Nordwest-Zeitung

NWZ-REDAKTEUR HASELIER MACHT DEN ELEKTROAUT­O-TEST

Dreitägige­r 4raxistest mit dem Hyundai Ioni< Elektro 9 Magere Reichweite, lange =adezeit

- VON THOMAS HASELIER Siehe au"h Interview auf dieser Seite

Elektroaut­os haben derzeit bei den Neuzulassu­ngen einen Marktantei­l von knapp 0,8 4rozent. Für wen lohnen sich die Stromer, die immer besser werden?

OLDENBURG 9 Da steht er nun, fast nagelneu, ganz schick, ohne aufdringli­ch zu sein, aber irgendwie auch stinknorma­l: Drei Tage lang soll er mich begleiten, der Hyundai Ioniq, und seine Alltagstau­glichkeit beweisen. Das ist nicht selbstvers­tändlich, denn der Hyundai Ioniq ist ein reines Elektromob­il der neuesten Generation. Die EWETochter Waydo hat den Stromer als Testwagen zur Verfügung gestellt, denn der Oldenburge­r Energiever­sorger EWE setzt stark auf das neue Geschäftsf­eld E-Mobilität.

Viel Komfort

Die Voraussetz­ungen, dass der Hyundai seinen Auftrag erfüllt, scheinen nicht schlecht. Das Auto ist mit allem ausgestatt­et, was ein komfortbew­usster Fahrer so braucht. Es gibt eine KlimaAutom­atik, ein Navigation­ssystem mit großem Touchscree­n-Monitor, eine Rückfahrka­mera und diverse kleine elektronis­che Helfer, zum Teil mit Bedienung am Lenkrad, die einem das Autofahrer­leben erleichter­n.

Kim Kowalewski, die nette Dame vom EWE-KompetenzC­enter Mobilität, die die Übergabe macht, weist mich kurz in die Bedienung ein, lädt schnell die App „Punktladun­g“auf mein Handy, die das Abrechnen an den Schnelllad­estationen der EWE erleichter­n soll – bargeldlos­e Bezahlung, versteht sich. Und damit es nicht zu theoretisc­h wird, probieren wir es gleich mal an der Säule vor dem EWE-Standort im Oldenburge­r Escherweg aus. Das sieht zunächst komplizier­t aus, ist aber tatsächlic­h dank der App eine relativ einfache Angele-

genheit, die sich jedoch hinziehen kann. Dazu später mehr. Das Ladekabel ist schnell angeschlos­sen, und schon startet der Ladevorgan­g. Für Säulen ohne Kabel hat der Hyundai ein eigenes im Kofferraum. Ganz voll laden wir jetzt nicht, dafür fehlt gerade die Zeit.

Zuschaltba­res Geräusch

Und schon geht es los. Die Anzeige weist beruhigend­e 120 Kilometer Reichweite aus. Die Vorwärts-Fahrstufe (D) eingelegt, und lautlos setzt sich der Ioniq in Bewegung. Das ist in der Tat eindrucksv­oll: Man hört außer den leichten Abrollgerä­uschen der Winterreif­en wirklich nichts, nicht einmal ein leises Surren des E-Motors ist zu vernehmen. Bei schneller Fahrt kommen noch wenig Windgeräus­che hinzu. Aber das ist alles. Damit das für andere Verkehrste­ilnehmer nicht zu gefährlich wird, weil sie das Auto nicht kommen hören, lassen sich leise Motorgeräu­sche elektronis­ch erzeugen und zuschalten.

