Überparteili$h, aber ni$ht neutral
PORTRÄT Seit einem Jahr ist Frank-Walter Steinmeier Bundespräsident
Der Termin in Mainz ist ganz bewusst gewählt, die Rede an diesem Montag auch ein Stück Rückblick auf das erste Jahr im Amt. Es ist die letzte Etappe von FrankWalter Steinmeiers Deutschlandtour durch die Republik mit Stationen in allen Bundesländern. „Wir müssen wieder lernen, für die Demokratie zu streiten“, hatte Steinmeier am 19. März 2017 gefordert, als er das Amt des Bundespräsidenten von Joachim Gauck übernommen hatte, und gemahnt, entschlossen für diese historischen Errungenschaften, für Einigkeit und Recht und Freiheit einzutreten, sie „mit Leben zu füllen und zu verteidigen, jeden Tag auf Neue“.
Genau ein Jahr später, wird er es wieder tun, aber er wird vor allem auch eine Lanze für diejenigen brechen, die politische Verantwortung übernehmen. Es seien eben auch die gewählten Politikerinnen und Politiker, auf die es ankomme, so Steinmeier. „Wir brauchen auch Politikerinnen und Poliren.
tiker, die regieren wollen und bereit sind, die dafür unvermeidlichen Kompromisse einzugehen, und wir brauchen sie in allen demokratischen Parteien.“Steinmeier sieht seine Rolle als Mutmacher und Anwalt der Demokratie.
Hatte er sich anfangs aus dem politischen Tagesgeschäft herausgehalten, zögerte er nicht, als die Sondierungen für ein Jamaika-Regierungsbündnis gescheitert wa- „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält“, appellierte Steinmeier vor allem auch an die SPD, sich Verhandlungen über eine Große Koalition nicht zu entziehen. Und die Sozialdemokraten lenkten ein. Nach der Vereidigung der Minister mahnte Steinmeier erneut: „Die Regierung ist gut beraten, genau hinzuhören und hinzuschauen, auch auf die alltäglichen Konflikte im Land, fern der Weltpolitik, wo Gewissheiten geschwunden sind und das Leben schwieriger geworden ist.“
Der Wechsel von seinem Büro im Auswärtigen Amt hinüber ins Schloss Bellevue im Berliner Tiergarten sei eine deutlich größere Umstellung gewesen, als er gedacht habe, räumte Steinmeier kurz nach Amtsantritt noch ein. Zurückhaltend bis vorsichtig empfanden Beobachter seine ersten Wochen. Routiniert wirkten seine ersten Auftritte zwar, aber ohne Glanz.
Immerhin: Gut 20 Länder hat er bereits als Staatsoberhaupt besucht. Doch will Steinmeier nicht weiter den Außenminister geben. Schließlich sind die Themenfelder deutlich größer und Gesprächspartner vielfältiger. Statt Washington heißt es heute eher Duisburg-Marxloh. An der Seite von First Lady Elke Büdenbender gibt er den Bürgerpräsidenten, der vor allem zuhören will.
Doch schon jetzt hat Steinmeier klargemacht, dass er sich auch in seiner neuen Rolle einmischen will. Überparteilich werde er im neuen Amt zwar sein, aber nicht neutral, wenn es um die Sache der Demokratie gehe und um Europa, versprach der erste Mann im Staate, und hat es bereits unter Beweis gestellt. Waren Steinmeiers Popularitätswerte bereits als Außenminister weit oben, sind sie jetzt noch einmal gestiegen, die Bürger sind offenbar mit seiner Arbeit hochzufrieden.
Steinmeier will nicht nur den Grüßonkel geben, sondern eigene Akzente setzen. Und die nächste Krise – in der Großen Koalition oder andernorts – kommt bestimmt.