Nordwest-Zeitung

Am liebsten wäre er wieder in Moskau

Fritz Pleitgen wird 80 Jahre alt – Auslandsko­rresponden­t und WDR-Intendant

- VON CHRISTOPH DRIESSEN

Er wirkt viel jünger und hat noch ganz viel vor – ein Besuch bei Fritz Pleitgen in Bergisch Gladbach bei Köln.

KÖLN – Fritz Pleitgen braucht keine Klingel, denn bevor man gedrückt hat, schlägt der Hund an. Es muss ein ziemlich großes Tier sein. Man hört lautes Gebell, dann eine Frauenstim­me, dann nichts mehr. Einige Zeit später öffnet sich die Tür, und Pleitgen steht da mit Handy am Ohr. Wie sich herausstel­lt, ist ihm beim Schreiben einer Rede der Computer abgestürzt. Jetzt braucht er Hilfe.

Recht bescheiden

Er scheint aber nicht unerfreut über die Unterbrech­ung. In seinem Arbeitszim­mer liegen überall ausgedruck­te Seiten. Noch eben kurz ein weißes Hemd und ein Sakko fürs Foto, dann ist er fertig und beginnt zu erzählen. Seine Stimme hört sich noch immer genauso an wie damals, tief in den 70er Jahren, als er sich mit Pelzkappe auf dem Kopf aus Moskau meldete.

Während er spricht, sitzt er vor einem Bücherrega­l, dessen Inhalt von seinem Reporterle­ben zeugt. Die Bücher beschäftig­en sich vorzugswei­se

mit Russland und den USA. Dazwischen das Handbuch „Gartenteic­he“. Auf Repräsenta­tion ist diese Bücherwand nicht ausgericht­et, so wie das unauffälli­ge Eigenheim in Bergisch Gladbach bei Köln überhaupt recht bescheiden wirkt. Zumindest in Anbetracht der Tatsache, dass Pleitgen nach seiner Korrespond­ententätig­keit noch Hörfunkdir­ektor und zwei Mal Intendant seines Haussender­s WDR war.

Pleitgen wird am 21. März 80. Er sieht jünger aus und bewegt sich nicht wie ein alter Mann. Aber hundertpro­zentig fit ist er nicht mehr. Den Plan, seine Memoiren zu schreiben, musste er wegen einer Herzmuskel­entzündung aufgeben. Über seinen Geburtstag hat er zum allererste­n Mal in seinem Leben einen Erholungsu­rlaub geplant. Er fliegt in den Oman. Achtung, Einbrecher: Das Haus steht in dieser Zeit nicht leer. „Zwei Studenten und unser wachsamer 50-Kilo-Hund passen auf.“

Im Urlaub muss er ein paar Bücher lesen, die er zu Weihnachte­n geschenkt bekommen hat. Auch da geht es wieder entweder um Russland oder um Heinrich Böll. Mit Böll verband ihn die Freundscha­ft zu dem russischen Dissidente­n Lew Kopelew (1912– 1997). Heute ist sein Sohn Frederik Pleitgen ebenfalls Moskau-Korrespond­ent – für CNN. „Drolligerw­eise wohnt er im selben Haus wie wir damals.“

„Wir haben ein gutes kollegiale­s Verhältnis“, sagt er über sich und seinen Sohn. „Jeder respektier­t die Position des Anderen. Er ist CNN und ich öffentlich-rechtlich. Er ist ein viel besserer Livereport­er als ich es je war, dafür verstehe ich mehr vom Filmemache­n.“Stichwort Moskau: „Ich beneide ihn darum. Ich würde gerne ein Feature über diese Stadt machen.“

Mit 50-Kilo-Hund

Fritz Pleitgen schaut aus dem Fenster. Er erzählt von seiner Jugend im Ruhrgebiet, als die Bomben fielen. Von seinen ersten Gehversuch­en als Journalist, dem Wechsel zum WDR. „Die Bundesrepu­blik hat sich im Laufe der Jahrzehnte enorm zu ihrem Vorteil entwickelt“, meint er. „Wir waren früher nicht das weltoffene und aufgeschlo­ssene Volk von heute, sondern eher spießig.“Zu dieser Öffnung, so glaubt er, hat auch das Fernsehen seinen Teil beigetrage­n.

Nun muss er aber noch mal ran an die Rede, die ihm auf dem Computer mittags abgestürzt ist. „Wissen Sie, wie Sie jetzt zurückkomm­en?“, fragt er noch. „Einfach immer auf den Dom zufahren!“Er grinst und schließt die Tür. Und der 50-Kilo-Hund? Hat sich dünne gemacht.

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BILD: ROLAND SCHEIDEMAN­N Der Sohn arbeitet in Moskau: Fritz Pleitgen in seiner Wohnung

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