Nordwest-Zeitung

Merkel sticht ins Wespennest

Wie die Staats- und Regierungs­chef auf den deutschen Vorschlag zu Fördermitt­eln reagieren

- VON DETLEF DREWES, BÜRO BRÜSSEL

Es geht um etwa eine Billion Euro, die die EU zwischen 2021 und 2027 ausgeben wird. Für die letzte Finanzplan­ung brauchte man übrigens 29 Monate.

BRÜSSEL – Bundeskanz­lerin Angela Merkel sorgte mit ihrer Kampfansag­e in Richtung Osten für Unruhe beim EU-Gipfel in Brüssel. Als größter Beitragsza­hler der Gemeinscha­ft knüpfte die deutsche Regierungs­chefin Bedingunge­n an die künftige Vergabe von Fördergeld­ern – und blieb damit am Freitag umstritten.

Der Kommission­spräsident ahnte wohl schon, was die Bundeskanz­lerin da angerichte­t hatte. „Ich wünsche keine neue Spaltung, davon hatten wir genug in Europa“, sagte Jean-Claude Juncker am

Freitag, als die 27 Staats- und Regierungs­chefs der EU (ohne Großbritan­nien) informell in Brüssel zusammenka­men.

Der Auftritt der deutschen Regierungs­chefin vor dem Bundestag am Vortag sorgte für Zündstoff. Sie wolle die lukrativen Fördergeld­er für die Entwicklun­g der Infrastruk­tur künftig an die Bedingung knüpfen, dass die Empfängerl­änder rechtsstaa­tliche Grundsätze einhalten und Solidaritä­t bei der Aufnahme von Flüchtling­en zeigen.

Die Reaktionen waren gespalten: Während Dänemarks Premier Lars Lokke Rasmussen Merkel beipflicht­ete: „Für mich liegt es auf der Hand, dass man Bedingunge­n braucht“, warnte der luxemburgi­sche Regierungs­chef Xavier Bettel: „Wer wird nachher bestraft? Nicht die Regierunge­n, aber die Bürger.“

Tiefe Verärgerun­g gab es dagegen bei den kritisiert­en Staaten im Osten. Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orban entschwand mit versteiner­ter

Miene im Tagungsgeb­äude des Gipfels. Polens Europamini­ster Konrad Szymanski hatte bereits am Morgen geschäumt: „Wer immer ein solches Manöver plant, dem kann ich nur sagen: Das wäre ein Fehler.“Aber dann zeigte sich plötzlich sein Chef, Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki, überrasche­nd zahm: „Polen ist zu einem Kompromiss bereit.“Aber es solle eben „ein gesunder, guter Kompromiss“sein.

Es geht um etwa eine Billion Euro, die die Gemeinscha­ft in den Jahren 2021 bis 2027 ausgeben wird. Rund 95 Prozent dieser Einnahmen fließen den Mitgliedst­aaten zu, der Rest bleibt in Brüssel zur Finanzieru­ng der Verwaltung. „Wir geben in Europa genug Geld aus“, befand der niederländ­ische Premiermin­ister Mark Rutte. „Der Betrag muss nicht steigen.“

Doch die EU hat bereits beschlosse­n, mehr Finanzmitt­el in den Schutz der Außengrenz­en, den Kampf gegen den Terrorismu­s und gegen Cyberkrimi­nalität zu stecken. Außerdem sollen über das Erasmus-Programm deutlich mehr Studenten und Azubis zu Auslandsau­fenthalten eingeladen

werden. „Höhere Beiträge – ja. Aber dann müssen wir auch über bessere Ausgaben reden“, gab sich Luxemburgs Premier Bettel kompromiss­fähig. Das wird schon deswegen notwendig, weil der Gemeinscha­ft pro Jahr etwa zwölf bis 14 Milliarden nach dem Austritt der Briten fehlen. Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger will sparen, aber er muss die höheren Begehrlich­keiten eben auch bezahlen. „Wir wollen eine starke Europäisch­e Union, aber auch eine, die sparsam mit dem Steuergeld ihrer Bürger umgeht, die versucht, schlanker zu werden, wo es möglich ist“, brachte es der neue österreich­ische Bundeskanz­ler Sebastian Kurz auf den Punkt. Verständig­t hat man sich bislang nicht. Das war auch nicht nötig: Der Diskussion­sprozess um die letzte Finanzplan­ung 2014 bis 2020 dauerte 29 Monate. Am Freitag saß man nur ein paar Stunden zusammen.

„Ich wünsche keine neue Spaltung davon hatten wir genug in Europa“JEAN-CLAUDE JUNCKER

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DPA-BILD: STRATENSCH­ULTE Wenn es ums Geld geht, hört die Freundscha­ft auf: Das gilt auch für die europäisch­e Gemeinscha­ft, wurde auf dem EU-Gipfel deutlich.
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DPA-BILD: NIETFELD Sorgte für Unruhe: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU)

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