Die Abiturienten fest im Blick
PREMIERE Lessings „Nathan der Weise“im Großen Haus des Staatstheaters
Regisseur Klaus Schumacher verset t den Klassiker in die Gegen art. Im Ge and eines Krimis soll er ohl vor allem ein unges u likum ansprechen.
OLDENBURG – Terror, Krieg und Hass im Namen der Religion – die Zeit erscheint allemal reif für Gotthold Ephraim Lessings „Nathan“. Gründe gibt es genug, um ihn aus der Mottenkiste zu holen. Dass er 2019 verpflichtende Abiturlektüre ist, könnte auch ein Motiv sein. Nur ist das mitunter arg offensichtlich.
Ohne Zeitkommentar
Das Oldenburgische Staatstheater ist nun dem Beispiel der Landesbühne in Wilhelmshaven gefolgt. Dort hatte man im Oktober 2017 gar nicht erst versucht, aus dem knapp 250 Jahre alten „dramatischen Gedicht“eine Handlung zu entwickeln. Stattdessen hat man sich auf den Text konzentriert und ihn mit Musik und Aufnahmen von brennenden und zerbombten Häusern verknüpft.
Das ist Klaus Schumachers Sache nicht. Zwar lässt der Regisseur den Text weitgehend unangetastet, spart sich anbiedernde Aktualisierungen, aber auch jeden Zeitkommentar zum aufklärerischen Ideendrama von der Gleichheit und der Toleranz unter den Religionen.
Im Jerusalem des 12. Jahrhunderts landet er allerdings ebenso wenig, sondern angeblich im Diplomatenmilieu, ausgestattet mit Accessoires der Gegenwart, mit schnieken Anzügen – nur der Tempelherr (kämpferisch: Jan Breustedt) sieht aus wie ein Bolschewik –, Aktenköfferchen und Handys. Das Bühnenbild (Ulrich Frommhold): ein riesiger, dunkler Kasten, der beim Schauplatzwechsel hochfährt und zur Abzugshaube eines Kaminfeuers wird.
Beim Anblick des Schlotes ließe sich manch Dunkles assoziieren, doch gibt die Inszenierung dazu keinerlei Anlass. Dafür ist der Kasten ganz praktisch: Hinter den Ecken kann man sich gut verstecken. Schumacher will aus Lessing offenbar einen Spannungsautor machen.
Doch die mühsam geklöppelte, umständlich entdeckte Intrige eignet sich kaum als Krimi. Ein jüdisches Mädchen und ein christlicher Tempelherr lieben einander, sind jedoch in Wahrheit Geschwister, der Sultan ist der Onkel, und der weise Jude Nathan hat ein christliches Waisenkind aufgezogen. Ob damit das markerschütternde Geschrei am Schluss gerechtfertigt ist?
Geschäftsmäßig
Überhaupt setzt Schumacher im zweiten Teil der zweieinhalbstündigen Inszenierung verstärkt auf Emotionen: Da wird man auf der Bühne schon mal handgreiflich und landet der Tempelherr vor den Füßen der Zuschauer im Parkett. Auch Matthias Kleinert, ein eher geschäftsmäßiger Nathan, büßt seine Ruhe ein. Allerdings ist er auch im Tumult verständlich.
Was man nicht von allen Darstellern behaupten kann, die oft zu leise bleiben, etwa Rebecca Seidel als verliebte, temperamentvolle Recha oder Caroline Nagel als Schwester des Sultans. Nur wenige Sätze spricht Thomas Lichtenstein als Patriarch, die aber donnernd. In weiteren Rollen: Franziska Werner als undurchsichtige Daja, Johannes Lange als Derwisch und Gerrit Frers als Klosterbruder.
In Lessings berühmter Ringparabel schließlich, dem Kern des Stückes, überzeugt ein gewitzter Nathan im Dialog mit dem Sultan. Weshalb Klaas Schramm dazu mit Halskrause im Rollstuhl sitzt, bleibt ein Rätsel.
Wie zu erwarten saßen am Sonntagabend im Großen Haus nicht nur Abonnenten, sondern auch jede Menge angehender Abiturienten. Nach dieser Aufführung dürfte die Arbeit nicht einfacher geworden sein.