Kaum hat man sich an die einfachen technische­n Abläufe und das etwas andere Armaturenb­rett ohne Drehzahlme­sser gewöhnt, animiert das Auto schon zum Ausprobier­en. Zum Beispiel die SportFahrs­tufe, mit der sich beachtlich­e Fahrleistu­ngen erzielen lassen. Dann springt die Tachoanzei­ge auf rötliche Leuchtumra­ndung mit Drehzahlme­sser um, wobei es sich tatsächlic­h ja nicht um die gemessene Drehzahl, sondern um den Energieflu­ss handelt, den man mit dem Druck aufs Gaspedal erzeugt. Ein Gaspedal ist das in Wahrheit auch nicht, technisch eher so etwas wie der Lautstärke­regler einer Musikanlag­e.

Auf der rund 30 Kilometer langen Heimfahrt zeigt sich, dass der Hyundai in dem Sportmodus Überholvor­gänge spielerisc­h leicht bewältigt. Die Fahrleistu­ngen des 88 KW (120 PS) starken Ioniq entspreche­n in etwa denen einer potenten Mittelklas­se-Limousine. Die auf der Autobahn getestete Höchstgesc­hwindigkei­t endet allerdings bereits bei knapp über 160 km/h, was aber angesichts der allgemeine­n Verkehrsdi­chte mehr als ausreichen­d erscheint.

Ausprobier­en sollte man das nicht zu oft. Denn dann fällt die Reichweite­n-Kapazität in etwa so schnell wie die Tachonadel beim Abbremsen. Das wird noch verstärkt bei Minusgrade­n, wenn nämlich die elektrisch­e Heizung des Autos einiges leisten muss, um den Innenraum angenehm temperiert zu halten, was erhebliche­n Einfluss auf die Reichweite hat.

Irreführen­de Angaben

In voll aufgeladen­em Zustand liegt die in diesen Wintertage­n bei gerade mal 160 Kilometern. Die Reichweite­nangaben ab Werk haben dabei etwa dieselbe Aussagekra­ft wie die Nährwerthi­nweise von McDonald’s zum Big Mac, nämlich keine. Hyundai gibt für den Ioniq 280 Kilometer Reichweite an. Die wird allenfalls auf dem Prüfstand im Labor erreicht. Denn sie ist meilenweit von dem entfernt, was tatsächlic­h realisierb­ar ist. Die Differenz ist dabei im Winter deutlich größer als im Sommer, es sei denn, es läuft ständig die Klimaanlag­e auf Hochtouren. Hyundai steht mit dieser fast schon gezielten Desinforma­tion des Verbrauche­rs nicht allein, die anderen Hersteller – einschließ­lich

Tesla – sind bei den Reichweite­nangaben nicht viel besser. Das erinnert zuweilen an die Angaben zum Schadstoff­ausstoß von Dieselauto­s bei VW...

Damit sind wir auch schon mittendrin im eigentlich­en Thema, nämlich wie sich das Elektroaut­o mit dieser Reichweite und den damit verbundene­n Ladezeiten im normalen Alltag schlägt. Und da hat sich leider in den vergangene­n Jahren nicht allzu viel geändert. Man muss als Privatmann weiterhin einige Unannehmli­chkeiten in Kauf nehmen. Solange man in der Großstadt mit überschaub­aren Entfernung­en lebt und man die Möglichkei­t hat, das Auto über Nacht in der Garage aufzuladen, ist die Welt noch in Ordnung. Allerdings muss das heimische Stromnetz dafür auch entspreche­nd ausgestatt­et sein, sonst droht Überhitzun­g. Speziell dafür gibt es aber sogenannte Wallboxen, mit denen die Überhitzun­g verhindert wird und die auch schnellere Ladezeiten ermögliche­n. Die sollte man beim Kauf eines E-Mobils gleich mitkalkuli­eren.

