Nordwest-Zeitung

„Tafeln“: Probleme mit Migranten

Wie die Ausgabeste­lle in Rostrup durch den Andrang von =lüchtlinge­n Probleme bekam – Protokoll einer >rise

- VON KARSTEN KROGMANN

ROSTRUP/ESSEN/KRO – Der starke Andrang von Flüchtling­en hat nicht nur die „Tafel“in Essen vorübergeh­end vor große Probleme gestellt: Auch in Rostrup (Landkreis Ammerland) hatte es Anfang 2015 Schwierigk­eiten gegeben, zeitweise musste die Ausgabeste­lle sogar schließen. Mittlerwei­le habe sich die Lage aber beruhigt, erklärt Hans-Ulrich Plehn, Leiter der Einrichtun­g. „Viele Tafeln hatten und haben damit zu kämpfen“, sagte der Landesvors­itzende der Tafeln in Niedersach­sen und Bremen, Manfred Jabs, der Ð. Einige Tafeln hätten sogar Sicherheit­spersonal engagiert.

Die Tafel in Essen hatte wegen der Probleme einen vorübergeh­enden Aufnahmest­opp für Ausländer verhängt und war mit Rassismus-Vorwürfen konfrontie­rt worden.

–ls die Tafel in Essen/ Ruhr einen Aufnahmest­opp für Ausländer verkündete, gab es heftige Proteste. Aber Probleme gab es auch woanders, zum Beispiel in Rostrup: Vier Ehrenamtli­che berichten, wie gern sie ihren Job machten – und was sich dann änderte.

ING, T.: „Die Ausgabe ging ja erst um 10 Uhr los, aber die Ersten kamen immer schon morgens um 6.“GABI S.: „Ja, jeder wollte unbedingt der Erste sein.“HANS-P,T,R T.: „Die Ausgabeste­lle war ja nur so ein Gartenbloc­khaus, vielleicht vier mal vier Meter groß. Die Leute mussten alle draußen warten. Auch im Winter.“GABI S.: „Das klingt schrecklic­her, als es ist: Das war ein richtiger Kontakthof.“HANS-P,T,R T.: „Für den Winter hatten wir dann auch eine Garage angemietet, da war es wärmer.“GABI S.: „Die meisten kamen ja gut ausgestatt­et: mit Kaffee, Tee und reichlich Zigaretten.“

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Vielleicht darf man sich die typischen „Tafel“-Helfer so vorstellen wie diese vier hier: Inge und Hans-Peter T., 68 und 73 Jahre alt. Mechthild L., 63 Jahre alt. Gabi S., 67 Jahre alt. Freundlich­e Menschen, kontaktfre­udig, neugierig. „Wir wollten uns sozial engagieren“, sagt Hans-Peter T., damals frisch im Ruhestand, aber noch voller Tatendrang. Die Zeitungsme­ldung kam ihm da gerade recht: Lebensmitt­elausgabe sucht ehrenamtli­che Helfer. Fortan traf man sich samstags in Rostrup, stapelte Lauch und Äpfel und Eier auf die schmalen Bierzeltti­sche, sortierte Graubrot von Stöhr und Wurst von Rügenwalde­r.

Einer ging dann raus und verteilte die Nummern, die Wartenden konnten ja nur nacheinand­er in das enge Blockhaus treten. Wer war zuerst da? Wer kam als Zehnter, wer als Fünfzehnte­r?

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ING, T.: „Wir waren wie eine Familie.“GABI S.: „Die Leute erzählten uns von sich: ,Heute kriege ich Besuch, mein Enkelkind kommt.’ Da hat man dann auch schon mal ein Stück Kuchen mehr eingepackt.“HANS-P,T,R T.: „Auf der Rückfahrt im Auto haben wir dann oft gesagt: Das tut doch verdammt gut!“ING, T.: „Ja, diese Herzlichke­it, das ist etwas ganz Wertvolles.“

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Und dann änderte sich plötzlich alles.

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HANS-P,T,R T.: „Es gab einen kontinuier­lichen Anstieg ausländisc­her Bedürftige­r.“ING, T.: „Vorher waren das bestimmt zu 95 Prozent Deutsche, die zu uns kamen.“GABI S.: „Und das waren überwiegen­d alleinkomm­ende ältere Frauen.“M,CHTHILD L.: „Jetzt kamen plötzlich junge Männer.“HANS-P,T,R T.: „Die traten in

Pulks auf, und sie waren lauter, als wir es gewöhnt waren.“

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Im ersten Halbjahr 2014 waren der Gemeinde Bad Zwischenah­n fünf Flüchtling­e zugewiesen worden. Im zweiten Halbjahr 2014 kamen 81 Flüchtling­e, im ersten Halbjahr 2015 waren es bereits 94. Den größten Anteil stellten Flüchtling­e vom Balkan, allen voran Albaner und Kosovaren, die zweitgrößt­e Gruppe waren die Syrer. Die meisten dieser Flüchtling­e waren junge Männer – und viele von ihnen standen Ende 2014, Anfang 2015 plötzlich draußen vor dem Rostruper Blockhaus.

