Heimliche Stars an unseren Küsten
Vorstellung einzelner Gattungen – Auftakt mit Strandpieper und Weißwangengans
Die Zugvogeltage nähern sich ihrer zehnten Auflage. Der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und die starten aus diesem Anlass eine Serie.
OLDENBURGER LAND – Wer in den Wintermonaten an die Küste fährt, hat gute Chancen, einen „heimlichen Star“unter den vielen Zugvogelarten des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer zu Gesicht zu bekommen: den Strandpieper. Für eine Besonderheit kommt die Art allerdings in recht schlichtem Federkleid daher und lebt überdies ziemlich verborgen. Der etwa bachstelzengroße Vogel ist oberseits einfarbig braungrau gefärbt und die eigentlich helle Unterseite des Gefieders ist mit einer dichten, verwaschenen braun-grauen Strichelung versehen. Eine gute Tarnung für einen Vogel, der an den felsigen Küsten Skandinaviens zu Hause ist und in Felshöhlungen auf Seetang brütet.
Spitzer Schnabel
Sein schlanker, spitz zulaufender Schnabel verrät, dass er sich überwiegend von kleinen Tieren ernährt. Alljährlich im Herbst macht sich der Strandpieper auf den Weg Richtung Wattenmeer, denn im immer kälter und dunkler werdenden Brutareal gibt es für ihn nichts mehr zu holen. Im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer hingegen findet der Strandpieper auch im Winter noch ausreichend Nahrung, jedoch nicht dort, wo man ihn wegen seines deutschen Namens vermuten würde, sondern vor allem in naturnahen Salzwiesen. Hier suchen die Pieper nach Flohkrebsen, besonders gern an der Wattkante sowie an Rändern von Prielen, sobald diese von Prielrandflora der unteren Salzwiese flankiert werden.
Damit ist der Strandpieper etwas Besonderes: Ein Singvogel, der in Prielen kleine Krebse sucht, das ist einzigartig im gesamten Nationalpark. Die Salzwiesen müssen allerdings in jedem Fall unbeweidet sein, damit die Pieper in ihnen Nahrung finden. Nur dann bieten sie den Vögeln Schutz vor Feinden, wie zum Beispiel Merlin und Kornweihe sowie in den natürlichen Prielen den Krebsen gute Lebensbedingungen.
Einzigartig
Der Strandpieper ist aus einem weiteren Grund ein besonderer Gast: Er ist die einzige Brutvogelart Nordeuropas, die in keiner anderen Region brütet. Für die Vögel dieser Der Strandpieper sogenannten fennoskandischen Population stellt das Wattenmeer das wichtigste Überwinterungsgebiet dar. Dabei ist es innerhalb von Deutschland vor allem das niedersächsische Wattenmeer, das die meisten Strandpieper aufnimmt. Eine neue Studie hat ergeben, dass es etwa 12 000 bis 15 000 Individuen sein dürften, die sich in den naturbelassenen Salzwiesen des Nationalparks aufhalten. Allein auf Borkum und Spiekeroog wurden mehr als 1800 Strandpieper gezählt.
Ihr verborgenes Leben in den Salzwiesen bringt es mit sich, dass man Strandpieper nur selten sieht. Am ehesten bekommt man etwas von ihrer Anwesenheit mit, wenn sie fliegend Ortswechsel vornehmen oder durch einen Greifvogel aufgescheucht werden. Dann rufen sie oft laut und deutlich „piiest, piiest“– freilich ein Laut, der wohl nur dem geübten Ohr auffällt.
Wenn hoch auflaufendes Wasser die Salzwiesen überflutet, werden die sich dort aufhaltenden Strandpieper
gewissermaßen herausgedrückt, bis an die Deiche, wo sie dann gut zu beobachten sind. Darüber hinaus gibt es immer wieder einzelne Strandpieper, die sich an Hafenbecken aufhalten und dort mitunter völlig frei auf Buhnen oder Dalben sitzen.
Pünktlich zu den 10. Zugvogeltagen im Oktober sind die Strandpieper wieder da und können auf den geführten Exkursionen als nationalparktypische Vogelart erlebt werden, die in besonderer Weise für die natürliche Dynamik des Gebietes steht.
