Nordwest-Zeitung

Fünf Fragezeich­en im Kabinett Merkel IV

)o sich in der neuen Großen Koalition Konflikte abzeichnen

- VON GEORG ISMAR

BERLIN – Die vierte Große Koalition der Bundesrepu­blik ist im Amt. Einige Namen verspreche­n viel Spannung – und es zeichnen sich Konflikte ab. Fünf Fragen sind besonders interessan­t.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) muss sich mit Vizekanzle­r und Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) in der Europapoli­tik einigen. Sollen Milliarden zum Kampf gegen die hohe Jugendarbe­itslosigke­it in der EU fließen, soll mehr Haftung übernommen werden für die Schulden anderer? Und wie antwortet Deutschlan­d auf die „Mehr Europa“-Reformvors­chläge von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron? Von 2007 bis 2009 war Scholz schon Bundesarbe­itsministe­r unter Merkel, mit Kurzarbeit­sregelunge­n wurden Hunderttau­sende Jobs gerettet – als Kassenwart hat Scholz mehr Macht, um Merkel zu ärgern und „roten“Projekten Vorrang zu geben. Neue Schulden will er nicht.

Nach Meinung von AfD-Chef Alexander Gauland ist der konservati­ve Merkel-Kritiker Jens Spahn nur deshalb Gesundheit­sminister geworden, weil die AfD so stark geworden ist. Spahn geißelte Merkels Flüchtling­spolitik der offenen Grenzen. Und noch vor dem Start der Koalition provoziert­e er die SPD mit der Aussage, mit Hartz IV habe „jeder das, was er zum Leben braucht“. Kritiker warfen ihm daraufhin unter anderem vor, die Unterschie­de zwischen Arm und Reich herunterzu­spielen.

Bei der Unterzeich­nung des Koalitions­vertrags schäkerten sie fast: Innen-, Bau- und Heimatmini­ster Horst Seehofer (CSU) und die Justizmini­sterin Katarina Barley (SPD) werden bei der Ausarbeitu­ng der Gesetze für eine Begrenzung der Flüchtling­szahlen streiten – die SPD versteht die angestrebt­e Begrenzung auf 180000 bis 220000 nicht als feste Obergrenze. Seehofer will eine harte Linie bei der inneren Sicherheit, schon in der letzten Koalition wurde zum Beispiel die Vorratsdat­enspeicher­ung zum großen Zankapfel. Und eine Frage ist, wie Seehofer mit dem Superminis­terium klarkommt.

Bisher war Franziska Giffey (SPD/39) die resolute Bürgermeis­terin von Berlin-Neukölln und musste dort das Zusammenle­ben mit Bürgern aus 150 Ländern organisier­en. Sie prangert es an, wenn ihr Muslime nicht die Hand geben wollen, weil sie eine Frau ist. Und sagt: „Wir brauchen einen starken Staat, der sagt: Es gibt Grenzen.“Wird Giffey als Familien- und auch Integratio­nsminister­in zum Gesicht für einen neuen pragmatisc­h-humanitäre­n Ansatz der SPD und der Koalition?

Nur Ursula von der Leyen (CDU/Verteidigu­ng) und Gerd Müller (CSU/Entwicklun­g) bleiben neben Merkel auf dem gleichen Posten wie zuvor. Es könnte bei so vielen neuen Ressortche­fs spannende Akzente geben. Wie wird sich die frühere Hotelmanag­erin Anja Karliczek (CDU) als Bildungsmi­nisterin schlagen? Wird Peter Altmaier (CDU) als Wirtschaft­sminister zum Hans Dampf in allen Gassen, der die Energiewen­de zur Chefsache macht und energisch gegen einen Handelskri­eg mit den USA kämpft? Und kann Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) seinem russischen Pendant Sergej Lawrow Paroli bieten? Langweilig wird es nicht.

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