PAbscheuliches Videokunstwerk“
Schriftsteller Martin Mosebach über die 21 Märtyrer von Sirte
FRAGE: Herr Mosebach, was hat Sie dazu bewogen, über die 21 Märtyrer von Sirte ein Buch zu schreiben? MOSEBACH: Es waren die Bilder von diesem Martyrium. An erster Stelle stand das Foto des abgetrennten Kopfes des toten Kiryollos. Und dann gab es das Video, das die Mörder hergestellt haben. Es war ein, man möchte sagen: künstlerisch, mit Formabsicht hergestelltes Video. Mit mehreren Kameras aufgenommen, farblich gestaltet, choreographiert, mit einer Schiene, die an den Opfern entlang gelegt war, die da knieten, für die Kamerafahrt. Man hatte darauf geachtet, dass die Henker einen Kopf größer waren als die zum Tode Bestimmten. Ein abscheuliches VideoKunstwerk, das aber zugleich Realität zeigte: ein Dokument, das die Standhaftigkeit derjenigen zeigt, die da geköpft werden sollen und zum Schluss ihr Bekenntnis zu Jesus Christus vernehmlich ablegen. FRAGE: In der westlichen Kirche ist die Vorstellung des Martyriums, salopp gesagt, aus der Mode ge+ommen, obwohl es im vergangenen ,ahrhundert wohl weltweit mehr christliche Märtyrer gegeben hat als in allen vorangegangenen ,ahrhunderten. -orau. .ühren Sie diesen unterschiedlichen /ugang im Osten und -esten zurüc+? MOSEBACH: Tatsächlich löst das Phänomen des Märtyrers, der ganz bewusst für Christus leidet, eine gewisse Verlegenheit in der gegenwärtigen Welt aus. Da tritt eine Unbedingtheit des Bekenntnisses hervor, die uns irgendwie ein bisschen peinlich ist. In einer Welt, in der Dialog, Toleranz, Konsens, Kompromiss bis hin zum Indifferentismus große soziale Werte sind, wirkt derjenige, der bis zum Tod bei seiner Sache bleibt, eigentümlich starrsinnig, unbeweglich, fanatisch, fast bedauernswert vernagelt – kein wirkliches Vorbild. Aber für die Christen der frühen Jahrhunderte besaßen die Märtyrer eine ganz eminente Funktion. Märtyrer gab es bereits, bevor es das Neue Testament gab. Die Evangelisten haben eigentlich nichts anderes getan, als den Glauben der Märtyrer aufgeschrieben und waren selbst Märtyrer. Dieser Glaube der Märtyrer ist der Maßstab, an dem sich auch die moderne Bibelexegese messen lassen muss. FRAGE: 5nserer Vätergeneration hat die 6S-Ideologie eingeredet, sie op.erten sich. Heute behaupten die 7schihadisten, sie seien Märtyrer und +ämen ins 8aradies. Kann es gelingen, den christlichen Martyriums-Begri.., nachdem er ideologisch oder politisch besetzt und damit e3trem dis+reditiert wurde, wieder neu zu de.inieren? MOSEBACH: Daran führt kein Weg vorbei. Denn Märtyrer heißt ja nichts anderes als Zeuge. Und Zeugnis heißt in diesem Fall: Zeugnis ablegen für den Gottmenschen, der gelitten hat. Natürlich gibt es inzwischen die islamistische Pervertierung des MärtyrerBegriffs: Mörder und Selbstmordattentäter werden mit diesem Titel geehrt. Aber die Christen haben den Begriff nun einmal erfunden, und sie sollten auf dem Recht bestehen, ihn in ihrer Weise zu gebrauchen. FRAGE: 9lauben Sie, dass die 21 ein Bewusstsein von ihrem Martyrium hatten, oder haben
sie sich sozusagen ein.ach im 9ebet 9ott überantwortet und über ihre eigene 2olle nicht geredet? Oder waren sie gleichsam +onditioniert von ihrer 9emeinde und in diese Vorstellung eingebettet? MOSEBACH: Es wurde mir immer wieder gesagt: Das sind die Märtyrer, und wir sind stolz auf sie. Aber wir alle sind dazu bereit, Märtyrer zu sein. Der Erzbischof dieser Diözese sagte mir: „Hier lebt kein einziger Kopte, der bereit wäre, seinen Glauben zu verraten.“Ein großes Wort, es lässt sich nicht nachprüfen, war aber mit Überzeugung gesprochen. Und eines stimmt: Die Märtyrer, diese kleinen Bauern haben wirklich in einem sehr hohen Maß ein liturgisches Leben geführt. Die Liturgie hat in ihrem Leben eine sehr große Rolle gespielt, und sie waren daran auch ausführend beteiligt als bischöflich bestallte Hymnensänger, die diese langen Litaneien und Hymnen auswendig vorgetragen haben. Und die Priester, die diese Menschen in Libyen besucht hatten, als sie noch nicht gefangen waren, haben mir gesagt, dass sie den großen Raum, in dem sie alle zusammen auf dem Boden geschlafen haben, in eine Kirche verwandelt hätten, wo sie jeden Abend gesungen und gebetet haben. FRAGE: Sie haben eine ganz eigene 0orm des /ugangs ge.unden, mit 1lementen aus 2eportage und 2e.le3ion und 4nalyse. -ürden Sie das als eine moderne 0orm von Hagiographie, also von Heiligengeschichte, bezeichnen? MOSEBACH: Ja, jedenfalls keine reine Form von Hagiographie, weil ich immer versucht habe, der Skepsis auch einen Platz zu lassen. Die gehört ja eigentlich in die Hagiographie nicht herein. Hagiographie im strengen Sinne ist eine Schrift gewordene Ikone. Das ist mein Buch nicht. Eher ein tastender Versuch, den Toten näherzukommen durch Betrachtung ihrer Lebensumstände, die es nicht zu idealisieren galt. Mein Grundsatz war, über das, was ich hörte und sah, nicht zu urteilen, sondern es dem Leser anheim zu stellen, wie er sich dazu stellen möchte. Zum Beispiel in der Frage der vielen Wundererzählungen – die koptische Kirche ist nicht zu denken ohne einen sehr starken Wunderglauben, der sich keineswegs nur auf die Vergangenheit bezieht. Überhaupt erscheinen Vergangenheit und Gegenwart nicht so stark voneinander geschieden. Es gibt nicht diese Kluft zwischen unserer Gegenwart und der biblischen Zeit, die wir so stark empfinden.
Martin Mosebach: Die 21. Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer, Rowohlt, 272 Seiten, 20 Euro.