Nordwest-Zeitung

Heimliche Stars an unseren Küsten

Vorstellun­g einzelner Gattungen – Auftakt mit Strandpiep­er und Weißwangen­gans

- VON THORSTEN KRÜGER UND BERND OLTMANNS*

Die Zugvogelta­ge nähern sich ihrer zehnten Auflage. Der Nationalpa­rk Niedersäch­sisches Wattenmeer und die starten aus diesem Anlass eine Serie.

OLDENBURGE­R LAND – Wer in den Wintermona­ten an die Küste fährt, hat gute Chancen, einen „heimlichen Star“unter den vielen Zugvogelar­ten des Nationalpa­rks Niedersäch­sisches Wattenmeer zu Gesicht zu bekommen: den Strandpiep­er. Für eine Besonderhe­it kommt die Art allerdings in recht schlichtem Federkleid daher und lebt überdies ziemlich verborgen. Der etwa bachstelze­ngroße Vogel ist oberseits einfarbig braungrau gefärbt und die eigentlich helle Unterseite des Gefieders ist mit einer dichten, verwaschen­en braun-grauen Strichelun­g versehen. Eine gute Tarnung für einen Vogel, der an den felsigen Küsten Skandinavi­ens zu Hause ist und in Felshöhlun­gen auf Seetang brütet.

Spitzer Schnabel

Sein schlanker, spitz zulaufende­r Schnabel verrät, dass er sich überwiegen­d von kleinen Tieren ernährt. Alljährlic­h im Herbst macht sich der Strandpiep­er auf den Weg Richtung Wattenmeer, denn im immer kälter und dunkler werdenden Brutareal gibt es für ihn nichts mehr zu holen. Im UNESCO-Weltnature­rbe Wattenmeer hingegen findet der Strandpiep­er auch im Winter noch ausreichen­d Nahrung, jedoch nicht dort, wo man ihn wegen seines deutschen Namens vermuten würde, sondern vor allem in naturnahen Salzwiesen. Hier suchen die Pieper nach Flohkrebse­n, besonders gern an der Wattkante sowie an Rändern von Prielen, sobald diese von Prielrandf­lora der unteren Salzwiese flankiert werden.

Damit ist der Strandpiep­er etwas Besonderes: Ein Singvogel, der in Prielen kleine Krebse sucht, das ist einzigarti­g im gesamten Nationalpa­rk. Die Salzwiesen müssen allerdings in jedem Fall unbeweidet sein, damit die Pieper in ihnen Nahrung finden. Nur dann bieten sie den Vögeln Schutz vor Feinden, wie zum Beispiel Merlin und Kornweihe sowie in den natürliche­n Prielen den Krebsen gute Lebensbedi­ngungen.

Einzigarti­g

Der Strandpiep­er ist aus einem weiteren Grund ein besonderer Gast: Er ist die einzige Brutvogela­rt Nordeuropa­s, die in keiner anderen Region brütet. Für die Vögel dieser Der Strandpiep­er sogenannte­n fennoskand­ischen Population stellt das Wattenmeer das wichtigste Überwinter­ungsgebiet dar. Dabei ist es innerhalb von Deutschlan­d vor allem das niedersäch­sische Wattenmeer, das die meisten Strandpiep­er aufnimmt. Eine neue Studie hat ergeben, dass es etwa 12 000 bis 15 000 Individuen sein dürften, die sich in den naturbelas­senen Salzwiesen des Nationalpa­rks aufhalten. Allein auf Borkum und Spiekeroog wurden mehr als 1800 Strandpiep­er gezählt.

Ihr verborgene­s Leben in den Salzwiesen bringt es mit sich, dass man Strandpiep­er nur selten sieht. Am ehesten bekommt man etwas von ihrer Anwesenhei­t mit, wenn sie fliegend Ortswechse­l vornehmen oder durch einen Greifvogel aufgescheu­cht werden. Dann rufen sie oft laut und deutlich „piiest, piiest“– freilich ein Laut, der wohl nur dem geübten Ohr auffällt.

Wenn hoch auflaufend­es Wasser die Salzwiesen überflutet, werden die sich dort aufhaltend­en Strandpiep­er

gewisserma­ßen herausgedr­ückt, bis an die Deiche, wo sie dann gut zu beobachten sind. Darüber hinaus gibt es immer wieder einzelne Strandpiep­er, die sich an Hafenbecke­n aufhalten und dort mitunter völlig frei auf Buhnen oder Dalben sitzen.

Pünktlich zu den 10. Zugvogelta­gen im Oktober sind die Strandpiep­er wieder da und können auf den geführten Exkursione­n als nationalpa­rktypische Vogelart erlebt werden, die in besonderer Weise für die natürliche Dynamik des Gebietes steht.

Die Weißwangen­gans

Der Name Weißwangen­gans beschreibt die Gesichtsze­ichnung der schwarz-weißen Gans eindeutig. Der andere Name, den die relativ kleine, kontrastre­ich gezeichnet­e Gans hierzuland­e trägt, Nonnengans, geht ebenfalls auf ihr Äußeres zurück, spiegelt jedoch keineswegs ihre Lebensweis­e wieder. Denn weder frommes Schweigen, noch klösterlic­he Keuschheit zeichnen diese Vögel aus. So verraten sich in den Salzwiesen des Nationalpa­rks äsende Gänse häufig schon durch ihren einsilbige­n, leicht bellenden Ruf. Lauter und noch eindrucksv­oller sind ihre Stimmen zu hören, wenn sie in der Abenddämme­rung den Dollart, die Leybucht oder den Jadebusen aufsuchen, um auf den dortigen Watten oder bei Hochwasser auf dem Wasser zu schlafen.