Die Weißwangengans
Der Name Weißwangengans beschreibt die Gesichtszeichnung der schwarz-weißen Gans eindeutig. Der andere Name, den die relativ kleine, kontrastreich gezeichnete Gans hierzulande trägt, Nonnengans, geht ebenfalls auf ihr Äußeres zurück, spiegelt jedoch keineswegs ihre Lebensweise wieder. Denn weder frommes Schweigen, noch klösterliche Keuschheit zeichnen diese Vögel aus. So verraten sich in den Salzwiesen des Nationalparks äsende Gänse häufig schon durch ihren einsilbigen, leicht bellenden Ruf. Lauter und noch eindrucksvoller sind ihre Stimmen zu hören, wenn sie in der Abenddämmerung den Dollart, die Leybucht oder den Jadebusen aufsuchen, um auf den dortigen Watten oder bei Hochwasser auf dem Wasser zu schlafen.
Wenn mehrere Tausend Gänse binnen kurzer Zeit abends dort eintreffen und morgens den vor Fressfeinden gut geschützten Bereich wieder verlassen, bietet sich vom Herbst bis ins späte Frühjahr tagtäglich ein großartiges Naturschauspiel. Die Vögel taugen auch deshalb nicht für ein Klosterleben, weil sie im Familienverband
unterwegs sind. Mit ein wenig Übung und Erfahrung gelingt es, Altund Jungvögel zu unterscheiden. Neben einer unterschiedlichen Kopfzeichnung kann man Jungtiere daran erkennen, dass ihre Oberseiten eher braune Federspitzen tragen und die charakteristische Bänderung der Flügeldecken verwaschener erscheint. Die Unterscheidung von Alt- und Jungvögeln ist ein wichtiger Baustein bei der Erforschung der Gänse. Denn so lässt sich fernab ihrer Brutgebiete in Russland feststellen, wie der Bruterfolg dort war. Kehren viele Elternpaare, die sich übrigens oft ein Leben lang treu bleiben, mit Jungvögeln zurück, waren die Brutbedingungen an der Küste der Tundra offensichtlich gut. Zählen die Ornithologen bei uns hingegen kaum Jungvögel in den Schwärmen der Weißwangengänse, hatten die Vögel kaum Bruterfolg.
Fette Gans ist fitte Gans
Der Bruterfolg hängt jedoch nicht nur von den Bedingungen in der Brutheimat ab, also beispielsweise vom Wetterverlauf des arktischen Sommers, sondern wird auch ganz wesentlich dadurch gesteuert, mit welcher Kondition Vögel ihr Überwinterungsgebiet verlassen. Diese Fitness lässt sich daran ablesen, mit welchen Fettreserven sie Mitte Mai das Wattenmeer und die angrenzende Küstenregion verlassen. Schlicht ausgedrückt: Die fetten Gänse sind die fitten Gänse. Diese kehren dann im Herbst mit einer größeren Anzahl von Jungvögeln ins Wattenmeer zurück als die Elterntiere, die weniger Fettreserven mit in die Brutheimat exportiert haben. Ein Phänomen, das sich in ähnlicher Form bei vielen Zugvögeln des Watten-
Vom 13. bis zum 21. Oktober
finden zum 10. Mal die Zugvogeltage im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer statt. Aus diesem Anlass wird in einem CZugvogel-BountdownD bis Oktober jeden Monat eine tEpische Zugvogelart des Wattenmeeres vorgestellt.
meeres nachweisen lässt und uns zeigt, dass wir hier eine Verantwortung für das Wohlergehen von Individuen und insgesamt für die Bestände wandernder Arten tragen. Eine Verantwortung, die weit über die Grenzen des Wattenmeeres selbst hinausreicht und uns verdeutlicht, dass das Wattenmeer Teil eines mehrere Kontinente umspannenden Systems ist.
Der Schutz vor Verfolgung und die Beruhigung der Rastund Überwinterungsgebiete haben dazu beigetragen, dass sich die Bestände der Weißwangengänse von einem absoluten Bestandstief in der Mitte des vorherigen Jahrhunderts mit nur noch wenigen Tausend Individuen deutlich erholt haben.
Der geradezu spektakuläre Bestandsanstieg kann besonders in der niedersächsischen Wattenmeerregion bestens nachvollzogen werden. Waren Weißwangengänse hier noch Anfang der 1980er Jahre eine Besonderheit, sind sie heute von Oktober bis Mai auf Salzwiesen, den Inseln und den Grünland- und Ackerflächen der Küste geradezu allgegenwärtig.
Da sie auf landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen zu Ernteausfällen auf Äckern und zu vermindertem Ertrag auf Grünland beitragen können, sind sie bei Landwirten zunehmend weniger gern gesehen. * Thorsten Krüger (Beitrag zum Strandpieper) ist Ornithologe und Mitarbeiter an der Staatlichen Vogelschutzwarte am Standort Oldenburg. Bernd Oltmanns (Beitrag zur Weißwangengans) ist Zugvogelexperte der Nationalparkverwaltung.