Die Betriebsgeheimnisse eines Autors
Klaus Modick gratuliert dem ;chriftstellerkollegen Jochen ;chimmang zum =0. Geburtstag
Legendär ist bis heute sein Roman „Der schöne Vogel Phönix“. ;chimmang, so staunt Modick, pflege sogar das Plattdeutsche – obwohl er es gar nicht spricht.
OLDENBURG – Persönlich kennengelernt habe ich Jochen Schimmang 1989. Damals organisierte ich im Wintergarten des Oldenburger Casablanca-Kinos eine literarische Veranstaltungsreihe, aus der später die „Literatour Nord“hervorgehen sollte.
Wir luden Schimmang ein, sein soeben erschienenes Buch „Das Vergnügen der Könige“vorzustellen, Erzählungen in jener luftigen Melange aus Melancholie und Lässigkeit, die bis heute seinen Stil prägen.
Beatles und Vietnam
1979, zehn Jahre zuvor, war „Der schöne Vogel Phönix“erschienen, jenes längst legendär gewordene Buch, mit dem Jochen Schimmang debütiert hatte. Um diesen autobiografischen Roman im seinerzeit grassierenden Trend der sogenannten Neuen Subjektivität zu vermarkten, hatte sich der Suhrkamp-Verlag den befremdlichen Gattungsbegriff „Erinnerungen eines Dreißigjährigen“einfallen lassen. In der Neuausgabe von 2013 hat Schimmang die Sache dann zurechtgerückt und den „Phönix“Roman genannt.
Erzählt wird die Geschichte eines jungen Manns, der in den Sechzigerjahren in der tiefsten ostfriesischen Provinz, nämlich in Leer, aufwächst als eins der typischen „Kinder von Marx und CocaCola“, geprägt von den Widersprüchen der Epoche, von den Beatles und Vietnam, von
Notstandsgesetzen und sexueller Revolution, von Studentenrevolte und WembleyTor.
Nach seinem Wehrdienst, abgeleistet in Wilhelmshaven, einem Lazarettaufenthalt in Rostrup am Zwischenahner Meer und einem Besuch im Oldenburger Stautorcafé kehrt Murnau, Schimmangs Held, der nicht zufällig den Namen eines bedeutenden Filmregisseurs trägt, den norddeutschen Niederungen den Rücken und zieht dorthin, wohin es damals viele zieht, die an die bevorstehende Revolution glaubten, ins Biotop der antiautoritären Luftschlösser und neomarxistischen Wolkenkuckucksheime – nach Westberlin.
Doch einer wie Murnau, der lieber Proust als Mao liest und die Beatles der Internationale vorzieht, ist natürlich für die Revolution schon verloren, bevor sie überhaupt beginnt.
Murnau, das hat ein einsichtiger Kritiker des „Phönix“damals bemerkt, war ein Dandy in der Lederjacke der Komintern. Von seinem Alter Ego Jochen Schimmang wünschte sich dieser Kritiker zukünftig Liebesgeschichten
und Kriminalromane. Und so kam es dann auch in Form der Romane „Ein kurzes Buch über die Liebe“, „Carmen“und „Die Geistesgegenwart“und diverser Bände mit Erzählungen.
Ob er die Lederjacke noch hat, weiß ich nicht, aber ein unauffälliger Dandy ist er immer noch. Und in gewisser Weise ist Jochen Schimmang auch ein Enkel Adenauers. Dessen Politik der Westbindung ist ihm nämlich zu einer Art literarischer Topografie geworden: Frankreich, England, die Beneluxländer sind Schauplätze sei- ner Geschichten, und die alte Bundesrepublik ist seine geistige Heimat, der er 2008 mit dem erfolgreichen Roman „Das Beste, was wir hatten“ein ebenso kluges wie wehmütiges Denkmal gesetzt hat.
Notizen aus Randlagen
Nach Studienjahren in Berlin lebte Jochen Schimmang lange in der Adenauerstadt Köln, kehrte dann für einige Jahre zurück nach Leer, der Stadt seiner Kindheit und Jugend, und zog dann schließlich 2005 nach Oldenburg. Sein essayistisches Journal mit dem programmatischer Titel „Grenzen, Ränder, Niemandsländer“(2014) beweist nachdrücklich, dass er ein besonderes Gespür und auch eine Vorliebe für Grenzbereiche und Randlagen hat, weshalb er auch gut in diese Stadt passt: nordwestdeutsche Randlage, nicht zu groß, nicht zu klein. Und nach Amsterdam ist es gar nicht weit. Das Stautorcafé in Oldenburg gibt es zwar nicht mehr, aber das Casablanca, und SchimmangMurnau wohnt gleich um die Ecke.
Übrigens schreibt er auch Literaturkritiken und Hörspiele, für Radio Bremen sogar solche auf Niederdeutsch – obwohl, das hat er mir einmal verraten, obwohl er gar kein Platt spricht. Wie er das macht?
Betriebsgeheimnis eines vielseitigen, mit diversen Auszeichnungen geehrten Schriftstellers, der am 14. März 70 Jahre alt wird. Wir glauben es kaum, da er ja auch zu der Generation zählt, die „Forever Young“bleiben wird oder jedenfalls will.
Wir gratulieren trotzdem. Und wünschen uns von ihm noch mehr Liebesgeschichten und Notizen aus allen möglichen Randlagen.