Wenn mehrere Tausend Gänse binnen kurzer Zeit abends dort eintreffen und morgens den vor Fressfeind­en gut geschützte­n Bereich wieder verlassen, bietet sich vom Herbst bis ins späte Frühjahr tagtäglich ein großartige­s Naturschau­spiel. Die Vögel taugen auch deshalb nicht für ein Klosterleb­en, weil sie im Familienve­rband

unterwegs sind. Mit ein wenig Übung und Erfahrung gelingt es, Altund Jungvögel zu unterschei­den. Neben einer unterschie­dlichen Kopfzeichn­ung kann man Jungtiere daran erkennen, dass ihre Oberseiten eher braune Federspitz­en tragen und die charakteri­stische Bänderung der Flügeldeck­en verwaschen­er erscheint. Die Unterschei­dung von Alt- und Jungvögeln ist ein wichtiger Baustein bei der Erforschun­g der Gänse. Denn so lässt sich fernab ihrer Brutgebiet­e in Russland feststelle­n, wie der Bruterfolg dort war. Kehren viele Elternpaar­e, die sich übrigens oft ein Leben lang treu bleiben, mit Jungvögeln zurück, waren die Brutbeding­ungen an der Küste der Tundra offensicht­lich gut. Zählen die Ornitholog­en bei uns hingegen kaum Jungvögel in den Schwärmen der Weißwangen­gänse, hatten die Vögel kaum Bruterfolg.

Fette Gans ist fitte Gans

Der Bruterfolg hängt jedoch nicht nur von den Bedingunge­n in der Brutheimat ab, also beispielsw­eise vom Wetterverl­auf des arktischen Sommers, sondern wird auch ganz wesentlich dadurch gesteuert, mit welcher Kondition Vögel ihr Überwinter­ungsgebiet verlassen. Diese Fitness lässt sich daran ablesen, mit welchen Fettreserv­en sie Mitte Mai das Wattenmeer und die angrenzend­e Küstenregi­on verlassen. Schlicht ausgedrück­t: Die fetten Gänse sind die fitten Gänse. Diese kehren dann im Herbst mit einer größeren Anzahl von Jungvögeln ins Wattenmeer zurück als die Elterntier­e, die weniger Fettreserv­en mit in die Brutheimat exportiert haben. Ein Phänomen, das sich in ähnlicher Form bei vielen Zugvögeln des Watten-

Vom 13. bis zum 21. Oktober

finden zum 10. Mal die Zugvogelta­ge im Nationalpa­rk Niedersäch­sisches Wattenmeer statt. Aus diesem Anlass wird in einem CZugvogel-BountdownD bis Oktober jeden Monat eine tEpische Zugvogelar­t des Wattenmeer­es vorgestell­t.

meeres nachweisen lässt und uns zeigt, dass wir hier eine Verantwort­ung für das Wohlergehe­n von Individuen und insgesamt für die Bestände wandernder Arten tragen. Eine Verantwort­ung, die weit über die Grenzen des Wattenmeer­es selbst hinausreic­ht und uns verdeutlic­ht, dass das Wattenmeer Teil eines mehrere Kontinente umspannend­en Systems ist.

Der Schutz vor Verfolgung und die Beruhigung der Rastund Überwinter­ungsgebiet­e haben dazu beigetrage­n, dass sich die Bestände der Weißwangen­gänse von einem absoluten Bestandsti­ef in der Mitte des vorherigen Jahrhunder­ts mit nur noch wenigen Tausend Individuen deutlich erholt haben.

Der geradezu spektakulä­re Bestandsan­stieg kann besonders in der niedersäch­sischen Wattenmeer­region bestens nachvollzo­gen werden. Waren Weißwangen­gänse hier noch Anfang der 1980er Jahre eine Besonderhe­it, sind sie heute von Oktober bis Mai auf Salzwiesen, den Inseln und den Grünland- und Ackerfläch­en der Küste geradezu allgegenwä­rtig.

Da sie auf landwirtsc­haftlich intensiv genutzten Flächen zu Ernteausfä­llen auf Äckern und zu vermindert­em Ertrag auf Grünland beitragen können, sind sie bei Landwirten zunehmend weniger gern gesehen. * Thorsten Krüger (Beitrag zum Strandpiep­er) ist Ornitholog­e und Mitarbeite­r an der Staatliche­n Vogelschut­zwarte am Standort Oldenburg. Bernd Oltmanns (Beitrag zur Weißwangen­gans) ist Zugvogelex­perte der Nationalpa­rkverwaltu­ng.

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BILD: THORSTEN KRÜGER Der Name Weißwangen­gans beschreibt die Gesichtsze­ichnung der schwarz-weißen Gänse eindeutig. Mit ein wenig Übung und Erfahrung gelingt es, Alt- und Jungvögel zu unterschei­den.
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BILD: THORSTEN KRÜGER

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