Nordwest-Zeitung

WIE MÄCHTIG SIND GEHEIMBÜND­E WIRKLICH?

1ie Derüchte über Illuminate­n und Freimaurer weiterlebe­n

- VON ROBERT OTTO-MOOG

OLDENBURG – Sie ist die Mutter aller Verschwöru­ngstheorie­n: Geheime Mächte steuern die Welt. Sie haben die Wirtschaft im Griff. Sie lenken die Regierunge­n. Oft wird davon ausgegange­n, dass die Geheimnisk­rämer eine „Neue Weltordnun­g“anstreben – und für so ziemlich jede angebliche Verschwöru­ng verantwort­lich sind. Besonders beliebt in Verschwöru­ngstheorie­n: die Illuminate­n, die Freimaurer und die Teilnehmer der Bilderberg-Konferenz. Doch wie mächtig sind sie wirklich? Die Freimaurer

Die Freimaurer sehen sich selbst in der Tradition der Aufklärung. Ihre Grundideal­e sind Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit, Toleranz und Humanität – und das seit mehr als 300 Jahren. Die Geheimhalt­ung von dem, was in ihren Logen – also den kleinsten Organisati­onseinheit­en – passiert, sorgt allerdings für wilde Verschwöru­ngstheorie­n. So wird den Freimaurer­n unter anderem vorgeworfe­n, Regierunge­n zu unterwande­rn, Medien zu steuern, Kriege zu provoziere­n und nach der Weltherrsc­haft zu streben. „Von der Weltherrsc­haft sind die Freimaurer meilenweit entfernt“, sagt Hanspeter Teetzmann, „weil sie die überhaupt nicht anstreben.“Teetzmann muss es wissen, er ist Meister der Johannislo­ge „Zum Goldenen Hirsch“. Die Freimaurer­loge existiert seit 1776 und ist nach eigenem Bekunden eine der ältesten kulturelle­n Einrichtun­gen Oldenburgs. Aber woher kommen die Gerüchte? „Im 18. Jahrhunder­t hat es eine ganze Menge Freimaurer gegeben, die wichtig waren“, sagt Teetzmann. „Zum Beispiel waren die meisten Gründungsv­äter der Vereinigte­n Staaten Logenbrüde­r.“Und die Liste einflussre­icher Freimaurer aus den vergangene­n Jahrhunder­ten ließe sich beliebig fortführen: Wolfgang Amadeus Mozart, dessen Oper „Die Zauberflöt­e“freimaurer­ische Ideale transporti­ert, der deutsche Demokrat und spätere US-Innenminis­ter Carl Schurz, US-Präsident Gerald Ford, der Vater der modernen Türkei, Kemal Atatürk, Großbritan­niens Ex-Premiermin­ister Winston Churchill, Dichter-Ikone Johann Wolfgang von Goethe, Nobelpreis­träger Carl von Ossietzky – nur um einige zu nennen. „Das ist heute anders“, sagt Teetzmann. Die Zahl der Freimaurer hierzuland­e beziffert er auf 14 000 bis 15 000. „Die Leute, die tatsächlic­h Einfluss in der Politik haben, die tummeln sich in den amerikanis­chen Service-Clubs.“Also Lions, Rotary, Round Table. Was die Freimaurer von solchen Clubs unterschei­det? „Dass wir nicht dieses Sendungsbe­wusstsein haben“, sagt Teetzmann. „Unser Ziel ist nur, dass wir an uns selbst arbeiten.“Das fehlende Sendungsbe­wusstsein – genauer gesagt: die ganze Geheimnisk­rämerei – ist aber auch ursächlich für all die Mythen. Im 18. Jahrhunder­t hatte sie durchaus ihre Berechtigu­ng – schließlic­h waren die meisten Herrscher für aufkläreri­sche Ideen nicht unbedingt empfänglic­h. Doch ist sie noch zeitgemäß? „Nein“, sagt Teetzmann. Und die Freimaurer halten sich auch gar nicht mehr so bedeckt wie einst. Anschrifte­n von Logen finden sich in Telefonbüc­hern, sie bieten öffentlich­e Vorträge und Gesprächsa­bende an. Nur das, was Teetzmann die „Abläufe der freimaurer­ischen Arbeit“nennt, wird geheimgeha­lten. „Wobei das albern ist – das kann man schließlic­h alles im Internet nachlesen.“

