Nordwest-Zeitung

Tizia L. entkam durch das Toilettenf­enster

Ihren Mann, den Maurer Willi L., tötete sie mit acht Revolver-Schüssen – Sie sollte elf Jahre sitzen

- VON TOBIAS SCHWERDTFE­GER

SH,2st ein fast vier Meter hoher Zaun hinderte die 22-Jährige nicht an der Flucht. Für die Allgemeinh­eit sei sie ungefährli­ch.

VECHTA – Es muss irgendwann zwischen drei und sechs Uhr am Montagmorg­en gewesen sein, als Tizia L. beschließt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für ihre Flucht gekommen ist.

Sie verlässt ihren Haftraum im Erdgeschos­s. Die Treppe rauf. Dort, im Obergescho­ss, sind die Toiletten, außerhalb der Hafträume. Das Schloss, mit dem die kleine Dachluke gesichert ist, stellt für L. offenbar kein Problem dar. In ihrem Leben vor der Haft hat sie an Autos herumgesch­raubt. Sie knackt das Schloss und zwängt sich durch die Öffnung des Toilettenf­ensters hinaus auf das Dach, hinaus in die Freiheit.

Sie hangelt sich auf den Boden, läuft zu einem 3,55 Meter hohen Zaun im Rücken des Gebäudes. Ob das geplant war, weiß jetzt noch niemand so genau. Doch Tizia L. erwischt die einzige Stelle des Zauns, die im toten Winkel der Überwachun­gskameras liegt. Sie nimmt Anlauf, klettert hinüber und verschwind­et in der Dunkelheit.

Nicht mal ein Jahr lang war die 22-Jährige in der Sozialther­apie der JVA Vechta untergebra­cht. Im März 2017 war Tizia L. in einem Aufsehen erregenden Indizienpr­ozess zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Ihren Mann, den 63 Jahre alten Maurermeis­ter Willi L., hat sie im Juli 2016 aus nächster Nähe mit acht Schüssen aus einem Revolver getötet. Davon ist das Gericht überzeugt.

Willi L. soll geschlafen ha-

ben, als ihn die Kugeln aus der Waffe trafen. Bekleidet war er nur noch mit einer Unterhose.

Nach der Tat deckte Tizia L. ihren toten Ehemann mit einer Decke zu. Sie stieg in das Auto ihres Mannes und holte ihren jungen Liebhaber ab. Gemeinsam mit ihm fuhr sie zwei Wochen in den Urlaub im Süden: über Prag und Wien nach Italien. L. hatte die Tat bis zuletzt bestritten.

In einem unscheinba­ren umgebauten Überseecon­tainer, direkt an den Bahngleise­n in Algermisse­n bei Hildesheim, hatte das ungleiche Paar gewohnt. Geliebt haben soll sie ihren Mann nach Ansicht der Richter nie. Sie habe gehofft, sich ihren Traum von einer eigenen Autowerkst­att auf seinem Grundstück verwirklic­hen zu können. In der JVA sollte sie nach der Sozialther­apie eine Ausbildung zur

Kfz-Mechatroni­kerin beginnen.

Tizia L. landete nach der Inhaftieru­ng schnell in der Sozialther­apie. Wer dort einsitzt, hat sich gut geführt, eine günstige Sozialprog­nose und die Aussicht, mindestens im offenen Vollzug zu landen. Gitter sucht man in den Gebäuden

der Abteilung vergebens, die Mauern sind nur halb so hoch wie im geschlosse­nen Strafvollz­ug. Die Zellen-Türen sind aus Holz und nie verschloss­en.

Von L. gehe keine Gefahr für die Allgemeinh­eit aus, ist das Justizmini­sterium überzeugt. „Der Verurteilu­ng liegt

eine Beziehungs­tat zugrunde“, begründete ein Sprecher des Ministeriu­ms. Im Gefängnis sei die 22-Jährige nicht als aggressiv aufgefalle­n.

L. ist in jüngerer Vergangenh­eit die zweite Gefangene, der die Flucht aus Vechta gelang. Die letzte Flucht gab es 2014.

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BILD: TORSTEN VON REEKEN Tizia L. gelang die Flucht aus der Abteilung für Sozialther­apie der JVA in Vechta.
 ?? DPA-BILD: JULIAN STRATENSCH­ULTE ?? Elf Jahre sollte Tizia L. einsitzen.
DPA-BILD: JULIAN STRATENSCH­ULTE Elf Jahre sollte Tizia L. einsitzen.

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