„Falsches Russlandbild im Kopf“
Alt-Bürgermeister Hinrichs war als Wahlbeobachter in Nischni Nowgorod
FRAGE: Auf Ihrer Rückreise aus Russland am Montag haben Sie sicherlich auch die Vorwürfe deutscher Politiker und Medien gehört, die Präsidentenwahl sei nicht demokratisch gewesen und manipuliert worden. Können Sie diese Vorwürfe bestätigen? HINRICHS: Ich habe nur einen kleinen Ausschnitt der Wahl beobachtet, aus dieser Perspektive kann ich die Vorwürfe aber überhaupt nicht bestätigen. In den sechs Wahllokalen, die ich besucht habe, ist die Abstimmung exzellent gelaufen. Und das sage ich durchaus auch mit meiner 27jährigen Erfahrung als Gemeindedirektor und Bürgermeister, der etliche Wahlen verantwortlich durchgeführt hat. FRAGE: -ie erklären Sie sich diese unterschiedliche -ahrnehmung? HINRICHS: In den Köpfen unserer Gesellschaft gibt es ein falsches Russlandbild mit einer grundsätzlich negativen Haltung. Wenn ich höre, dass es rund 2500 Wahlbeanstandungen gegeben hat, dann muss man das auch in Relation zu den mehr als 100 Millionen Wahlberechtigten in Russland setzen. Wir sind alle Menschen, da passieren auch Fehler. Das aber gleich als Manipulation zu bezeichnen, finde ich leichtfertig. Nicht nur in Russland, sondern auch bei uns gibt es Propaganda. Und viele unserer Politiker und Medien spielen da bereitwillig mit. FRAGE: -ie waren Sie als .eobachter
in den -ahlprozess eingebunden? HINRICHS: Ich wurde zunächst in Moskau akkreditiert und über die Rechte und Pflichten informiert – wobei die Liste meiner Rechte deutlich länger war als die meiner Pflichten. In meinem Einsatzgebiet Nischni Nowgorod hatte ich dann Zutritt zu allen Räumen, Zugriff auf alle Dokumente, Ergebnislisten und Wahlprotokolle, ich konnte an der Beratung über Beschwerden teilnehmen und durfte frei Bilder machen und diese auch veröffentlichen.
FRAGE: -er hatte Sie eingeladen und wer hat die Kosten übernommen? HINRICHS: Als Vorstandsmitglied der deutschen West-OstGesellschaften wurde ich im Namen der Staatsduma der Bundesversammlung der Russischen Föderation von der Stiftung „Russkij Mir“eingeladen. Diese Stiftung hat mir auch meine Reisekosten erstattet. Ich bin mit dieser Einladung aber keine Verpflichtungen eingegangen, bin vorbehaltlos hingefahren und konnte übrigens auch meinen Einsatzort selbst bestimmen – bekam also keine Wahllokale zugeteilt. FRAGE: Im Internet kursierten am /ienstag Videos aus -ahllokalen, in denen -ähler und 0elfer offenbar gleich mehrere Stimmzettel auf einmal in die Urne geworfen haben... HINRICHS: Solche Fälle sind mir nicht bekannt. Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, wie so etwas möglich ist. Es gab 10- bis 15-köpfige Wahlvorstände wie bei uns, Wahlbeobachter auch von den einzelnen Kandidaten als zusätzliche Kontrolle, der Wahlprozess war auch technisch ausgereift. Viele Möglichkeiten zum Schummeln seheichdanicht. FRAGE: -ie kann aus Ihrer Sicht das Verhältnis zwischen /eutschland und Russland verbessert werden? HINRICHS: In meinen Kopf will gar nicht rein, dass wir in eine solche Eiszeit geschlittert sind. Um das Verhältnis wieder zu verbessern, müsste zunächst einmal verbal abgerüstet werden. Wichtig sind Gespräche ohne Vorbedingungen. Politik sollte Brücken bauen und nicht abbrechen. Wir haben zu wenig besonnene Politiker wie einst Willy Brandt und zu viele, die einfach nur auf Konfrontation aus sind. Das gilt natürlich für beide Seiten. FRAGE: -ie stark belastet die politische 1iszeit die zwischenmenschlichen .eziehungen von /eutschen und Russen? HINRICHS: Durch das schlechte politische Klima ist leider auch auf der zivilgesellschaftlichen Ebene viel Vertrauen verloren gegangen.