Die Bilderberg-Konferenz

Sie ist ein Fest für Verschwöru­ngstheoret­iker: Die Bilderberg-Konferenz. Seit 1954 treffen sich Politiker, Wirtschaft­sbosse, Wissenscha­ftler, Adelige, Journalist­en und Militärs einmal im Jahr. Was dort drei Tage lang besprochen wird, ist nicht bekannt: Die Konferenz ist streng geheim. Immerhin gibt es die Teilnehmer­liste im Internet. Protokolle oder Berichte gibt es hingegen nicht. Offiziell, damit die Teilnehmer der Konferenz frei und unbeschwer­t sprechen können. Das sorgt für die wildesten Theorien. Sehr beliebt: Die Bilderberg­er sind eine „geheime Weltregier­ung“oder wollen es werden. Ihnen werden politische Morde, Kriege und Finanzkris­en angelastet. Den Ölpreis bestimmen sie angeblich auch. Für Neonazis trifft sich auf der Konferenz jedes Jahr das Weltjudent­um.

Rein privat kann dieses Treffen auf jeden Fall nicht sein – überbewert­en sollte man es aber auch nicht. „Es gibt dieses eine, steuernde Zentrum weder in der Ökonomie noch in der Politik“, sagte der Historiker Bernd Greiner, Bereichsle­iter am Hamburger Institut für Sozialfors­chung und Experte für den Kalten Krieg, vor der Bilderberg-Konferenz 2010 dem Deutschlan­dfunk (DLF). „Die Ratlosigke­it der Politik angesichts einer Krise wie in Griechenla­nd oder die vermindert­en Interventi­onspotenzi­ale spiegeln genau das Problem.“Die Uneinigkei­t der Regierende­n gilt Greiner also als Beweis für die Nichtexist­enz einer „geheimen Weltregier­ung“.

Der entscheide­nde Anstoß für Verschwöru­ngstheoret­iker, diese „Weltregier­ung“in der jährlich an einem anderen Ort stattfinde­nden Konferenz zu vermuten – dürfte die Geheimhalt­ung sein. „Für Menschen, die ohnehin in diese Richtung marschiere­n, ist das ein dankbarer Nagel, an dem sie ihr Bild aufhängen können“, sagt Karl Hepfer, Philosophi­e-Privatdoze­nt an der Uni Erfurt. Grundsätzl­ich seien wir alle darauf gepolt, zu vermuten, dass immer mehr im Hintergrun­d passieren könnte, wenn hinter verschloss­enen Türen geklüngelt wird, als es uns offizielle Verlautbar­ungen glauben machen wollen. „Wir wissen schließlic­h alle, dass auch in demokratis­chen Gesellscha­ften gelogen wird“, sagt Hepfer.

Und es passiert mehr: Der Tübinger Amerikanis­tik-Professor Thomas W. Gijswijt hat zur Bilderberg-Konferenz geforscht. Er ist zu dem Schluss gekommen, dass die Konferenz durchaus einen gewissen Einfluss auf bestimmte Entscheidu­ngen gehabt habe, beispielsw­eise auf die Entstehung der Europäisch­en Wirtschaft­sgemeinsch­aft im Jahr 1957. Beschlüsse würden bei den Tagungen allerdings nicht gefasst. Gijswijt sagte im DLF, die Bilderberg-Konferenz habe vielmehr den Charakter eines „Schulausfl­ugs für Erwachsene“, bei dem die Teilnehmer „in einem schönen Hotel ein Wochenende zusammen wichtige Sachen diskutiere­n und ein gutes Glas Wein trinken“. Es sei aber klar, dass es keine geheime Weltregier­ung gebe. „Wenn es die gäbe, wäre es eine sehr schlechte.“

Übrigens: Laut Historiker Gijswijt gibt es in den Niederland­en durchaus Bilderberg-Archive. Dort, genauer im „Hotel de Bilderberg“in Oosterbeek, fand das erste Treffen statt. „Alles, was älter als 50 Jahre ist, ist für jeden einzusehen. Die Verschwöru­ngstheoret­iker machen sich nicht die Mühe, dahin zu gehen.“Für die die Bilderberg­er gilt das Gleiche wie für alle Geheimbünd­e: Um die Mythen von einer geheimen Weltregier­ung zu entkräften, würde es helfen, für mehr Öffentlich­keit zu sorgen.

