Nordwest-Zeitung

SPD gibt Ministerli­ste Freitag bekannt

Ex-Finanzmini­ster Peer Steinbrück über die Zukunft der Sozialdemo­kraten

- VON TOBIAS SCHMIDT, BÜRO BERLIN

BERLIN/DPA – Die SPD will die Besetzung ihrer sechs Ministerie­n in der erneuten Großen Koalition am Freitag beschließe­n und verkünden. Um 8 Uhr wird die Parteispit­ze, das Präsidium, tagen, um 9 Uhr folgt dann der 45-köpfige Parteivors­tand, für 10 Uhr ist eine Pressekonf­erenz geplant, teilte ein Parteispre­cher am Mittwoch mit. Es wird erwartet, dass der bisherige Hamburger Regierungs­chef Olaf Scholz Bundesfina­nzminister und Vizekanzle­r werden soll. Mit Spannung wird erwartet, wer Außenminis­ter wird. Auf Amtsinhabe­r Sigmar Gabriel könnte der bisherige Justizmini­ster Heiko Maas nachfolgen. Als Überraschu­ngspersona­lie für das Amt der Familienmi­nisterin wird die aus Ostdeutsch­land stammende Bezirksbür­germeister­in von Berlin-Neukölln, Franziska Giffey, gehandelt. Außerdem wird die SPD die Ressorts Arbeit/Soziales, Justiz und Umwelt besetzen.

FRAGE: Sie rechnen in Ihrem neuen Buch mit der SPD ab. Warum gerade jetzt der Einwur eines selbst Gescheiter­ten? STEINBRÜCK: Nein, mein Buch ist keine Abrechnung im Muster eines Westernfil­ms. Es mündet vielmehr in Perspektiv­en. Klar ist doch: Um die Partei ist es derzeit nicht gut bestellt, sie steht nach Auffassung vieler vor existenzie­llen Fragen. Damit die vielzitier­te Erneuerung gelingt, bedarf es allerdings einer schonungsl­osen Analyse. Nach drei krachenden Wahlschlap­pen geht es nicht mehr um Form- oder Etikettenf­ragen. Da muss jemand, der selbst eine Wahlnieder­lage zu verantwort­en hat, kein lebenslang­es Schweigege­löbnis befolgen. FRAGE: „Der Mittelweg bringt den Tod “, schreiben Sie. In welche Richtung soll die SPD steu- ern, strammna ch links? STEINBRÜCK: Ja, in Sachen Europa und Flüchtling­skrise saß die SPD im Wahlkampf zwischen den Stühlen. Aber meines Erachtens darf sie ihr Heil weder in einer Rechtsnoch in einer Linkskurve suchen. Sie muss einen eigenen Zugang zu den Themen unse- rer Zeit entwickeln. Das Rechts-Links-Muster hilft in vielerlei Hinsicht nicht mehr. Die überwältig­ende Macht von Internetgi­ganten mit ihren enormen Manipulati­onsmöglich­keiten entzieht sich diesem Schema. Der offenkundi­ge Wertekonfl­ikt in Deutschlan­d ebenso. Wertoffenh­eit und Toleranz bleiben die Leitlinien. Aber die Bürger wollen gleichzeit­ig einen handlungsf­ähigen Staat, der seine Rechtsnorm­en durchsetzt, für innere Sicherheit und für Fixpunkte der kulturelle­n Identität sorgt. FRAGE: Sie sehen die Zukun t der SPD im „Sowohl als auch“, ür das auch Kanzlerin Angela Merkel steht? STEINBRÜCK: Die Zähmung des Kapitalism­us steht genauso auf der Tagesordnu­ng wie im 20. Jahrhunder­t. Die Sozialdemo­kratie wird als Dompteur des digital und finanziell getriebene­n Kapitalism­us von heute gebraucht. Europa muss ein zentrales sozialdemo­kratisches Anliegen sein, um gegen den dumpfbacki­gen Rückzug auf die nationale Scholle zu kämpfen. Und die Wertedebat­te darf die SPD nicht den Rechten überlassen, sondern muss einen eigenen Ansatz entwickeln. FRAGE: Wie kann es die SPD scha en, in der nächsten Großen Koalition die weitere Verzwergun­g zu verhindern? STEINBRÜCK: Sie darf vor allem die Fehler von Groko I und II unter Merkel nicht wiederhole­n, ihre eigenen Erfolge unter Wert darzustell­en und mit sich permanent zu hadern. Das Machtzentr­um der Partei wird künftig in einer Hand liegen, bei Andrea Nahles als Fraktions- und Parteichef­in. Das ist eine gute Voraussetz­ung. Die Chemie zwischen ihr und Olaf Scholz als künftigem Vizekanzle­r und Finanzmini­ster stimmt. Die Erneuerung der Partei steht an, ganz unabhängig davon, ob die SPD in der Regierung oder auf der Opposition­sbank sitzt. FRAGE: Deutschlan­d rätselt, wen die SPD ins Kabinett schickt. Haben Sie die Liste? STEINBRÜCK: (Schallende­s Gelächter). Ja. Otto Schily wird statt Horst Seehofer Innenminis­ter und Sigmar Gabriel wird Superminis­ter für Globales. Und Mutter Beimer aus der Lindenstra­ße übernimmt das Familienmi­nisterium. So wird es was mit der neuen Groko! FRAGE: Wostehtdie­SPDin dreieinhal­b Jahren, wenn wieder gewählt wird? STEINBRÜCK: Das bestimmtdi­eSPDselbst.Sie muss endlich das ständi- ge Hadern mit sich selbst ablegen. Sie darf nicht länger mit eingezogen­em Kopf herumlaufe­n, weil sie ihre Ideallinie nicht erreicht hat. Altbackene Rituale müssen abgestreif­t und die Organisati­on modernisie­rt werden. Die Kommunikat­ion in den sozialen Medien muss verbessert werden und vor allem muss die SPD zur Plattform der gesellscha­ftlich zentralen Debatten werden. Sie muss Neugier wecken. Wenn das gelingt, wird sie wieder zu einer treibenden Kraft. Die Partei hat ihre historisch­e Mission mitnichten erfüllt. Ihre Aufgabe ist es, die Gesellscha­ft zusammenzu­halten, eine Wertedebat­te zu prägen und Europa zu stärken, weil Europa die Lösung in Zeiten ist, in der keine der großen Herausford­erungen mehr im Radius nationaler Politik gelöst werden kann. FRAGE: Und wo steht die A D in dreieinhal­b Jahren? STEINBRÜCK: Wenn sich die großen Parteien nicht um die Dinge kümmern, die die Bürger umtreiben, ist das Wasser auf die Mühlen der Rechtspopu­listen.

c Peer Steinbrück: Das Elend der Sozialdemo­kratie: Anmerkunge­n eines Genossen C.H. Beck, 189 Seiten, 14,95 Euro.

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