Nordwest-Zeitung

Eskalation während des Abendessen­s

Schauspiel „Geächtet“von Ayad Akhtar im Staatsthea­ter – Stück ü<er Herkunft und Hautfar<e

- VON REINHARD TSCHAPKE

Wenn Freunde zum Essen kommen, dann läuft es nicht immer glatt: die 90-minütige Zimmerschl­acht fasziniert im Kleinen Haus.

OLDENBURG – Nach drei Minuten fällt erstmals das Wort Rassist. Nach 15 das Wort Jude, nach 20 der Ausdruck Terrorist, nach 50 ist von Taliban die Rede. Willkommen im Stück „Geächtet“des US-Dramatiker­s Ayad Akhtar, das am Samstag im Kleinen Haus des Oldenburgi­schen Staatsthea­ters seine Premiere feierte.

Es ist das Modestück der letzten Jahre, und es ist erfolgreic­h und gut. Wahrschein­lich, weil es gesellscha­ftlich auf den Punkt bringt, was viele bewegt, aber keiner so recht fassen kann: Rassismus und Terrorismu­s, westliche und islamische Welt.

Amir hat in der ersten Szene keine Hosen an. Seine Frau, eine Künstlerin, zeichnet den Kerl so. Wozu braucht es vor lauter Stolz eine Hose? Obenrum ist Amir ganz erfolgreic­her Anwalt mit 600Dollar-Hemd. Amir kommt – wie der Autor des Stücks – aus Pakistan. Was er als assimilier­ter Amerikaner lieber verleugnet, ebenso den Islam. Das sollte sich im Laufe des Stücks ändern.

Amirs Frau Emily ist ein naiver Gutmensch und eine zarte Malerin, die von islamische­r Kunst schwärmt. Ihr zuliebe engagiert sich Amir widerspens­tig für einen Hasspredig­er – ein fataler Fehler. Und spätestens beim gepflegten Dinner mit einem befreundet­en Ehepaar, bei Artischock­e und Port, eskalieren verborgene Konflikte, geht es um Herkunft und Hautfarbe, fällt die dünne Maske der Zivilisati­on. Das Kammerspie­l strebt seinem Höhepunkt zu.

Dramatiker Akhtar hat, neben einer jungen, begeistert­en

Muslimin in einer Nebenrolle (prima: Valentina Schüler), vier gut situierte Typen aufeinande­r gehetzt: einen amerikanis­chen Wohlstands­muslim, der auf seine Wurzeln zurückgewo­rfen wird (erst gepflegt, dann erregt: Fabian Felix Dott), eine weiße protestant­ische Amerikaner­in als seine Frau (schön distanzier­t: Agnes Kammerer), einen jüdischen Kurator (herrlich als Besserwiss­er: Jens Ochlast) und eine schwarze Anwältin, die auch noch Konkurrent­in von Amir ist (gibt die Robuste: Helen Wendt).

Das wirkt konstruier­t? Vielleicht. Das ähnelt Yasmina Rezas Drama „Gott des Gemetzels“, das auch harmlos beginnt? Gewiss. Aber das schadet nicht. Denn „Geächtet“entwickelt eine eigene Dynamik, die nur manchmal etwas von Woody Allen hat, aber im Grundton tragisch bleibt, weil unerbittli­ch an die Oberfläche der Charaktere drängt, was keine Rolle spielen

sollte: Religion und Rasse. Die Regie formte das pausenlose 90-Minuten-Drama souverän wie aus einem Guss. Peter Hailer, der in Oldenburg schon „Terror“in Szene setzte, hat wieder wohltuend zurückgeno­mmen gearbeitet.

Die Bühne von Dirk Becker bleibt weitgehend unveränder­t. Sie zeigt uns vorn ein geräumiges Wohnzimmer, hinten in riesigen Fenstern die Umrisse von Manhattan, mal nächtlich flimmernd, mal bei Tag. Die Bühne suggeriert ein freies und offenes Land. Wie man sich täuschen kann.

Der vornehme, innerlich brodelnde Amir warnt anfangs die anderen vor einem rabiaten Islam, der Hände abhackt und Frauen schlägt. Am Ende haut er, aufgestach­elt und gedemütigt, seine Frau und verliert alles.

Was bleibt von dem Stück? Viel zum Nachdenken. Nicht das Schlechtes­te, was ein Drama bewirken kann. – Mächtiger Beifall. Reingehen!

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PROBENBILD: STEPHAN WALZL Vor der Kulisse New Yorks: Szene mit den Schauspiel­ern (von links) Agnes Kammerer, Helen Wendt, Jens Ochlast und Fabian Felix Dott

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