Nordwest-Zeitung

Kanzlerin-Dämmerung abgesagt

Angela Merkel irft arteiinter­nen Kritikern N rgelei vor

- VON ANDREAS HERHOLZ UND TOBIAS SCHMIDT, BÜRO BERLIN

Nur 27 Stimmen gab es gegen die Große Koalition. Angela Merkel erhielt den erhofften großen Rückhalt für eine eitere Große Koalition.

BERLIN Um 12.24 Uhr ist die Entscheidu­ng klar und der Parteitag eigentlich schon gelaufen, obwohl er gerade erst begonnen hat. Knapp eine Stunde lang hat Angela Merkel für die Große Koalition und die Zustimmung der 1000 Delegierte­n im Saal geworben – mit Erfolg. Viereinhal­b Minuten lang stehende Ovationen für die Kanzlerin als vorweggeno­mmenes Ja zur Neuauflage von Schwarz/Rot. Merkel strahlt, winkt erleichter­t, schreitet die Parteitags­bühne ab, als markiere sie ihr Revier, wolle sie ihr Machtzentr­um genau ausmessen.

Die Schlacht ist geschlagen, die CDU-Chefin fast am Ziel. Die Rückkehr der GrokoKanzl­erin, Merkel gelingt ein Comeback. Die Kritiker reihen sich wieder ein. Die Revolution findet nicht statt. Die Gegner von Schwarz/Rot sind in der klaren Minderheit – gerade einmal 27 Gegenstimm­en gibt es von den etwa 1000 Delegierte­n, als am Nachmittag über den Koalitions­vertrag und das grüne Licht für das nächste Bündnis von Union und SPD abgestimmt wird.

Erst der Überraschu­ngscoup mit der neuen Generalsek­retärin Annegret KrampKarre­nbauer, dann die Umarmung und Beförderun­g ihres Rivalen Jens Spahn ins Kabinett und nun schließlic­h der erfolgreic­he Appell hier auf dem Parteitag, ihr zu folgen, ihr noch einmal Prokura für eine Neuauflage der Großen Koalition zu geben. Die Entscheidu­ng – eine Art Vertrauens­frage, die Merkel besteht. Die heraufbesc­hworene Kanzlerin-Dämmerung ist abgesagt – mal wieder.

155 Tage nach der Bundestags­wahl blickt Merkel noch einmal zurück auf ein Ergebnis, das nicht den Ansprüchen der Partei entspreche, gibt sich die Kanzlerin selbstkrit­isch. Sie könne nicht erkennen, was man jetzt anders machen sollte, hatte sie noch nach der Wahlschlap­pe im September trotzig erklärt. Fünf Monate danach klingt dies ganz anders. Plötzlich will die CDU-Chefin Lehren aus den Verlusten bei der Bundestags­wahl ziehen. „Wir wollen es besser machen, Vertrauen zurückgewi­nnen und wieder ein besseres Ergebnis erreichen“, verspricht die CDU-Chefin.

„Wir wären nicht die CDU, wenn wir uns ins Jammertal zurückzöge­n“, mag sich Merkel einen Seitenhieb auf die FDP nach dem Jamaika-Aus nicht verkneifen. Man dürfe den Regierungs­auftrag nicht vor die Füße der Wähler werfen. Der Parteitag habe einen klaren Auftrag: „Wir wollen heute unseren Beitrag zu einer stabilen Bundesregi­erung leisten“, wirbt Merkel für die Groko.

Hart gerungen habe man mit den Genossen und Kompromiss­e eingehen müssen, räumt die CDU-Chefin ein. Doch sei es der Union gelungen, viel durchzuset­zen. Mehr Geld für Familien, höhere Ausgaben für Bildung und Forschung und vor allem die SPD-Forderung nach der Bürgervers­icherung abgewehrt. „Wann wurde jemals ein solches Maßnahmenp­aket für Familien geschnürt?“, ruft Merkel in die Halle. Doch die Begeisteru­ng hält sich in Grenzen.

Der Verlust des Finanzmini­steriums sei eine „schmerzhaf­te Entscheidu­ng“gewesen, gesteht die Kanzlerin ein. Doch habe man daran die Koalitions­verhandlun­gen nicht scheitern lassen können. Keiner solle sich etwas vormachen, welches Bild in den vergangene­n Wochen Politik abgegeben habe, redet sich Merkel in Rage. „Welcher Stil, welche Taktierere­ien, welches selbstbezo­genes Herummoser­n so manche Debatte gekennzeic­hnet hat – das alles war und ist wirklich kein Ruhmesblat­t für die Politik.“

Genug gemosert? Längst nicht alle lassen sich so den Schneid abkaufen. „Die CDU hat das Profil eines abgefahre- nen Reifens“, schleudert der Delegierte Eugen Abler aus Ravensburg der Kanzlerin von der Rednerbühn­e entgegen, fordert eine härtere Flüchtling­spolitik und ein klareres konservati­ves Profil.

Auch Carsten Linnemann, Vorsitzend­er der Mittelstan­dsunion, bleibt bei seiner Kritik. „Wir müssen aufpassen, dass wir in zentralen Themen unseren Gestaltung­sanspruch nicht verlieren“, beklagt er.

Und der Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, gibt der Kanzlerin Saures: „Wir haben nicht zu viele Debatten, sondern eher zu wenige“, hält er der Parteichef­in vor. Ein „Zeichen des Aufbruchs“fordert Ziemiak und einen gemeinsame­n Streit über die „Identität der CDU“.

Jubel und Beifall erntet die neue Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die mit 98,87 Prozent gewählt wird. Mit einer selbstbewu­ssten Rede hatte sie die Delegierte­n überzeugt: Das neue Grundsatzp­rogramm, das zu ihrer Aufgabe zählt, werde „keine Beschäftig­ungstherap­ie für die Partei“sein.

Die CDU hat das rofil eines abgefahren­en Reifens EUGEN ABLER, DELEGIERTE­R AUS DEM CDUKREISVE­RBAND RAVENSBURG

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AP-BILD: SCHREIBER CDU-Chefin Angela Merkel im Gegenlicht: Sie schwor die Delegierte­n des Bundespart­eitags auf die Groko ein.

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