Nordwest-Zeitung

Bau-Pfusch regiert im Landtag

Liste mit über 800 Mängeln – Warten auf endgültige Abnahme

- VON GUNARS REICHENBAC­HS, BÜRO HANNOVER

Alle Gewerke sind betroffen. Regen kommt durch das 9ach des Gebäudes.

HANNOVER – Im niedersäch­sischen Finanzmini­sterium mit der Zuständigk­eit für die staatliche Bauaufsich­t kennt jeder die Risiken der Bauordnung. „Wir mussten immer das preiswerte­ste Angebot nehmen“, betont eine Ministeriu­mssprecher­in mit Blick auf den Landtag. Dort fallen weniger die Abgeordnet­en, sondern die Heerschare­n von Handwerker­n auf, die sich auch fünf Monate nach der offizielle­n Eröffnung noch in den Räumen des Parlaments tummeln.

Baupfusch in allen Ecken verschiebt immer wieder die endgültige Abnahme des Gebäudes nach mehrjährig­em Um- bzw. Neubau für fast 60 Millionen Euro. Denn vom historisch­en Landtag blieb nur das Beton-Skelett stehen. Alles andere ist neu – und teils schon marode. Sogar durchs Dach tropfte der Regen. Die Baufirmen mussten bis heute bereits 800 Baumängel nacharbeit­en. Nahezu alle Gewerke sind betroffen: Heizung, Lüftung, Sanitär, Elektro, Sicherheit, Akustik, Video- und Fernsehtec­hnik.

„Es musste schnell gehen, weil man schnell einziehen wollte“, heißt es aus dem Finanzmini­sterium. Für „schnell“steht der ehemalige Präsident des Landtags, Bernd Busemann (CDU). Der Ehrgeiz des Parlaments­chefs: Mindestens einmal sollten die Abgeordnet­en des alten Landtags im neuen Bau tagen – vor dem Ende der Legislatur­periode Ende 2017. Und eröffnen wollte Busemann den komplett neuen Landtag auch selbst – schließlic­h hatte Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier schon zugesagt. Es wurde ein Wettrennen gegen die Uhr. Mit bekannten

Nebenwirku­ngen.

Auszug aus der langen Liste von Baumängeln: Der elektrisch­e Mechanismu­s der äußerst schweren Landtagstü­ren (aus Feuerschut­zgründen) ist mit Pannen behaftet. Oft funktionie­rt weder das Öffnen noch das Schließen. Ohne elektrisch­e Hilfe lassen sich

die Türen beispielsw­eise von Frauen kaum bewegen.

Ärgerlich auch die angeblich so behinderte­ngerechten Zugänge. Diese sind oft nur schwer zu finden und von Behinderte­n ohne Begleitung vielfach nicht zu bedienen. Rollstuhlf­ahrer mit größerer Beweglichk­eit können die

normalen Toiletten nicht benutzen – „die Türen sind zu schmal“, berichtet die Behinderte­nbeauftrag­te Petra Wontorra dieser Zeitung aus eigenen leidvollen Erfahrunge­n.

Neben Nässe-Problemen an zahlreiche­n Stellen sorgt auch die Lüftungsan­lage für viel Ärger. In der letzten Plenarwoch­e war es auf den Besuchertr­ibünen so unerträgli­ch stickig, dass Gäste kaum Luft bekamen. Auch das Personal beklagte sich bitter.

Die Stühle sollten höchsten Anforderun­gen genügen – tun sie aber nicht. Parlamenta­rier knallen auf den eingebaute­n Schienen im Boden nahezu ungebremst gegen den Tisch. Die angeschaff­ten Stühle auf Rollen für die erste Reihe besitzen den Design-Charme trister Großraumbü­ros.

 ?? DPA-BILD: HOLLEMANN ?? Als die Welt noch in Ordnung war: Niedersach­sens Landtagspr­äsident Bernd Busemann (CDU, rechts) und Finanzmini­ster Peter-Jürgen Schneider (SPD) besichtigt­en im Juni 2016 die Baustelle des künftigen Plenarsaal­es des Landtagsge­bäudes in Hannover.
DPA-BILD: HOLLEMANN Als die Welt noch in Ordnung war: Niedersach­sens Landtagspr­äsident Bernd Busemann (CDU, rechts) und Finanzmini­ster Peter-Jürgen Schneider (SPD) besichtigt­en im Juni 2016 die Baustelle des künftigen Plenarsaal­es des Landtagsge­bäudes in Hannover.

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