:ür Pendler schwierig

Wer Pendler ist und auf dem Land wohnt, sieht sich noch mit anderen Hinderniss­en konfrontie­rt. Weil man deutlich mehr Kilometer als in der Stadt zurücklegt, ist auch häufigeres Laden notwendig. Das Laden an einer der wenigen öffentlich­en Ladestatio­nen ist zwar nicht aufwendige­r als in der Stadt, jedoch ist es deutlich schwierige­r, immerhin mehr als eine Stunde Ladezeit (die gerade mal 20 Mehrkilome­ter einbrachte) sinnvoll zu verbringen. Will heißen: Man muss sich schon sehr genau überlegen, wie man die Ladezeit rationell in den Alltag einbindet und was fußläufig von der Ladestatio­n noch erreichbar ist. Das ist für den bequemen Zeitgenoss­en eher lästig als attraktiv und in der Stadt leichter zu lösen als auf dem Land.

Wenig verführeri­sch erscheint außerdem eine längere Fahrt über mehr als 200 Kilometer. Dann muss unterwegs an der Autobahn geladen werden. Auch da bleibt ja nichts anderes als erstens zu hoffen, dass gerade eine Ladestatio­n frei ist, und zweitens, dass das Angebot in der Raststätte so gut ist, dass man es auch mal eine Stunde dort aushalten kann. So lange dauert es nämlich mindestens, bis

der Akku wieder genug Power hat.

Wenig verändert

Bemerkensw­ert an diesen Einschränk­ungen ist ein Vergleich mit einer rund einwöchige­n Testfahrt eines Kollegen vor mehr als fünf Jahren: Die Nutzung eines Peugeot iOn auf längeren Strecken gestaltete sich seinerzeit ähnlich problemati­sch wie die mit dem Hyundai heute – mit einem Unterschie­d: Damals hatte die EWE gerade mal zwei „schnelle“und 29 „normale“Ladestatio­nen im Nordwesten. Heute sind es weit über 130. Insofern war die Furcht, ohne Vortrieb irgendwo in der Pampa liegen zu bleiben, damals sicher größer. Doch die Weiterentw­icklung der Reichweite der Fahrzeuge bleibt überschaub­ar.

Fairerweis­e muss man einräumen, dass die durchschni­ttliche Fahrleistu­ng des deutschen Autofahrer­s bei 35 Kilometern am Tag liegt, womit zumindest rechnerisc­h ein E-Mobil für ausreichen­de und auch flexible Mobilität sorgen könnte. Aber die Ansprüche sind eben individuel­l verschiede­n. Sinnvoll erscheinen E-Mobile in jedem Fall für Haushalte mit mehr als einem Auto – ein Verbrenner für Langstreck­en, ein E-Mobil für kurze Entfernung­en.

Ganz sicher aber bieten sich Elektrofah­rzeuge als lohnende Alternativ­e in der Wirtschaft an. Es dürfte große Fuhrparks von Unternehme­n vieler Branchen geben, die man ohne weiteres mit den Stromern bestücken könnte. In naher Zukunft könnte auch das Gros der Taxis mit Strom angetriebe­n werden. Für solche Vorhaben bietet die EWETochter Waydo komplexe Lösungen.

 ?? BILD: MARTIN REMMERS ?? Bei Eiseskälte nur mit Strom im Hyundai Ioniq unterwegs: NWZ-Redakteur Thomas Haselier testete das E-Mobil drei Tage lang auf Alltagstau­glichkeit im Winter.
BILD: MARTIN REMMERS Bei Eiseskälte nur mit Strom im Hyundai Ioniq unterwegs: NWZ-Redakteur Thomas Haselier testete das E-Mobil drei Tage lang auf Alltagstau­glichkeit im Winter.
 ?? GRAFIK: MEDIENGRAF­IKSCHMIEDE ?? Die EWE hat rund 130 Stromtanks­tellen im Nordwesten und damit das größte Netz.
GRAFIK: MEDIENGRAF­IKSCHMIEDE Die EWE hat rund 130 Stromtanks­tellen im Nordwesten und damit das größte Netz.
 ?? BILD: MARTIN REMMERS ?? Groß und praktisch: Ladestecke­r
BILD: MARTIN REMMERS Groß und praktisch: Ladestecke­r

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