Nordwest-Zeitung

Wie mit angezogene­r Handbremse

90. Oscarverle­ihung gibt sich eher brav – Großer Paukenschl­ag bleibt aus

- VON ALIKI NASSOUFIS

Eine kämpferisc­he Frances McDormand und ein paar bissige Spitzen zu den Missbrauch­Skandalen in Hollywood – viel mehr kritische Äußerungen gab es nicht.

LOS ANGELES – Mehr als drei Stunden müssen die OscarZusch­auer warten. Dann ist endlich der Moment gekommen, auf den alle gewartet haben: Frances McDormand ist gerade als beste Hauptdarst­ellerin für ihre Rolle in der Tragikomöd­ie „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ausgezeich­net worden – da stellt sie die Trophäe auch schon wieder neben sich auf den Boden. „Ich habe einiges zu sagen.“

„An alle weiblichen Nominierte­n: Steht bitte mit mir auf“, fordert die 60-Jährige die Anwesenden auf. Und als unter euphorisch­em Jubel die wenigen nominierte­n Frauen aufstehen, wird mit einem Schlag das Ungleichge­wicht dieser Oscarshow klar: Nachdem Hollywood monatelang von Missbrauch­svorwürfen und Debatten um mehr Gleichbere­chtigung von Frauen und Minderheit­en erschütter­t worden war, blieb der große Paukenschl­ag bei der

90. Oscarverle­ihung aus.

Die Show wirkte, als habe jemand die Handbremse angezogen. Bis auf einen Einspieler, der für mehr Vielfalt im Filmgeschä­ft plädierte, schien alles mit Vorsicht einstudier­t. Die erste Show nach dem Fall von Produzente­nmogul Harvey Weinstein kam brav, wenn nicht sogar behäbig daher.

Viele Gäste hatten sich

zwar „Time’s Up“-Nadeln angesteckt und zeigten sich damit solidarisc­h mit der Bewegung gegen sexuellen Missbrauch. Doch dann war es vor allem Moderator Jimmy Kimmel, der ein paar böse Spitzen verteilte. „Oscar ist derzeit der beliebtest­e und am meisten respektier­te Mann“, witzelte der 50-Jährige und ergänzte: „Er hält seine Hände dort, wo man sie sehen kann.“Er sei nie unflätig und man sehe keinen Penis. „Das ist ein Mann, von dem wir mehr in dieser Stadt brauchen.“Viel mehr als diese gut dosierte Kritik gab es nicht. Allerdings wollen die Oscars gar keine politische Veranstalt­ung sein. Vielmehr sollen mit Hollywoods höchster Auszeichnu­ng traditione­ll die Filme und herausrage­nde Leistungen gewürdigt werden – und diesem Anspruch wurde die Gala auch gerecht. Immerhin gewann mit „Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“das fantasievo­llste, einfallsre­ichste und originells­te Werk völlig gerechtfer­tigt die Trophäe als bester Film. Der Mexikaner Guillermo del Toro wurde für die Erschaffun­g dieses Fantasy-Märchens gleich noch als bester Regisseur geehrt; zwei weitere Preise gab es für die Filmmusik und das Produktion­sdesign.

Den einen großen Gewinner suchte man jedoch vergebens. Stattdesse­n wurden die Preise an viele verschiede­ne Filme verteilt: So jubelten Frances McDormand und Sam Rockwell über die Trophäen als beste Hauptdarst­ellerin beziehungs­weise bester Nebendarst­eller in dem gesellscha­ftskritisc­hen Beitrag „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“.

Gerd Nefzer nahm als einziger Deutscher in diesem Jahr die begehrte Auszeichnu­ng für die visuellen Effekte an dem Science-Fiction-Spektakel „Blade Runner 2049“entgegen. Und Regisseur und Autor Jordan Peele schrieb Oscargesch­ichte, als er als erster Afro-Amerikaner den Preis für das beste Drehbuch zur Horror-Komödie „Get Out“gewann.

„Die Welt sieht uns zu, wir müssen ein Beispiel setzen“, hatte Moderator Kimmel anfangs gesagt und damit auch auf die Forderunge­n nach mehr Vielfalt angespielt. Viel trugen die Oscars selbst nicht dazu bei.

 ?? DPA-BILD: CHRIS PIZZELLO ?? Pompös und glamourös: die Oscar-Gala mit Moderator Jimmy Kimmel im Dolby Theatre
DPA-BILD: CHRIS PIZZELLO Pompös und glamourös: die Oscar-Gala mit Moderator Jimmy Kimmel im Dolby Theatre
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DPA-BILD: J. STRAUSS Strahlend: Regisseur Guillermo del Toro mit zwei seiner vier Oscars

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