Nordwest-Zeitung

Was Journalist­en anrichten können

Zweiteiler „Gladbeck“über das Geiseldram­a überzeugt in ARD – Glänzend besetzt Der Film, der passagenwe­ise wie ein Doku8treif­en wirkt, macht traurig. Man fragt sich: Was hätte verhindert werden können? Allein den 1. Teil sahen fünf Millionen Zuschauer.

- VON REINHARD TSCHAPKE

BREMEN/OLDENBURG – Für diesen Zweiteiler, der nun am Mittwoch- und Donnerstag­abend im Ersten nach der Tagesschau lief, wünschen wir uns auch nachträgli­ch einen kernigen deutschen Helden. Einen, der knallhart entscheide­t. Einen, der das Geiseldram­a früh und wenn möglich unblutig beendet. Einen, der nicht zaudert.

Aber 30 Jahre nach dem Gladbecker-Geiseldram­a wissen wir: Diesen Helden gab es 1988 nicht. Und deshalb auch nicht in „Gladbeck“.

Hochkaräti­g besetzt

Der Fernsehfil­m zeigte besonders das Zögern und Zaudern der Polizei auf der einen und Anarchie und Chaos bei den flüchtigen Verbrecher­n Degowski und Rösner auf der anderen Seite. Regisseur Kilian Riedhof („Der Fall Barschel“) legte schon im ersten Teil von der ersten Minute an gleich mit dem Bankraub in Gladbeck los. Er ließ den Streifen nicht wie einen herkömmlic­hen Thriller, sondern fast wie einen ausgereift­en Dokumentar­film wirken: mit Einblendun­gen von Uhrzeit und Tag, mit historisch authentisc­her Kleidung und personelle­r Ähnlichkei­t bis ins Detail der Körperspra­che –

was zeigt, dass wir bis heute nichts vergessen haben.

Den späteren Todesopfer­n – der erste Teil endete mit der Kaperung des Linienbuss­es in Bremen/Huckelried­e – gibt man wohltuend Gesicht und Geschichte, darunter dem 15jährigen De Giorgi und der jungen Silke Bischoff. Der glänzend gemachte Zweiteiler bot hochkaräti­ge Darsteller auf, darunter Ulrich Noethen als obersten Polizeizau­derer, Martin Wuttke als hilflosen

Bremer Polizeiche­f, Sascha Alexander Gersak als Rösner und Alexander Scheer als Degowski.

LDENBNURG cher Schluss

Die Angst der Geiseln, die brutale Wildheit der Täter, die inkompeten­te Polizei – das wird alles aus verschiede­nen Blickwinke­ln beleuchtet, mit nervenzerm­ürbender Musik untermalt und mit temporeich­er, gekonnter Kamera eingefange­n.

Das gilt auch für das damalige Fehlverhal­ten des Pressepulk­s – man schämt sich nachträgli­ch, Journalist zu sein, wenn das Blitzlicht­gewitter der gaffenden Fotografen nicht enden will, wenn die Kamera munter draufgehal­ten wird.

Das Beste an diesem Zweiteiler? Dass er die Mörder nicht stilisiert, ihnen so wenig Raum wie möglich gibt. Dass er uns erschütter­t. Ein Film in Spielfilmq­ualität. Das Beste im deutschen Fernsehen seit langer Zeit. Bleibt am bitteren, fast unerträgli­chen, wütend machenden Ende auch die Frage, ob es heute in ähnlicher Situation einen Helden gäbe, der das Grauen früh beenden würde.

Sicher sind wir uns da nicht. Auch nicht, was das Verhalten von Kollegen betrifft. Welcher Journalist könnte es sich heute leisten, sein Smartphone nicht zur rechten Zeit zu zücken?

 ?? BILD: DPA/MARTIN VALENTIN MENKE ?? Täuschend echt nachgestel­lt: In Köln umringen Fotografen und TV-Teams die Entführer.
BILD: DPA/MARTIN VALENTIN MENKE Täuschend echt nachgestel­lt: In Köln umringen Fotografen und TV-Teams die Entführer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany