„Tafeln“: Probleme mit Migranten
Wie die Ausgabestelle in Rostrup durch den Andrang von =lüchtlingen Probleme bekam – Protokoll einer >rise
ROSTRUP/ESSEN/KRO – Der starke Andrang von Flüchtlingen hat nicht nur die „Tafel“in Essen vorübergehend vor große Probleme gestellt: Auch in Rostrup (Landkreis Ammerland) hatte es Anfang 2015 Schwierigkeiten gegeben, zeitweise musste die Ausgabestelle sogar schließen. Mittlerweile habe sich die Lage aber beruhigt, erklärt Hans-Ulrich Plehn, Leiter der Einrichtung. „Viele Tafeln hatten und haben damit zu kämpfen“, sagte der Landesvorsitzende der Tafeln in Niedersachsen und Bremen, Manfred Jabs, der Ð. Einige Tafeln hätten sogar Sicherheitspersonal engagiert.
Die Tafel in Essen hatte wegen der Probleme einen vorübergehenden Aufnahmestopp für Ausländer verhängt und war mit Rassismus-Vorwürfen konfrontiert worden.
–ls die Tafel in Essen/ Ruhr einen Aufnahmestopp für Ausländer verkündete, gab es heftige Proteste. Aber Probleme gab es auch woanders, zum Beispiel in Rostrup: Vier Ehrenamtliche berichten, wie gern sie ihren Job machten – und was sich dann änderte.
ING, T.: „Die Ausgabe ging ja erst um 10 Uhr los, aber die Ersten kamen immer schon morgens um 6.“GABI S.: „Ja, jeder wollte unbedingt der Erste sein.“HANS-P,T,R T.: „Die Ausgabestelle war ja nur so ein Gartenblockhaus, vielleicht vier mal vier Meter groß. Die Leute mussten alle draußen warten. Auch im Winter.“GABI S.: „Das klingt schrecklicher, als es ist: Das war ein richtiger Kontakthof.“HANS-P,T,R T.: „Für den Winter hatten wir dann auch eine Garage angemietet, da war es wärmer.“GABI S.: „Die meisten kamen ja gut ausgestattet: mit Kaffee, Tee und reichlich Zigaretten.“
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Vielleicht darf man sich die typischen „Tafel“-Helfer so vorstellen wie diese vier hier: Inge und Hans-Peter T., 68 und 73 Jahre alt. Mechthild L., 63 Jahre alt. Gabi S., 67 Jahre alt. Freundliche Menschen, kontaktfreudig, neugierig. „Wir wollten uns sozial engagieren“, sagt Hans-Peter T., damals frisch im Ruhestand, aber noch voller Tatendrang. Die Zeitungsmeldung kam ihm da gerade recht: Lebensmittelausgabe sucht ehrenamtliche Helfer. Fortan traf man sich samstags in Rostrup, stapelte Lauch und Äpfel und Eier auf die schmalen Bierzelttische, sortierte Graubrot von Stöhr und Wurst von Rügenwalder.
Einer ging dann raus und verteilte die Nummern, die Wartenden konnten ja nur nacheinander in das enge Blockhaus treten. Wer war zuerst da? Wer kam als Zehnter, wer als Fünfzehnter?
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ING, T.: „Wir waren wie eine Familie.“GABI S.: „Die Leute erzählten uns von sich: ,Heute kriege ich Besuch, mein Enkelkind kommt.’ Da hat man dann auch schon mal ein Stück Kuchen mehr eingepackt.“HANS-P,T,R T.: „Auf der Rückfahrt im Auto haben wir dann oft gesagt: Das tut doch verdammt gut!“ING, T.: „Ja, diese Herzlichkeit, das ist etwas ganz Wertvolles.“
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Und dann änderte sich plötzlich alles.
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HANS-P,T,R T.: „Es gab einen kontinuierlichen Anstieg ausländischer Bedürftiger.“ING, T.: „Vorher waren das bestimmt zu 95 Prozent Deutsche, die zu uns kamen.“GABI S.: „Und das waren überwiegend alleinkommende ältere Frauen.“M,CHTHILD L.: „Jetzt kamen plötzlich junge Männer.“HANS-P,T,R T.: „Die traten in
Pulks auf, und sie waren lauter, als wir es gewöhnt waren.“
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Im ersten Halbjahr 2014 waren der Gemeinde Bad Zwischenahn fünf Flüchtlinge zugewiesen worden. Im zweiten Halbjahr 2014 kamen 81 Flüchtlinge, im ersten Halbjahr 2015 waren es bereits 94. Den größten Anteil stellten Flüchtlinge vom Balkan, allen voran Albaner und Kosovaren, die zweitgrößte Gruppe waren die Syrer. Die meisten dieser Flüchtlinge waren junge Männer – und viele von ihnen standen Ende 2014, Anfang 2015 plötzlich draußen vor dem Rostruper Blockhaus.