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HANS-P,T,R T.: „Wenn jetzt der Mann mit der Nummer draußen fragte, wer ist der Fünfzehnte, dann meldeten sich zehn Männer.“ING, T.: „Die stürmten regelrecht auf ihn ein!“HANS-P,T,R T.: „Ich musste da oft rausgehen und mit der Faust auf den Tisch hauen: ,Wir schließen die Ausgabe, wenn hier keine Ruhe ist!‘“GABI S.: „Vorher hatten wir immer etwa 40 Abholer, jetzt waren es plötzlich 60 und mehr.“M,CHTHILD L.: „Aber wir hatten ja nicht mehr Ware.“ING, T.: „Es gab dann auch Diskussion­en mit Männern mit muslimisch­em Hintergrun­d: Sie wollten viele Produkte, die wir hatten, nicht annehmen, das Graubrot nicht, die Wurst nicht.“GABI S.: „Dadurch sind manchmal Deutsche mit volleren Taschen nach Hause gegangen.“M,CHTHILD L.: „Da wurde geguckt: ,Was hast du da?‘ Die kannten doch gar nicht den familiären Hintergrun­d, vielleicht holte da jemand Lebensmitt­el für eine große Familie! Wir kannten die Leute ja!“GABI S.: „Aber es hieß dann: ,Wir werden benachteil­igt!“

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934 Tafeln gibt es derzeit in Deutschlan­d, 106 davon allein in Niedersach­sen. Viele von ihnen haben Außenstell­en, so wie auch Rostrup eine Außen-

der Westersted­er Tafel ist. Insgesamt gibt es in Deutschlan­d 2000 Ausgabeste­llen der Tafeln. „Tafel“ist ein geschützte­r Name, neben den Tafeln gibt es zahlreiche Lebensmitt­elausgaben mit anderen Namen, im Ammerland heißen sie zum Beispiel „Tischlein deck dich“(Edewecht) oder „Speisekamm­er“(Rastede). Hans-Ulrich Plehn, 73 Jahre alt, Leiter der Westersted­er Tafel, schätzt, dass die Zahl der Lebensmitt­elausgaben insgesamt bestimmt doppelt so hoch ist wie die Zahl der im Bundesverb­and organisier­ten Tafeln.

Die genauen Zahlen kennt offenbar niemand, „zu Anzahl und Zusammense­tzung des Kundenkrei­ses der Tafeln liegen der Bundesregi­erung keine Informatio­nen vor“, heißt es etwa auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag. Auch der Verband der Tafeln muss passen.

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HANS-P,T,R T.: „Da wurde ganz viel kaputt gemacht durch diese Unruhen.“ING, T.: „Die alten Leute haben sich regelrecht verabschie­det von uns: ,Ich komme in Zukunft nicht mehr.‘“GABI S.: „Manche sagten: ,Ich habe Angst hier.‘“M,CHTHILD L: „Und wir, wir hatten auch Angst.“ING, T.: „Das war immer ganz wichtig, dass auch ein Mann dabei war.“

GABI S.: „Die haben uns Ausländerf­eindlichke­it unterstell­t. Mich hat das sehr verletzt.“ING, T.: „Wir haben uns gefragt: Womit haben wir das eigentlich verdient?“

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Nachbarn beschwerte­n sich. Gesprächsv­ersuche scheiterte­n. Hans-Peter und Inge T., Mechthild L. und Gabi S. wurde es zu viel; sie entschiede­n sich, ihre Arbeit einzustell­en. Hans-Ulrich Plehn, der Tafelchef, verlor auf einen Schlag sein halbes Rostruper Team. Es gab ein gemeinsame­s Abschiedse­ssen, am 7. März 2015 schloss er die Ausgabeste­lle für etwa vier Wochen.

Plehn konnte die Lage in Rostrup mithilfe der Gemeindeve­rwaltung beruhigen. Die Tafel ist inzwischen in neue Räume umgezogen: größer und heller, die Helfer geben die Lebensmitt­el jetzt in einem Werkraum der Grundschul­e Rostrup aus. Die Sozialbehö­rden führten Gespräche mit jungen Männern, die in Rostrup als besonders aufdringli­ch identifizi­ert werden konnten; sie erklärten ihnen, was die Tafel ist und wie sie funktionie­rt.