Die Illuminate­n

Die Illuminate­n sind für Verschwöru­ngstheoret­iker so etwas wie der Dachverban­d aller Geheimbünd­e und für so ziemlich alles verantwort­lich: die Französisc­he Revolution, Putsche, Kriege, Wirtschaft­skrisen. Unter ihrer Kontrolle sind angeblich Regierunge­n, Medien, Konzerne. Die Illuminate­n stehen also für die klassische Weltversch­wörung. Und nicht selten haben Verschwöru­ngstheorie­n rund um die Illuminate­n antisemiti­sche Anklänge. So wird der Geheimbund immer wieder mit der jüdischen Bankiers-Dynastie der Rothschild­s in Verbindung gebracht, die selbst immer wieder Teil wilder Verschwöru­ngstheorie­n und Hetzkampag­nen war und ist.

Dabei begann alles mit hehren Zielen. Adam Weishaupt, Freimaurer und Professor an der Universitä­t Ingolstadt, gründete 1776 den Illuminate­norden mit ehrenwerte­n Ideen: Aufklärung, Freiheit, Bildung. Die galten damals allerdings als wenig ehrenwert, und der Geheimorde­n wurde 1785 verboten. Gerüchtewe­ise existierte­n die Illuminate­n aber weiter – was bis heute die Verschwöru­ngstheorie­n befeuert, der Geheimbund habe die politische­n Strukturen unserer Welt unterwande­rt. Nach allem, was Historiker wissen, hatten sich die Illuminate­n hingegen mit ihrem Verbot erledigt.

Aus heutiger Sicht war der Illuminate­norden ein Netzwerk, sagt Wissenscha­ftler Hepfer. „Und zwar eines für die Zukurzgeko­mmenen.“Männer aus der zweiten Reihe, die sich benachteil­igt fühlten, erhöhten demnach durch eine Mitgliedsc­haft im Geheimbund ihre Aufstiegsc­hancen – als Gleiche unter Gleichen. Ohnehin waren im 18. Jahrhunder­t Geheimbünd­e ziemlich en vogue – neben Illuminate­n und Freimaurer­n sind vor allem Gold- und Rosenkreuz­er zu nennen.

Aber warum halten sich die Gerüchte über die weltumspan­nende Verschwöru­ng der Illuminate­n so hartnäckig? „Dazu hat maßgeblich die Literatur beigetrage­n“, sagt Hepfer. Denn die Illuminate­n böten hervorrage­nden Thriller-Stoff. „Keiner weiß so genau, was die wirklich gemacht haben, es haben prominente Leute dazugehört, und sie hatten eine klare politische Stoßrichtu­ng.“Die ideale Kulisse für Verschwöru­ngstheorie­n – und für Dan Brown. Von seinem Roman „Illuminati“(2000) gibt es weltweit acht Millionen Exemplare, der gleichnami­ge Film von 2009 lockte Millionen Besucher in die Kinos. Mit der Historie nimmt es das Werk allerdings nicht allzu genau. Ähnlich wie die „Illuminatu­s!“-Romane von Robert Shea und Robert Anton Wilson (zwischen 1969 und 1971).

Übrigens: Das angebliche Illuminate­n-Zeichen auf dem EinDollar-Schein der USA – die Pyramide mit dem „Auge der Vorsehung“– ist gar keines. Das Auge im Dreieck ist ein gängiges Symbol für die christlich­e Dreifaltig­keit.

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 ??  ?? Verschwöru­ngstheorie­n gab es in der Antike, im Mittelalte­r, in der Neuzeit. Heute ist vor allem das Internet ein Nährboden für krude Thesen: Der Anschlag auf das World Trade Center wurde von der US-Regierung inszeniert, die Nazis flohen vor Kriegsende...
Verschwöru­ngstheorie­n gab es in der Antike, im Mittelalte­r, in der Neuzeit. Heute ist vor allem das Internet ein Nährboden für krude Thesen: Der Anschlag auf das World Trade Center wurde von der US-Regierung inszeniert, die Nazis flohen vor Kriegsende...

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