Kanzlerin-Dämmerung abgesagt
Angela Merkel irft arteiinternen Kritikern N rgelei vor
Nur 27 Stimmen gab es gegen die Große Koalition. Angela Merkel erhielt den erhofften großen Rückhalt für eine eitere Große Koalition.
BERLIN Um 12.24 Uhr ist die Entscheidung klar und der Parteitag eigentlich schon gelaufen, obwohl er gerade erst begonnen hat. Knapp eine Stunde lang hat Angela Merkel für die Große Koalition und die Zustimmung der 1000 Delegierten im Saal geworben – mit Erfolg. Viereinhalb Minuten lang stehende Ovationen für die Kanzlerin als vorweggenommenes Ja zur Neuauflage von Schwarz/Rot. Merkel strahlt, winkt erleichtert, schreitet die Parteitagsbühne ab, als markiere sie ihr Revier, wolle sie ihr Machtzentrum genau ausmessen.
Die Schlacht ist geschlagen, die CDU-Chefin fast am Ziel. Die Rückkehr der GrokoKanzlerin, Merkel gelingt ein Comeback. Die Kritiker reihen sich wieder ein. Die Revolution findet nicht statt. Die Gegner von Schwarz/Rot sind in der klaren Minderheit – gerade einmal 27 Gegenstimmen gibt es von den etwa 1000 Delegierten, als am Nachmittag über den Koalitionsvertrag und das grüne Licht für das nächste Bündnis von Union und SPD abgestimmt wird.
Erst der Überraschungscoup mit der neuen Generalsekretärin Annegret KrampKarrenbauer, dann die Umarmung und Beförderung ihres Rivalen Jens Spahn ins Kabinett und nun schließlich der erfolgreiche Appell hier auf dem Parteitag, ihr zu folgen, ihr noch einmal Prokura für eine Neuauflage der Großen Koalition zu geben. Die Entscheidung – eine Art Vertrauensfrage, die Merkel besteht. Die heraufbeschworene Kanzlerin-Dämmerung ist abgesagt – mal wieder.
155 Tage nach der Bundestagswahl blickt Merkel noch einmal zurück auf ein Ergebnis, das nicht den Ansprüchen der Partei entspreche, gibt sich die Kanzlerin selbstkritisch. Sie könne nicht erkennen, was man jetzt anders machen sollte, hatte sie noch nach der Wahlschlappe im September trotzig erklärt. Fünf Monate danach klingt dies ganz anders. Plötzlich will die CDU-Chefin Lehren aus den Verlusten bei der Bundestagswahl ziehen. „Wir wollen es besser machen, Vertrauen zurückgewinnen und wieder ein besseres Ergebnis erreichen“, verspricht die CDU-Chefin.
„Wir wären nicht die CDU, wenn wir uns ins Jammertal zurückzögen“, mag sich Merkel einen Seitenhieb auf die FDP nach dem Jamaika-Aus nicht verkneifen. Man dürfe den Regierungsauftrag nicht vor die Füße der Wähler werfen. Der Parteitag habe einen klaren Auftrag: „Wir wollen heute unseren Beitrag zu einer stabilen Bundesregierung leisten“, wirbt Merkel für die Groko.
Hart gerungen habe man mit den Genossen und Kompromisse eingehen müssen, räumt die CDU-Chefin ein. Doch sei es der Union gelungen, viel durchzusetzen. Mehr Geld für Familien, höhere Ausgaben für Bildung und Forschung und vor allem die SPD-Forderung nach der Bürgerversicherung abgewehrt. „Wann wurde jemals ein solches Maßnahmenpaket für Familien geschnürt?“, ruft Merkel in die Halle. Doch die Begeisterung hält sich in Grenzen.
Der Verlust des Finanzministeriums sei eine „schmerzhafte Entscheidung“gewesen, gesteht die Kanzlerin ein. Doch habe man daran die Koalitionsverhandlungen nicht scheitern lassen können. Keiner solle sich etwas vormachen, welches Bild in den vergangenen Wochen Politik abgegeben habe, redet sich Merkel in Rage. „Welcher Stil, welche Taktierereien, welches selbstbezogenes Herummosern so manche Debatte gekennzeichnet hat – das alles war und ist wirklich kein Ruhmesblatt für die Politik.“
Genug gemosert? Längst nicht alle lassen sich so den Schneid abkaufen. „Die CDU hat das Profil eines abgefahre- nen Reifens“, schleudert der Delegierte Eugen Abler aus Ravensburg der Kanzlerin von der Rednerbühne entgegen, fordert eine härtere Flüchtlingspolitik und ein klareres konservatives Profil.
Auch Carsten Linnemann, Vorsitzender der Mittelstandsunion, bleibt bei seiner Kritik. „Wir müssen aufpassen, dass wir in zentralen Themen unseren Gestaltungsanspruch nicht verlieren“, beklagt er.
Und der Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, gibt der Kanzlerin Saures: „Wir haben nicht zu viele Debatten, sondern eher zu wenige“, hält er der Parteichefin vor. Ein „Zeichen des Aufbruchs“fordert Ziemiak und einen gemeinsamen Streit über die „Identität der CDU“.
Jubel und Beifall erntet die neue Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, die mit 98,87 Prozent gewählt wird. Mit einer selbstbewussten Rede hatte sie die Delegierten überzeugt: Das neue Grundsatzprogramm, das zu ihrer Aufgabe zählt, werde „keine Beschäftigungstherapie für die Partei“sein.
Die CDU hat das rofil eines abgefahrenen Reifens EUGEN ABLER, DELEGIERTER AUS DEM CDUKREISVERBAND RAVENSBURG