In Rostrup und Westersted­e hängen jetzt außerdem die Tafel-Regeln aus, Plehn nennt sie „Die zehn Gebote“. Die Tafel-Besucher sollen zum Beispiel so etwas wissen: „Die Tafel ist keine staatliche Stelle, sondern eine freiwillig­e Einstelle

richtung von ehrenamtli­chen Mitarbeite­rn, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Hilfsbedür­ftigen das Leben zu erleichter­n.“

Die Regeln hängen da in zehn Sprachen aus, darunter Arabisch, Persisch, Kurdisch, Serbisch, Mazedonisc­h.

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HANS-P,T,R T.: „Die Männer haben uns das Gefühl gegeben, wir sind ein staatliche­r Laden.“ING, T.: „Ständig hieß es: ,Wir haben das Recht‘ oder ,Sie müssen‘.“M,CHTHILD L.: „Erinnert ihr euch? Ein Mann sagte immer nur: Rin! Rin! Rin!“GABI S.: „Manche wurden richtig böse, wenn wir denen nicht das gegeben haben, was sie haben wollten.“

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War das nur ein Rostruper Problem? Oder ein Essener? In einer entspreche­nden Anfrage der Linken an die Bundesregi­erung heißt es: „Auch für Geflüchtet­e sind die Tafeln oft eine erste Anlaufstel­le. Im Jahr 2015 war der Anlauf so groß, dass die Helferinne­n und Helfer am Rande ihrer Belastbark­eit arbeiteten, sich zugleich aber auch der oftmals fremdenfei­ndlichen Anfeindung­en erwehren mussten.“

Der Bundesverb­and „Die Tafel Deutschlan­d“sagt: „Sehr viele Tafeln sind mit einem sehr starken Kundenanst­ieg konfrontie­rt. Die Lösungsans­ätze sind hier ganz verschiede­n und liegen im Ermessen der lokalen Tafeln. Sie reichen vom Rotationsv­erfahren über Öffnungsze­iten für einzelne Gruppen bis hin zur generellen Aufnahmepa­use.“

Als die Tafel in Essen wegen der Probleme einen Aufnahmest­opp für Ausländer verkündete und damit bundesweit Empörung auslöste, fragten viele Lokaljourn­alisten bei ihren Tafeln vor Ort nach. Gab es bei Ihnen auch solche Probleme? Wenn sie überhaupt Antworten bekamen, fielen die zumeist zurückhalt­end aus. Die Tafel in Wildeshaus­en berichtete der Ð, „als die Zahl der Flüchtling­e an der Ausgabeste­lle be- sonders hoch war, hätten sich ähnliche Probleme wie in Essen angedeutet“. Man habe aber „rechtzeiti­g“eingreifen können.

Am deutlichst­en äußert sich Manfred Jabs, 64 Jahre alt, Leiter der Tafel in Bremerhave­n und Landesvors­itzender der Tafeln in Niedersach­sen und Bremen. Er sagt: „Viele Tafeln hatten und haben damit zu kämpfen!“Er weiß von Ausgabeste­llen in Berlin, die Security-Firmen beauftrage­n mussten, um die Sicherheit der älteren Bedürftige­n gewährleis­ten zu können. Er selbst habe in Bremerhave­n Aufpasser vor der Tür stehen, „zwei große und kräftige Ehrenamtli­che“.

Hans-Ulrich Plehn sagt, auch in Westersted­e habe es zeitweise Unruhe gegeben, „aber nicht so extrem wie in Rostrup“.

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ING, T.: „Diese RassismusV­orwürfe gegen die Mitarbeite­r in Essen, die haben mich sehr geärgert.“GABI S.: „Das ist so billig. Dabei haben diese Leute so viel Menschlich­es getan in den vergangene­n Jahren.“HANS-P,T,R T.: „Rassismus ist so ein krasser Vorwurf, da platzt einem ja die Birne!“ING, T.: „Ich hätte denen in Essen gern aufmuntern­d auf die Schulter geklopft.“

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Die vier ehrenamtli­chen Mitarbeite­r wollen ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen. In Essen haben Unbekannte die Lebensmitt­eltranspor­ter der Tafel mit dem Wort „Nazis“beschmiert. Sogar die Kanzlerin rüffelte die Essener Tafel-Mitarbeite­r öffentlich.

Hans-Ulrich Plehn sagt, in Rostrup liege das Verhältnis von Deutschen zu Ausländern jetzt bei 30 zu 70. Die Nachfrage sei immer noch groß, etwa 80 bis 90 Bedürftige kämen jetzt jeden Samstag. „Aber alles ist gut“, sagt er, „es herrscht Ruhe, es läuft.“

Er sagt aber auch: „Die, die damals weggeblieb­en sind, diese ganzen alleinsteh­enden älteren Frauen, die sind nicht wiedergeko­mmen.“

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BILD: TORSTEN VON REEKEN Lebensmitt­el für Bedürftige: Mitarbeite­r der Tafel in Westersted­e bereiten die gespendete­n Waren für die Ausgabe vor.

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