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HANS-P,T,R T.: „Wenn jetzt der Mann mit der Nummer draußen fragte, wer ist der Fünfzehnte, dann meldeten sich zehn Männer.“ING, T.: „Die stürmten regelrecht auf ihn ein!“HANS-P,T,R T.: „Ich musste da oft rausgehen und mit der Faust auf den Tisch hauen: ,Wir schließen die Ausgabe, wenn hier keine Ruhe ist!‘“GABI S.: „Vorher hatten wir immer etwa 40 Abholer, jetzt waren es plötzlich 60 und mehr.“M,CHTHILD L.: „Aber wir hatten ja nicht mehr Ware.“ING, T.: „Es gab dann auch Diskussionen mit Männern mit muslimischem Hintergrund: Sie wollten viele Produkte, die wir hatten, nicht annehmen, das Graubrot nicht, die Wurst nicht.“GABI S.: „Dadurch sind manchmal Deutsche mit volleren Taschen nach Hause gegangen.“M,CHTHILD L.: „Da wurde geguckt: ,Was hast du da?‘ Die kannten doch gar nicht den familiären Hintergrund, vielleicht holte da jemand Lebensmittel für eine große Familie! Wir kannten die Leute ja!“GABI S.: „Aber es hieß dann: ,Wir werden benachteiligt!“
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934 Tafeln gibt es derzeit in Deutschland, 106 davon allein in Niedersachsen. Viele von ihnen haben Außenstellen, so wie auch Rostrup eine Außen-
der Westersteder Tafel ist. Insgesamt gibt es in Deutschland 2000 Ausgabestellen der Tafeln. „Tafel“ist ein geschützter Name, neben den Tafeln gibt es zahlreiche Lebensmittelausgaben mit anderen Namen, im Ammerland heißen sie zum Beispiel „Tischlein deck dich“(Edewecht) oder „Speisekammer“(Rastede). Hans-Ulrich Plehn, 73 Jahre alt, Leiter der Westersteder Tafel, schätzt, dass die Zahl der Lebensmittelausgaben insgesamt bestimmt doppelt so hoch ist wie die Zahl der im Bundesverband organisierten Tafeln.
Die genauen Zahlen kennt offenbar niemand, „zu Anzahl und Zusammensetzung des Kundenkreises der Tafeln liegen der Bundesregierung keine Informationen vor“, heißt es etwa auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag. Auch der Verband der Tafeln muss passen.
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HANS-P,T,R T.: „Da wurde ganz viel kaputt gemacht durch diese Unruhen.“ING, T.: „Die alten Leute haben sich regelrecht verabschiedet von uns: ,Ich komme in Zukunft nicht mehr.‘“GABI S.: „Manche sagten: ,Ich habe Angst hier.‘“M,CHTHILD L: „Und wir, wir hatten auch Angst.“ING, T.: „Das war immer ganz wichtig, dass auch ein Mann dabei war.“
GABI S.: „Die haben uns Ausländerfeindlichkeit unterstellt. Mich hat das sehr verletzt.“ING, T.: „Wir haben uns gefragt: Womit haben wir das eigentlich verdient?“
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Nachbarn beschwerten sich. Gesprächsversuche scheiterten. Hans-Peter und Inge T., Mechthild L. und Gabi S. wurde es zu viel; sie entschieden sich, ihre Arbeit einzustellen. Hans-Ulrich Plehn, der Tafelchef, verlor auf einen Schlag sein halbes Rostruper Team. Es gab ein gemeinsames Abschiedsessen, am 7. März 2015 schloss er die Ausgabestelle für etwa vier Wochen.
Plehn konnte die Lage in Rostrup mithilfe der Gemeindeverwaltung beruhigen. Die Tafel ist inzwischen in neue Räume umgezogen: größer und heller, die Helfer geben die Lebensmittel jetzt in einem Werkraum der Grundschule Rostrup aus. Die Sozialbehörden führten Gespräche mit jungen Männern, die in Rostrup als besonders aufdringlich identifiziert werden konnten; sie erklärten ihnen, was die Tafel ist und wie sie funktioniert.
In Rostrup und Westerstede hängen jetzt außerdem die Tafel-Regeln aus, Plehn nennt sie „Die zehn Gebote“. Die Tafel-Besucher sollen zum Beispiel so etwas wissen: „Die Tafel ist keine staatliche Stelle, sondern eine freiwillige Einstelle
richtung von ehrenamtlichen Mitarbeitern, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Hilfsbedürftigen das Leben zu erleichtern.“
Die Regeln hängen da in zehn Sprachen aus, darunter Arabisch, Persisch, Kurdisch, Serbisch, Mazedonisch.
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HANS-P,T,R T.: „Die Männer haben uns das Gefühl gegeben, wir sind ein staatlicher Laden.“ING, T.: „Ständig hieß es: ,Wir haben das Recht‘ oder ,Sie müssen‘.“M,CHTHILD L.: „Erinnert ihr euch? Ein Mann sagte immer nur: Rin! Rin! Rin!“GABI S.: „Manche wurden richtig böse, wenn wir denen nicht das gegeben haben, was sie haben wollten.“
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War das nur ein Rostruper Problem? Oder ein Essener? In einer entsprechenden Anfrage der Linken an die Bundesregierung heißt es: „Auch für Geflüchtete sind die Tafeln oft eine erste Anlaufstelle. Im Jahr 2015 war der Anlauf so groß, dass die Helferinnen und Helfer am Rande ihrer Belastbarkeit arbeiteten, sich zugleich aber auch der oftmals fremdenfeindlichen Anfeindungen erwehren mussten.“
Der Bundesverband „Die Tafel Deutschland“sagt: „Sehr viele Tafeln sind mit einem sehr starken Kundenanstieg konfrontiert. Die Lösungsansätze sind hier ganz verschieden und liegen im Ermessen der lokalen Tafeln. Sie reichen vom Rotationsverfahren über Öffnungszeiten für einzelne Gruppen bis hin zur generellen Aufnahmepause.“
Als die Tafel in Essen wegen der Probleme einen Aufnahmestopp für Ausländer verkündete und damit bundesweit Empörung auslöste, fragten viele Lokaljournalisten bei ihren Tafeln vor Ort nach. Gab es bei Ihnen auch solche Probleme? Wenn sie überhaupt Antworten bekamen, fielen die zumeist zurückhaltend aus. Die Tafel in Wildeshausen berichtete der Ð, „als die Zahl der Flüchtlinge an der Ausgabestelle be- sonders hoch war, hätten sich ähnliche Probleme wie in Essen angedeutet“. Man habe aber „rechtzeitig“eingreifen können.
Am deutlichsten äußert sich Manfred Jabs, 64 Jahre alt, Leiter der Tafel in Bremerhaven und Landesvorsitzender der Tafeln in Niedersachsen und Bremen. Er sagt: „Viele Tafeln hatten und haben damit zu kämpfen!“Er weiß von Ausgabestellen in Berlin, die Security-Firmen beauftragen mussten, um die Sicherheit der älteren Bedürftigen gewährleisten zu können. Er selbst habe in Bremerhaven Aufpasser vor der Tür stehen, „zwei große und kräftige Ehrenamtliche“.
Hans-Ulrich Plehn sagt, auch in Westerstede habe es zeitweise Unruhe gegeben, „aber nicht so extrem wie in Rostrup“.
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ING, T.: „Diese RassismusVorwürfe gegen die Mitarbeiter in Essen, die haben mich sehr geärgert.“GABI S.: „Das ist so billig. Dabei haben diese Leute so viel Menschliches getan in den vergangenen Jahren.“HANS-P,T,R T.: „Rassismus ist so ein krasser Vorwurf, da platzt einem ja die Birne!“ING, T.: „Ich hätte denen in Essen gern aufmunternd auf die Schulter geklopft.“
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Die vier ehrenamtlichen Mitarbeiter wollen ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen. In Essen haben Unbekannte die Lebensmitteltransporter der Tafel mit dem Wort „Nazis“beschmiert. Sogar die Kanzlerin rüffelte die Essener Tafel-Mitarbeiter öffentlich.
Hans-Ulrich Plehn sagt, in Rostrup liege das Verhältnis von Deutschen zu Ausländern jetzt bei 30 zu 70. Die Nachfrage sei immer noch groß, etwa 80 bis 90 Bedürftige kämen jetzt jeden Samstag. „Aber alles ist gut“, sagt er, „es herrscht Ruhe, es läuft.“
Er sagt aber auch: „Die, die damals weggeblieben sind, diese ganzen alleinstehenden älteren Frauen, die sind nicht wiedergekommen.“