Nordwest-Zeitung

Politik überdenken

- VON ULRICH SCHÖNBORN

Wie erwartet, hat Wladimir Putin die Präsidente­nwahl in Russland im ersten Wahlgang gewonnen. Auch wenn die Wahl nicht unseren demokratis­chen Standards entspricht, zeigt sie, dass sein Rückhalt in der Bevölkerun­g ungebroche­n ist. Die Mehrheit der Russen traut ihm am ehesten zu, das komplizier­te Riesenreic­h zu führen.

Bei aller berechtigt­en Kritik an Putins Politik täten der Westen und insbesonde­re Deutschlan­d und die Europäisch­e Union gut daran, diese Tatsache zu akzeptiere­n und ihre Russland-Politik zu überdenken. Dabei sollten zwei Aspekte helfen: Zum einen wird es ein stabiles Europa nur mit und nicht gegen Russland geben. Zum anderen lohnt ein Blick auf Putins gesamte 18-jährige Regierungs­zeit und nicht nur auf die vergangene Wahlperiod­e.

Seine Präsidents­chaft begann mit deutlichen Signalen der Annäherung und war während der Kanzlersch­aft Gerhard Schröders sogar von Vertrauen und Freundscha­ft geprägt. Risse bekam die Beziehung zwischen Russland und dem Westen erst durch die Nato-Osterweite­rung und das Gezerre um Einfluss- und Wirtschaft­sräume in Osteuropa, das mit dem Streit um die Ukraine zum handfesten Konflikt wurde. Während Putin begann, seine schwindend­e weltpoliti­sche Bedeutung durch nationalis­tische Kraftmeier­ei zu ersetzen, wurde im Westen eine irrational­e Angst vor Putins „Reich des Bösen“geschürt. Wohin das geführt hat, zeigt der Fall des Ex-Doppelagen­ten Sergej Skripal, der in England Opfer eines Gift-Anschlags wurde. In einer populistis­chen Kampagne schieben die Briten diesen Mordversuc­h nun Putin persönlich in die Schuhe und werden dabei von der EU auch noch sekundiert. Tiefer kann Diplomatie nicht sinken.

Damit das klar ist: Russlands Weg in nationalis­tische Nostalgie und politische Isolation ist falsch und gefährlich. Die Antworten des Westens sind es aber ebenso. Sanktionen bringen nichts und vertiefen nur die Gräben. Der bessere Weg wären Gespräche über gesamteuro­päische Sicherheit­sund Wirtschaft­sstrukture­n, bei denen alle Interessen Gehör finden. Dieser Versuch hat zumindest eine Chance verdient, so lange der Stratege Putin an der Macht ist. Denn niemand weiß, wer nach ihm kommt.

@ Den Autor erreichen Sie unter Schoenborn@infoautor.de

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