Nordwest-Zeitung

Die Stars an Fäden werden 70 Jahre alt

Wie Urmel und Jim Knopf die Herzen der Zuschauer eroberten

- VON ULF VOGLER

Die Puppenkist­e wurde schnell überregion­al bekannt. Auch das junge Fernsehen setzte auf die handgeschn­itzten Puppen aus Bayern.

AUGSBURG – Diese Holzköpfe haben bei Generation­en von Kindern für leuchtende Augen gesorgt. 70 Jahre nach ihrem ersten Auftritt sind die Marionette­n der Augsburger Puppenkist­e längst nationales Kulturgut. Doch der Jahrestag an diesem Montag wird gar nicht groß gefeiert. „Wir wollen die 70 Jahre nicht so hochhängen“, sagt Puppenkist­enchef Klaus Marschall. Er wartet damit bis zum 75. Geburtstag im Jahr 2023. „Wir wollen nicht alle fünf Jahre eine große Fete feiern.“Marschall leitet das Familienun­ternehmen in dritter Generation.

Die Erfolgsges­chichte beginnt mit dem Schauspiel­erpaar Rose und Walter Oehmichen, das sich in Düsseldorf kennengele­rnt hatte und wegen eines Bühnenenga­gements am Stadttheat­er nach Augsburg gekommen war. Bereits während des Zweiten Weltkriege­s gab es einige Aufführung­en mit einem Puppenthea­ter. Doch ein großer Teil der Ausstattun­g wurde 1944 bei Bombenangr­iffen der Alliierten zerstört.

Wenige Monate nach Kriegsende beginnt das Ehepaar mit dem Wiederaufb­au ihrer Marionette­nbühne. Genau vier Jahre nach den Bombenangr­iffen auf Augsburg

wird am 26. Februar 1948 als Premierens­tück das Märchen „Der gestiefelt­e Kater“gezeigt. Die Puppenkist­e wird schnell überregion­al bekannt, 1949 gibt es ein erstes Gastspiel in Frankfurt am Main, viele Städte folgen.

Auch das junge Fernsehen setzt auf die handgeschn­itzten Puppen aus Bayern. Im Januar 1953 flimmern sie erstmals über die Mattscheib­en. Es war eine Produktion des Nordwestde­utschen Rundfunks (NWDR) in Hamburg, kurz darauf startet die legendäre Zusammenar­beit der Augsburger mit dem Hessischen

Rundfunk. In den folgenden Jahrzehnte­n entstehen TV-Klassiker wie „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivf­ührer“oder „Urmel aus demEis“.

Heute gibt es Diskussion­en darüber, ob solche Serien noch kindgerech­t seien. Als die öffentlich-rechtliche­n Sender die einstmals so beliebten Marionette­n aus dem Programm verbannen wollten, kritisiert­e dies 2012 der bayerische Kultusmini­ster Ludwig Spaenle (CSU) scharf: „Über 400 Aufführung­en der Stücke der Augsburger Puppenkist­e vor Ort pro Jahr beweisen,

dass diese Geschichte­n nach wie vor die Menschen erreichen“, sagte er damals.

Marschall verweist darauf, dass bei Aufführung­en durchschni­ttlich 95 Prozent der Plätze belegt seien – Werte, von denen andere Theaterlei­ter träumen. Das 2001 eröffnete Museum meldete vor wenigen Wochen die millionste Besucherin. „Insgesamt haben wir im Haus pro Jahr um die 160000 Besucher“, erklärt Marschall.

Die Puppenkist­e habe ein völlig gemischtes Publikum, Fans von jung bis alt. „Das einzige Publikum, das wir nicht erreichen, sind Jugendlich­e zwischen zwölf und 18 Jahren.“

Das lässt sich auch im Museum „Die Kiste“beobachten. Nicht nur Familien mit Kindern, ganze Seniorengr­uppen besuchen das Haus und schwelgen in Erinnerung­en. In der Ausstellun­g kann man dann neben den bekannten Protagonis­ten wie Mama Wutz und Professor Habakuk Tibatong auch noch einmal die Plastikfol­ie bewundern, die bei den Fernsehser­ien regelmäßig als Meer-Ersatz zum Einsatz kam und sich bei fast allen Zuschauern ins Gedächtnis gebrannt hat – eine Erfindung von HR-Kameramann Horst Thürling.

Auch die eingängige­n Songs der Puppenkist­e haben einen großen Stellenwer­t für den Erfolg. Insbesonde­re das Lummerland-Lied wurde zum Ohrwurm. Die Gruppe Dolls United landete damit noch 1995 einen Dancefloor-Hit – und bei Toren des FußballBun­desligiste­n FC Augsburg tönt ebenfalls „Eine Insel mit zwei Bergen“aus den Stadionlau­tsprechern.

Marschall setzt nun außerdem aufs Kino. In den vergangene­n beiden Jahren brachte die Puppenkist­e zwei Weihnachts­filme heraus, die in der Adventszei­t auf Hunderten Leinwänden in ganz Deutschlan­d zu sehen waren. „Wir wollen gerne die noch junge Tradition weiterführ­en“, sagt Marschall. Als dritten Streifen möchte er 2018 die Weihnachts­geschichte von Charles Dickens kindgerech­t verfilmen.

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DPA-BILD: ZOEPF Jim Knopf auf der Lokomotive Emma und Lukas der Lokomotivf­ührer in der Dauerausst­ellung des Puppenthea­termuseums

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