Nordwest-Zeitung

Blondinen-Witze von der Kanzel

Wieso der Bremer Pastor Jörg Mosig auf Lacher im Gottesdien­st setzt

- VON HELMUT REUTER

Blondinen-Witze im Gottesdien­st? Das ist kein Scherz. Zu Ostern hat das Kalauern in der Kirche Tradition. In Bremen lebt sie weiter.

BREMEN – Wenn Pfarrer Jörg Mosig am Ostersonnt­ag die Kanzel der neugotisch­en Backsteink­irche in Bremer Stadtteil Alt-Hastedt besteigt, weiß die Gemeinde schon, was auf sie zukommt. Das Zwerchfell wird aufs Äußerste strapazier­t, hier und da kullern Tränen vor Lachen. Denn der Theologe erzählt einen Witz nach dem anderen und weiß sich dabei auf dem festen Fundament eines alten Kirchenbra­uchs: das Osterlache­n.

„Es ist schon eine Gratwander­ung Blondinen-Witze mit der Auferstehu­ng zu verbinden“, räumt Mosig ein. „Aber eins ist es nie: Klamauk.“Nach 40-tägiger Fastenzeit feiert die Kirche am Ostersonnt­ag den Höhepunkt ihres wichtigste­n Festes: Die Auferstehu­ng Jesu Christi – wann, wenn nicht dann, gibt es für Christen Grund zur Freunde und zum Lachen. „Das darf

man ruhig spüren“, findet Mosig. Eine kleine Kostproben aus dem Vorjahr: Zwei Blondinen unterhalte­n sich. Sagt die eine: „Ich war beim Schwangers­chaftstest.“Darauf die andere: „Und? Waren die Fragen schwer?“. Nach Blondinen-Witzen erzählt der Pastor, der den Brauch des Osterlache­ns bei Aufenthalt­en an den Unis in Oxford und Durham in England erlebte und mitbrachte, „wegen der Ausgeglich­enheit“meist schnell einen Pastoren- oder Nonnenwitz.

Es ist ein Zitat des Atheisten Friedrich Wilhelm Nietzsche, das den 2004 zum Pastor ordinierte­n Mosig begleitet. Sinngemäß sagte der Philosoph: „Wenn die Christen nur etwas erlöster schauten, würden auch mehr an die Erlösung glauben.“

Zum erlösten Schauen kann das aus dem Mittelalte­r stammende Osterlache­n durchaus beitragen. Aber es war lange Zeit in der Kirche tabuisiert und gar per Erlass verboten. Nicht ohne Grund. Es sei eben übertriebe­n worden, so Mosig.

Es gab Kopfstände auf dem Altar oder wenig kreative „Kuck-Kuck-Rufe“von der Kanzel am Ostersonnt­ag: Klamauk und Gaudi, was wenig,

eigentlich nichts, mit der Freude über die Auferstehu­ng zu tun hat.

Auch beschränkt sich der 49-jährige Bremer Pastor im Ostersonnt­ags-Gottesdien­st, wo auch Taufen und Konfirmati­onen anstehen, bei weitem nicht aufs Witze-Erzählen. In der Predigt legt er natürlich auch das Evangelium aus. „Selig seid ihr, die ihr jetzt weint; denn ihr werdet lachen.“Nur eine Stelle aus dem Lukas-Evangelium.

Martin Luther war kein Freund des Osterlache­ns. Und viele Kirchenleh­rer auch nicht, wie der Bremer Lachforsch­er und emeritiert­e Professor für Kulturgesc­hichte an der Universitä­t Bremen, Rainer Stollmann, weiß. „Augustinus und Thomas von Aquin haben das Osterlache­n aufs Übelste beschimpft und als teuflisch dargestell­t.“Über 1000 Jahre habe praktisch ein Lachverbot geherrscht. Lachen in der Kirche, lachende Mönche – lange Zeit unvorstell­bar.

Das, was Ostersonnt­ag in der 1862 eingeweiht­en Kirche in Alt-Hastedt passiert, würde Stollmann wohl unter die Rubrik „fettes Lachen“einordnen, das was die Franzosen als „gros rire“bezeichnet­en. Dabei handelt es sich um

heftiges Gelächter, ein kaum zu kontrollie­rendes Losprusten. Er spricht von „Anarchie des Körpers“. Befreiend ist das allemal. Keine Probleme mit öffentlich­em Lachen hatte auch das katholisch­e Kirchenobe­rhaupt Papst Johannes XXIII. (1881-1963), auch Papst Franziskus lacht gerne und oft und auch der emeritiert­e Papst Benedikt XVI. ist ein humorvolle­r Mensch. Allerdings sind ihnen Zoten so fremd wie die Osterlitur­gie heilig.

Auch in der evangelisc­hen Alt-Hastedter Gemeinde gibt es drei Tage zuvor eine große Karfreitag­sliturgie mit großem Ernst und theologisc­her Tiefe. Am Ostersonnt­ag wird dann nicht nur gelacht, sondern auch ein weiterer Brauch gepflegt: Das Ostereier-Wettrollen, das Mosig aus Schottland mitbrachte.

Die Schotten lassen Ostereier die Hügel runter rollen. Wessen Ei heil bleibt, der hat gewonnen. Die Ostereier sollen dabei an den Stein erinnern, der vor Jesu Grab lag und weggerollt wurde. Mosig kennt viele derartige Geschichte­n und er erzählt sie gerne.

„Man muss solche Bräuche pflegen. Wenn es sie nicht mehr gibt, entsteht eine große Leere.“

 ?? BILD: MOHSSEN ASSANIMOGH­ADDAM ?? Der Bremer Pastor Jörg Mosig lässt den Brauch des Osterlache­ns wiederaufl­eben. Am Ostersonnt­ag wird er von der Kanzel der Kirche in Hastedt den Gottesdien­stteilnehm­ern Witze erzählen.
BILD: MOHSSEN ASSANIMOGH­ADDAM Der Bremer Pastor Jörg Mosig lässt den Brauch des Osterlache­ns wiederaufl­eben. Am Ostersonnt­ag wird er von der Kanzel der Kirche in Hastedt den Gottesdien­stteilnehm­ern Witze erzählen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany