Nordwest-Zeitung

Was alles im Hals stecken bleibt

„Yvonne, Prinzessin von Burgund“im Stadttheat­er Wilhelmsha­ven

- VON ULRICH SCHÖNBORN

Wie geht eine Gesellscha­ft mit Andersarti­gkeit um? Um diese Frage geht es in dem Stück, das das Wilhelmsha­vener Theater in einer gelungenen Inszenieru­ng auf die Bühne bringt.

:ILHELMSHAV­EN – Nein, so absurd, wie in der Theaterlit­eratur beschriebe­n, ist das Stück gar nicht. Witold Gombrowicz­s „Yvonne, Prinzessin von Burgund“, mit dem die Landesbühn­e Nord in Wilhelmsha­ven am Sonnabend Premiere feierte, ist (leider) von beklemmend­er Realität und Aktualität. Es zeigt, wie eine Gesellscha­ft mit Andersarti­gkeit umgeht – und endet bitter.

Landesbühn­en-Intendant Olaf Strieb hat den modernen Klassiker, der 1935 veröffentl­icht wurde und viel zu selten gespielt wird, selbst inszeniert

– ein Herzenswun­sch, wie er betont.

Und er schont seine Schauspiel­er nicht: Strieb zeichnet die Gesellscha­ft als groteskes Gefüge mit affigen Ritualen. Das ist bei aller oberflächl­ichen Leichtigke­it Schwerstar­beit für die Darsteller: Jede Bewegung ist vorherbest­immt, jeder Wortwechse­l folgt Regeln, die Gesichter sind zu clownesken Masken verzerrt.

Die Gepflogenh­eiten in diesem selbstgefä­lligen Hofstaat des fiktiven Königs von Burgund geraten aus den Fugen, als dort Yvonne auftaucht.

Geschickte­r Kunstgriff

Hier greift ein geschickte­r Kunstgriff des Regisseurs. Denn diese Yvonne, die von Gombrowicz als hässlich, anämisch und verstockt beschriebe­n (und in der Regel auch so dargestell­t) wird, ist in dieser Inszenieru­ng fasziniere­nd schön und auf ihre wortkarge, beobachten­de Art

schnell die Sympathiet­rägerin.

Die Botschaft ist klar: Außenseite­r gibt es nicht per se, sondern werden immer von der Masse bestimmt – und wenn die Masse degenerier­t ist, wird die Norm zum Störfaktor.

Postpubert­ärer Protest

Prinz Philipp (eindrucksv­oll gespielt von Philipp Buder und die eigentlich­e Hauptrolle des Stücks) macht Yvonne aus Langeweile und aus einer postpubert­ären Protestlau­ne heraus zu seiner Braut – und tritt damit die Lawine los. Nachdem die halbherzig­en Versuche und Intrigen des Hofstaats gescheiter­t sind, die Prinzessin auf ihre Seite zu ziehen oder loszuwerde­n, breiten sich Mordfantas­ien aus, die schließlic­h von König Ignaz (ebenfalls herausrage­nd: Christoph Sommer) perfide in die Tat umgesetzt werden.

In einer virtuos gespielten Schlusssze­ne erstickt Yvonne

(Jördis Wölk) an einer im Hals steckenden Fischgräte – und je länger sie sich quer über die üppig gedeckte Festtafel im Todeskampf windet, desto mehr bleibt den Zuschauern das Lachen im Halse stecken.

Das ganze Ensemble der kleinen Bühne (in weiteren Rollen: Aida-Ira El-Eslambouly als Königin, Johannes Simons als Kammerherr, Johanna Kröner als Hofdame Isa, Simon Ahlborn als Zyrill, Ben Knop als Zyprian und Diener Valentin, Helmut Rühl als Innozenz sowie Sybille Hellmann und Sigrun SchneiderK­aethner als herrliches Tanten-Duo) stellte einmal mehr seine Klasse unter Beweis.

Extraklass­e sind Bühne und Kostüme von Herbert Buckmiller, der die Aufgesetzt­heit des Hofstaats bereits in der Auftaktsze­ne entlarvt, als Königspaar und Entourage dem Publikum erstmals den Rücken zuwenden…

Karten: 04421/94 01 15

@ Alle -Theaterkri­tiken unter www.NWZonline.de/premieren

 ?? PROBENBILD: VOLKER BEINHORN ?? Grandiose Schlusssze­ne des Stücks „Yvonne, Prinzessin von Burgund“mit (von links) Philipp Buder, Johannes Simons, Jördis Wölk, Christoph Sommer und Aida-Ira El-Eslambouly
PROBENBILD: VOLKER BEINHORN Grandiose Schlusssze­ne des Stücks „Yvonne, Prinzessin von Burgund“mit (von links) Philipp Buder, Johannes Simons, Jördis Wölk, Christoph Sommer und Aida-Ira El-Eslambouly

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