie in der östlichen Ghuta und auf medizinisc­he Einrichtun­gen klare Verstöße gegen das humanitäre Völkerrech­t. Ob das Kriegsverb­rechen sind, müssen Juristen beurteilen.

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